Die Lehrstuhlinhaber der Medizinischen Fakultät sagen „Nein, aber“ zu Tierversuchen an der JKU

„Schlachthöfe und Tierversuchslabore gehören zu einem verdrängten Teil unserer Gesellschaft. Universitäten sind Orte der Aufklärung. Sie müssen sich daher auch Themen wie der Mensch-Tier-Beziehung selbstreflektiert stellen.“ Diese von Rektor Meinhard Lukas formulierte Haltung ist der Ausgangspunkt eines öffentlichen Diskussionsprozesses, den die JKU initiiert hat. Die Lehrstuhlinhaber der Medizinischen Fakultät nehmen in dieser Diskussion Stellung.

Die JKU nimmt eine sehr zurückhaltende Position gegenüber Tierversuchen ein. Man kann diese Position plakativ mit „Nein, aber“ betiteln: Auch wenn das Tierversuchs-Gesetz Ausdruck eines demokratischen Konsenses ist, will die JKU den dadurch eröffneten Rahmen keinesfalls ausschöpfen. Die JKU sagt nicht nur Nein zu Tierversuchen, wenn adäquate alternative Methoden zur Verfügung stehen, sondern immer auch dann, wenn nicht ein klarer Nutzen für Mensch und Gesellschaft feststellbar ist. Entscheidend ist, nach welchen Kriterien und in welchem Prozess dieser Nutzen beurteilt wird. Dazu führt die JKU aktuell eine intensive Diskussion.

Kategorische Positionen erachtet die JKU als nicht zielführend. Es erscheint auch unethisch, das Tierversuchsthema an andere Universitäten und Einrichtungen zu delegieren, selbst aber entsprechende Forschungsergebnisse zu nutzen. Die JKU bevorzugt einen zugleich eigenständigen und eigenverantwortlichen restriktiven Weg, der laufend kritisch geprüft und gegebenenfalls angepasst wird.

Die 13 Lehrstuhlinhaber der Medizinischen Fakultät sprechen sich für diesen eigenständigen Linzer Weg aus. Weil sie sich sowohl einer Forschung zum Wohle der Menschen und der Gesellschaft verpflichtet fühlen als auch großen Wert auf die Ethik der Mensch-Tier-Beziehung legen, treten sie für eine denkbar restriktive Haltung bei Tierversuchen ein. Diese Position schließt Tierversuche nicht gänzlich aus, weil damit auch in einem beträchtlichen Maß der medizinische Fortschritt für uns Menschen ausgeschlossen würde.

Univ. Prof. Dr. David Bernhard | Institut für Physiologie und Pathophysiologie, Abteilung für Pathophysiologie

Das Ziel, die Entdeckung von neuen Wirkstoffen, um Menschenleben zu retten und Leid zu verhindern, macht es notwendig, dass die Wirksamkeit von Herz-Kreislauf-Medikamenten auch in Tiermodellen getestet wird.“

"Rund 13 % aller Todesfälle weltweit werden durch die Ischämische Herzerkrankung verursacht, von der Herzinfarkt die wohl bekannteste Ausprägung ist. Die Ischämische Herzerkrankung ist somit die häufigste einzelne Ursache für Todesfälle überhaupt. 

Trotz einer stetigen Verbesserung in der Vorbeugung und in der klinischen Therapie der Ischämischen Herzerkrankung, fehlen heute Innovationen – vor allem neue Wirkstoffe, die insbesondere in der Akutphase (akuter Herzinfarkt) angewendet werden können. Die Suche nach diesen dringend benötigten neuen Wirkstoffen beginnt in der Natur oder im Chemielabor wo neue Extrakte, Gemische und Substanzbibliotheken hergestellt werden, um dann in der biomedizinischen Grundlagenforschung getestet zu werden. Für die Suche nach einzelnen Wirkstoffen werden Computermodelle, Zellkulturen und Gewebekulturen verwendet. Viele Schritte der Testung, Veränderung, erneuter Testung usw. sind nötig, um wenige gute Kandidaten für eine Therapie zu finden.

In Zell- und Gewebekulturen werden dann die genauen Effekte der Kandidatensubstanzen untersucht, das Ganze vor allem im Hinblick auf den Zelltod und den Gewebeuntergang unter Saustoffmangel – ähnlich der Situation bei Herzinfarkt. Die Prozesse, die für die Auslösung und in der Folge, im Ablauf des Herzinfarktes eine Rolle spielen, sind extrem komplex und involvieren nicht nur den Herzmuskel, sondern den gesamten Organismus. Insbesondere das Reizleitungssystem, die Blutdruckregulation, aber auch das Immunsystem und viele weitere Komponenten des Körpers sind am akuten Herzinfarktgeschehen und an den chronischen Folgen (Herzleistung, Herzfunktion, Versorgung peripherer Organe uvm.) beteiligt.

Das Ziel, die Entdeckung von neuen Wirkstoffen, um Menschenleben zu retten und Leid zu verhindern, macht es notwendig, dass die Wirksamkeit von Herz-Kreislauf-Medikamenten auch in Tiermodellen getestet wird. Diese Tiermodelle werden präzise geplant, die Anzahl der Tiere so gering wie möglich gehalten, und Tierleid durch hochprofessionelle Narkose und Schmerztherapie auf ein absolutes Minimum reduziert. Vor Beginn derartiger Versuche wird mehrfach abgewogen, ob diese Versuche tatsächlich benötigt oder ersetzt werden können. Die Entwicklung von neuen Ersatzmethoden für Tierversuche ist ein zentrales und wichtiges Element unserer gesamten Forschung.   

In unserer Abteilung wurde ein neuer Wirkstoff für die Behandlung des Herzinfarktes gefunden, der Wirkstoff steht kurz vor der klinischen Erprobung.

Derselbe Wirkstoff konnte von uns auch als wirksamer Schutz von zu transplantierenden Herzen identifiziert – wir hoffen dadurch die Organqualität zu verbessern und Anzahl der geeigneten Organe zu vergrößern."

Univ. Prof. Dr. Matthias Bolz | Universitätsklinik für Augenheilkunde und Optometrie

Die häufigste Operation der Welt ist die des Grauen Stars, dicht gefolgt von Injektionen von Medikamenten, die eine Erblindung verhindern. Keine dieser Behandlungen hätte je mit einer vertrauenswürdigen Sicherheit am Menschen angewendet werden dürfen, wenn nicht im Vorfeld streng reglementierte und kontrollierte Tierversuche stattgefunden hätten.“

Die häufigste Operation der Welt ist die des Grauen Stars, dicht gefolgt von Injektionen von Medikamenten, die eine Erblindung verhindern. Keine dieser Behandlungen hätte je mit einer vertrauenswürdigen Sicherheit am Menschen angewendet werden dürfen, wenn nicht im Vorfeld streng reglementierte und kontrollierte Tierversuche stattgefunden hätten. Diese durch eine eigene Tier-Ethikkommission genau überwachten und auf ein Minimum reduzierten Versuche an Tieren sind das Fundament des Vertrauens, das wir heutzutage in zugelassene Behandlungen in der Medizin legen dürfen.

Univ.-Prof. Dr. Josef Donnerer | Institut für Pharmakologie

Es ist zu bedenken, dass Arzneisubstanzen ja nicht nur etwas im Körper bewirken, sondern der Körper wirkt umgekehrt auf die Arzneisubstanz ein, kann sie umwandeln, wird sie rascher oder langsamer wieder ausscheiden, und alle diese Informationen kann ich nur in einem Gesamtorganismus, in der Präklinik eben in einem Labortier, gewinnen.“

Einfach zusammengefasst lässt sich der Zweck der Arzneimittelentwicklung folgendermaßen darstellen: Es geht darum, gestörte Systeme und Regulationen im menschlichen Körper (= Krankheiten) wieder in Balance zu bringen, bzw. zumindest den Versuch zu unternehmen, das zu erreichen. Auf einfache Anwendungsbeispiele gebracht,

  • etwas das fehlt durch ein Arzneimittel zu ersetzen (z.B. Insulin bei Diabetes mellitus),
  • etwas das zu viel ist durch ein Arzneimittel zu hemmen (z.B. Blutgerinnungshemmer bei Thrombosegefahr; Blutdrucksenker bei zu hohem Blutdruck), 
  • für den Menschen bedrohliche Keime oder Tumorzellen durch Arzneimittel zu eliminieren,
  • oder spezifische wünschenswerte Zustände zu erreichen (z.B. Narkose bei Operationen).

Die Forschung in der Pharmakologie ist niemals Selbstzweck, sondern dient dazu, durch die Entwicklung von Arzneimitteln Gesundheit zu erhalten, Krankheitssymptome zu lindern oder Krankheiten zu heilen. Die unmittelbare Anwendung von Arzneimitteln obliegt den Fachgebieten der Allgemeinmedizin sowie verschiedensten spezialisierten klinisch-medizinischen Fachrichtungen – die Forschung in der Pharmakologie ist nur ein Schritt auf dem Weg hin zur unmittelbaren Anwendung von Arzneimitteln am Menschen, aber ein wichtiger Schritt.

Kein neues Arzneimittel kann ohne intensive klinische Prüfung am Menschen zur Anwendung kommen. Nur so kann im entscheidenden Schritt die Nutzen-Risiko-Abschätzung einer Arzneitherapie getroffen werden (wobei verständlicherweise der Nutzen überwiegen muss!). Das regeln weltweit die strengen gesetzlichen Vorschriften in der Arzneimittelzulassung. Nebenbei sei angeführt, dass auch bereits bekannte und länger verwendete Medikamente vom Gesetz her ständig einer Neubewertung unterzogen werden müssen. Jede klinische Prüfung eines Arzneimittels kann aber erst begonnen werden, wenn ein positives Votum der zuständigen Ethikkommission vorliegt. Insbesondere in sogenannten frühen Phasen der klinischen Prüfung eines neuen Arzneimittels, wenn überhaupt die Erstanwendung beim gesunden oder kranken Menschen im Raum steht, oder erst eine geringe Anzahl klinischer Anwendungen stattgefunden hat, wird von der Ethikkommission ein besonderes Augenmerk auf die Frage gelegt: ja, wurde das neue Arzneimittel schon ausreichend präklinisch geprüft, um eine Anwendung am Menschen zu rechtfertigen? Und präklinische Prüfung bedeutet umfangreiche Untersuchungen an Zellen, an isolierten Gewebekulturen oder isolierten Organen, und als entscheidenden Schritt Prüfungen an Labortieren, um Erfahrungen über Wirkungen und Verträglichkeit in einem Gesamtorganismus zu erhalten. Dieser letzte Schritt kann durch keine Alternativen ersetzt werden, und keine Ethikkommission und letztendlich keine Zulassungsbehörde für Arzneimittel wird auf diesen Schritt verzichten können. Alle gesetzlichen Regelungen, die in die Zulassung von neuen Arzneimitteln eingreifen, inkludieren als präklinischen Schritt die Prüfung von Arzneimitteln am Labortier.

Ich kann an Zellen, an isolierten Gewebekulturen oder isolierten Organen Informationen über einzelne Wirkmechanismen einer Arzneisubstanz erhalten, aber nichts über die Verträglichkeit. Es ist zu bedenken, dass Arzneisubstanzen ja nicht nur etwas im Körper bewirken, sondern der Körper wirkt umgekehrt auf die Arzneisubstanz ein, kann sie umwandeln, wird sie rascher oder langsamer wieder ausscheiden, und alle diese Informationen kann ich nur in einem Gesamtorganismus, in der Präklinik eben in einem Labortier, gewinnen. Dieser ganz wichtige Aspekt ist zum Schutz der Patient*innen, die an klinischen Prüfungen von Arzneimitteln teilnehmen, in weiterer Folge für alle Personen, bei denen ein Arzneimittel zur Anwendung kommen soll, vorgesehen und durch gesetzliche Grundlagen vorgegeben.

Univ.-Prof. Dr. Tobias Gotterbarm | Universitätsklinik für Orthopädie und Traumatologie

„Die komplexen Funktionen der Gewebeneubildung und der Differenzierung von Stammzellen in Knorpel-, Sehnen- und Knochengewebe sind dabei nur am lebenden und hochdifferenzierten Organismus unter physiologischen Bedingungen möglich.“

Die Therapie großer Gewebedefekte (Knochen, Knorpel, Sehnen, Bänder, Muskelgewebe und Haut) stellt die moderne Orthopädie und Unfallchirurgie vor große Herausforderungen.

Fortschritte in der Gewinnung und Nutzung adulter Stammzellpopulationen aus unterschiedlichen Herkunftsgeweben und die zunehmende Aufklärung stammzellbiologischer Zusammenhänge haben eine regenerative Behandlung vieler schwerer Krankheitsbilder in greifbare Nähe gerückt. Auch im orthopädisch-traumatologischen Bereich wird die Verwendung von mesenchymalen Stammzellen für die Behandlung zur Therapie von schweren Strukturdefekten am Menschen bereits klinisch z.B. bei Knorpel- und Knochenschäden erprobt. Bislang sind die vollständige Wiederherstellung und Ausheilung nur bei Knochengewebe möglich.

Die valide Untersuchung neuer Gewebeersatzstoffe, Stammzellpopulationen und Wachstumsfaktoren erfordert präklinische Tierversuche, um die Translation von reinen in vitro Laborergebnissen in den klinischen Alltag zur ermöglichen. Da die Kulturbedingungen in vitro die körpereigenen physiologischen Vorgänge und biologische Mikroumgebung nicht nachahmen können, ist es nötig das Tiermodell heranzuziehen. Die komplexen Funktionen der Gewebeneubildung und der Differenzierung von Stammzellen in Knorpel-, Sehnen- und Knochengewebe sind dabei nur am lebenden und hochdifferenzierten Organismus unter physiologischen Bedingungen möglich. Zusätzlich erlaubt nur eine detaillierte wissenschaftliche Aufarbeitung der erzielten Resultate im lebenden Organismus am Ende eine nachhaltige Abschätzung des tatsächlichen klinischen Nutzens für die Patient*innen. Nur nach ausreichender präklinischer Evaluation im geeigneten Tiermodell kann dann der Einsatz z.B. neuer operativer Methoden zur Geweberegeneration am Menschen im späteren klinischen Alltag gerechtfertigt werden. Nach sorgfältiger Prüfung und ethischer Abwägung stellt deshalb die Verwendung von geeigneten Tiermodellen in der operativen Medizin eine grundsätzliche Notwendigkeit dar, die gerade an der Schnittstelle vom Labor zur präklinischen Erprobung nicht vermeidbar ist.

Univ.-Prof. Dr. Andreas Gruber | Universitätsklinik für Neurochirurgie

Auch in der Hirnforschung sind Tierversuche unverzichtbar, beispielsweise für Bypässe im Gehirn, um Schlaganfälle zu verhindern, oder um Aneurysmen behandeln zu können.

„Im Bereich der Neurowissenschaften konnten zahlreiche Fragestellungen nur durch tierexperimentelle Forschung beantwortet bzw. ein Grundverständnis der Erkrankung selbst dadurch gewonnen werden. Grundbegriffe der modernen Schlaganfallforschung wie die Konzepte der fokalen und globalen Ischämie, der Kollateralkreislaufsituation oder der Ischämiezeit konnten im Tiermodell erstmalig verstanden und in der Humanmedizin zur Entwicklung erfolgreicher Therapien genutzt werden. Auch in der Zukunft werden sich in den Bereichen der Zerebroprotektion, d.h. des Schutzes des Gehirngewebes nach Schlaganfällen, Schädelhirntraumen oder im Bereich der Intensivmedizin Forschungsbereiche eröffnen, welche nur unter Inanspruchnahme tierexperimenteller Modelle wissenschaftlich seriös bearbeitet werden können. Im Bereich der Neurochirurgie selbst werden Eingriffe durchgeführt, deren Erfolg - neben zahlreichen anderen Trainingsmethoden - auch vom Einsatz etablierter Kleintiermodelle abhängig ist. Bei der Bypasschirurgie im Gehirn werden Materialien zur Gefäßnaht verwendet, welche um ein Vielfaches dünner als ein menschliches Haar sind. Ob die chirurgische Technik für den Einsatz am Menschen ausreichend gut ist, d.h. ob der Bypass offen bleiben wird, ist anhand mechanischer Modelle nicht zu überprüfen, da erst im Tiermodelle die komplexe Interaktion von Blutfluss, Blutgerinnung und Bypassgeometrie für den Chirurgen erkennbar wird.“

Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Högler | Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde

An meiner Universitätsklinik können wir heute mehr und mehr früher tödliche Erbkrankheiten erfolgreich behandeln, eben weil durch bahnbrechende Arbeit im Tierlabor der medizinische Durchbruch erreicht wurde – vom Verständnis des Krankheitsmechanismus zur individualisierten Therapie.“

27.000 seltene Krankheiten gibt es (weniger als 1 von 2000 Menschen betroffen), sie sind schlecht verstanden, schwer zu diagnostizieren, und für viele gibt es keine ursächliche Behandlung. Man muss den Krankheitsmechanismus zuerst verstehen, um eine Therapie entwickeln zu können. Da Mäuse dem Menschen hochgradig genetisch und funktionell ähnlich sind, ist das Mausmodell das wichtigste, erfolgreichste und schnellste Modell für die Entwicklung von spezifischen Medikamenten. An meiner Universitätsklinik können wir heute mehr und mehr früher tödliche Erbkrankheiten erfolgreich behandeln, eben weil durch bahnbrechende Arbeit im Tierlabor der medizinische Durchbruch erreicht wurde –vom Verständnis des Krankheitsmechanismus zur individualisierten Therapie. Nicht selten werden neu entwickelte Medikamente für seltene Krankheiten dann auch an Patient*innen mit häufigeren Krankheiten getestet, und kommen so einer weit größeren Zahl an Betroffenen zugute.“

Univ.-Prof. DDr. Wolfram Hötzenecker, MBA | Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie

Das metastasierte maligne Melanom war vor zehn Jahren noch mit einer mittleren Überlebenszeit von sechs bis neun Monaten behaftet. Durch die Entwicklung neuer zielgerichteter Therapien, die sich aus der Grundlagenforschung ableiteten, kann heute ca. die Hälfte der Patient*innen das 5-Jahresüberleben erreichen.“

Essentielle Fortschritte in der Behandlung des malignen Melanoms und entzündlicher Hauterkrankungen wie die Neurodermitis wären ohne den Einsatz von Tierversuchen nicht möglich gewesen. Das metastasierte maligne Melanom war vor zehn Jahren noch mit eine mittleren Überlebenszeit von sechs bis neun Monaten behaftet. Durch die Entwicklung neuer zielgerichteter Therapien, die sich aus der Grundlagenforschung ableiteten, kann heute ca. die Hälfte der Patient*innen das 5-Jahresüberleben erreichen.

Als zweites Beispiel für den erfolgreichen Einsatz des Tiermodells möchte ich die Neurodermitis und die Schuppenflechte anführen. Zwei Krankheiten, die für die Betroffenen mit starken Beeinträchtigungen der Lebensqualität verbunden sind. Auch hier gelang es durch neue Erkenntnisse in der Pathophysiologie dieser chronischen Erkrankungen, Antikörpertherapien zu entwickeln, die teils zu völliger Beschwerdefreiheit führen.

Univ.-Prof. Dr. Sigurd Lax | Institut für Pathologie und Molekularpathologie

Die Liste jener Erkrankungen, bei denen Tierversuche zu einem wesentlichen Erkenntnisgewinn geführt haben ist lang. Dazu zählen neben malignen Tumoren auch viele chronische Entzündungen und degenerative Veränderungen wie Tuberkulose, Autoimmunkrankheiten (z.B. Lupus erythematodes, rheumatoide Arthritis), Diabetes mellitus, multiple Sklerose und Morbus Parkinson, um nur einige zu nennen.“

Die Forschung in der Pathologie ist breit gestreut, sowohl was die Themen als auch die Methoden anlangt. Die allgemeine Pathologie beschäftigt sich mit allgemeinen Krankheitsmechanismen. Forschung auf diesem Gebiet setzt sich eher mit funktionellen Prinzipien und deren Veränderungen auseinander, aber auch mit Veränderungen auf zellulärer und humoraler Ebene. Demgegenüber beschäftigt sich die Klinische Pathologie (früher: „spezielle Pathologie“) mit organbezogenen Krankheiten. Forschung im klinisch-pathologischen Bereich zielt auf eine Korrelation zwischen morphologischen Veränderungen und deren klinischen Konsequenzen. Dazu zählt beispielsweise die Korrelation von Eigenschaften bestimmter Tumoren mit klinischen Merkmalen der Tumorerkrankung einschließlich des Verlaufs. Bei der Erforschung vieler Erkrankungen greifen allgemeine Prinzipien der Krankheitsentstehung und klinische Fragestellungen ineinander und sind nicht ohne weiteres zu trennen. Die Pathogenese der meisten Erkrankungen ist komplex und erfordert daher in der Forschung einen multidirektionalen Zugang mit unterschiedlichen Methoden. Speziell die Grundlagenforschung benötigt einen breiten methodischen Zugang, der sich nicht auf eine Methode beschränken kann.

In den folgenden Bereichen sind speziell Tiermodelle erforderlich, um wissenschaftliche Fragen zu beantworten:

  1. Studium des Pathomechanismus von Erkrankungen: Dazu zählen speziell Entzündungen, degenerative Erkrankungen und Kreislaufstörungen, aber auch Tumoren.
  2. Studium des Wachstums und biologischen Verhaltens von Tumoren
  3. Studium funktioneller Veränderungen, zum Beispiel von Kreislaufstörungen wie Schock und Hypertonie

Viele Fragestellungen können nicht mit Hilfe von Zellkulturen, Organoiden oder Analysen an Formalin-fixiertem menschlichem Gewebe beantwortet werden. Die Liste jener Erkrankungen, bei denen Tierversuche zu einem wesentlichen Erkenntnisgewinn geführt haben ist lang. Dazu zählen neben malignen Tumoren auch viele chronische Entzündungen und degenerative Veränderungen wie Tuberkulose, Autoimmunkrankheiten (z.B. Lupus erythematodes, rheumatoide Arthritis), Diabetes mellitus, multiple Sklerose und Morbus Parkinson, um nur einige zu nennen. Daneben ist die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen (Pharmakologie) und die Erforschung von Nebenwirkungen medikamentöser Therapien anzuführen. Nicht zuletzt benötigt der Bereich der Organtransplantation und des Organersatzes für die Beantwortung wissenschaftlicher Fragestellungen Tierversuche.

Tiermodelle zählen somit zu einem integralen Bestandteil einer hochkarätigen und modernen Forschung in der Medizin und sollten daher nicht a priori aus dem Portfolio der zur Verfügung stehenden Untersuchungsmethoden ausgeschlossen werden.

Dabei müssen selbstverständlich alle ethischen Prinzipien beachtet werden, insbesondere die 3R:

Grundregeln (3R):

  • Ersatz (Replacement) der Tierversuche durch alternative Techniken
  • Reduktion der Anzahl der verwendeten Tiere auf ein Minimum, um aus einer geringeren Anzahl von untersuchten Tieren denselben Informationsgehalt zu beziehen
  • Verfeinerung (Refinement) der Experimente, um das Leiden zu minimieren (inklusive Tierhaltung, Schmerzvermeidung etc.)

Univ.-Prof. Dr. Jens Meier | Universitätsklinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin

Sollen im Bereich der Anästhesie und Intensivmedizin neue therapeutische Ansätze erprobt werden, kann oft nicht auf Tierversuche verzichtet werden, da bei den typischen Fragestellungen insbesondere das Zusammenspiel der Organe und Organsysteme eine große Rolle spielt.“

Die Anästhesiologie und die Intensivmedizin befassen sich mit der Überwachung und Aufrechterhaltung lebenswichtiger Funktionen. Hierzu gehören beispielsweise die Überwachung und Behandlung der Atmungsfunktion, der Kreislauffunktion oder der Nierenfunktion. Hierbei kommt es vielfach ganz wesentlich auf das Zusammenspiel einzelner Organe und Organsysteme an. Beispielsweise schränkt eine nicht funktionierende Lunge die Sauerstoffversorgung sämtlicher Organe ein, was zu einem Multiorganversagen führen kann. Sollen im Bereich der Anästhesie und Intensivmedizin neue therapeutische Ansätze erprobt werden, kann oft nicht auf Tierversuche verzichtet werden, da bei den typischen Fragestellungen insbesondere das Zusammenspiel der Organe und Organsysteme eine große Rolle spielt. Eine Untersuchung an Zelllinien kann hier systembedingt keine zufriedenstellende Antwort liefern, und muss in vielen Fällen mit Tierversuchen ergänzt werden. Nur so ist eine sichere Erprobung neuer therapeutischer Ansätze möglich, ohne Proband*innen oder Patient*innen zu gefährden. Allerdings sollen Experimente an Tieren auf das absolut notwendige Minimum beschränkt werden.

Univ.-Prof. Dr.med. Peter Oppelt, MBA | Universitätsklinik für Gynäkologie, Geburtshilfe, Gyn. Endokrinologie

Der Einsatz von Alternativen zum Tierversuch kann in vielen Dingen weiterhelfen. In der ,Endausbaustufe‘ kann man aber die reelle Situation nur im ,medizinischen Testflug‘, das heißt durch Tierversuche überprüfen. Eine neu entwickelte Produktion aus einem ,Simulationsversuch‘ direkt beim Menschen einzusetzen, ist ethisch nicht zu vertreten.

Sicherlich werden heute viele Tierversuche durch alternative Verfahren ersetzt. Wie auch in der Luftfahrt können viele Dinge durch Simulationen optimiert und verbessert werden, um die Anzahl der Testflüge gering zu halten.

Ebenso ist es in der Medizin. Der Einsatz von Alternativen zum Tierversuch kann in vielen Dingen weiterhelfen. In der "Endausbaustufe" kann man aber die reelle Situation nur im "medizinischen Testflug", das heißt durch Tierversuche überprüfen. Eine neu entwickelte Produktion aus einem "Simulationsversuch" direkt beim Menschen einzusetzen ist ethisch nicht zu vertreten.

Univ.-Prof. Dr. Clemens Schmitt | Universitätsklinik für Hämatologie und internistische Onkologie

Nichts ist einfacher, als Krebszellen in der Zellkulturschale abzutöten, nur hat man damit noch lange kein Krebsmedikament gefunden. Ob Wirkstoffe, die im Reagenzglas funktionieren, nicht im Patienten auch viele andere gesunde Zellen schädigen oder beispielsweise das Immunsystem angreifen würden, kann ein solches Zellkultur-Experiment natürlich nicht klären. Daher benötigt die moderne Tumorforschung neue Test-Plattformen, an deren Entwicklung intensiv gearbeitet würde.“

Bis vor wenigen Jahren war die medikamentöse Behandlung fortgeschrittener Krebserkrankungen nahezu alleinig auf Chemotherapie, also relativ unspezifisch angreifende Zellgifte, angewiesen. Eine Vielzahl neuer lebensverlängernder Krebstherapeutika – darunter zielgerichtete Signalweg-Inhibitoren und so revolutionäre immun-onkologische Wirkstoffe wie die Nobelpreis-prämierten Immun-Checkpunkt-Blocker oder gegen Tumorzellen geschärfte sog. „CAR-T-Zellen“ – wäre ohne Tierversuche heute nicht verfügbar. Dennoch sind die größten – und todbringenden – Herausforderungen in der Tumormedizin nicht gelöst: Therapieresistenz gegenüber vormals greifenden Medikamenten und vor allem Metastasierung, die Absiedelung von Tochtergeschwülsten in Organen fernab vom Ausgangstumor. Die Entwicklung auch hier hilfreicher Medikamente wird maßgeblich in der Zellkultur möglich sein, zentral wichtige Wirkungs- und Nebenwirkungs-Prüfungen werden hingegen Tierversuche erfordern. Die meisten TumorpatientInnen sind sich dieser Notwendigkeit bewusst und stehen hinter den KrebsforscherInnen, die sich dieser enormen Herausforderung in den Laboren annehmen.“

Univ.-Prof. DDr. Jakob Völkl | Institut für Physiologie und Pathophysiologie, Abteilung für Physiologie

Tierversuche sind notwendig, um die Entstehung der medialen Verkalkung zu verstehen, und damit neue Ansatzpunkte zur Behandlung erkennen zu können. Manche zellulären Mechanismen können in Zellkultur und isolierten Organen untersucht werden, und es wird aktiv an weiteren Modellen geforscht, die Tierversuche reduzieren können.“

Erkrankungen des Herzens und der Gefäße sind nach wie vor eine Hauptursache für Tod und Gesundheitsbeeinträchtigung. Erst vor ca. 20 Jahren wurde erkannt, dass eine Verkalkung der mittleren Arterienschichten (Mönckeberg-Mediasklerose) ein wichtiger Auslöser von kardiovaskulären Ereignissen wie Schlaganfall und Herzinfarkt sein kann. Diese medialen Verkalkungen entwickeln sich während des Alterungsprozesses und besonders beschleunigt bei Diabetes Mellitus und chronischer Niereninsuffizienz.

Verglichen mit der Atherosklerose, die aufgrund von Fettablagerung in den inneren Schichten der Arterien entsteht, ist die Entstehung der medialen Verkalkung aber noch viel schlechter verstanden und kann nicht behandelt werden. Dabei arbeiten sehr komplexe und interagierende Mechanismen unterschiedlichster Organsysteme zusammen, um Gefäße in knochenähnliche Substanz zu verwandeln. Veränderungen von Metabolismus, Mineralhaushalt, Nierenfunktion, Hämodynamik, entzündlichen Prozessen, Nervensystem, Hormonhaushalt und Bluteiweißen sind an der Entstehung dieser Erkrankung beteiligt.

Um die komplexen Vorgänge bei dieser Erkrankung zu untersuchen, gibt es leider noch keine Alternative zu Versuchen im Organismus. Tierversuche sind notwenig, um die Entstehung dieser Erkrankung zu verstehen, und damit neue Ansatzpunkte zur Behandlung erkennen zu können. Manche zellulären Mechanismen können in Zellkultur und isolierten Organen untersucht werden, und es wird aktiv an weiteren Modellen geforscht, die Tierversuche reduzieren können. Das komplexe Zusammenspiel unterschiedlicher Auslöser der Erkrankung lässt sich aber auch mit neusten Technologien nicht in Ersatzmethoden abbilden.

Diese Forschung über die Entstehung der medialen Gefäßverkalkung ist unverzichtbar, wenn neue Ansatzpunkte für erste Behandlungen erkannt werden sollen. Wir versuchen, Signalwege zu verstehen und mit translationalen Ansätzen den Grundstein für neue Therapien zu legen. Dabei haben wir bereits mehrere Ansatzpunkte erkennen können, die sich in weiterer translationaler Erprobung befinden, wie beispielsweise Aldosteron-blockade, Zinksupplementation und Blockade entzündlicher Signalwege (CMLS 2019, CONH 2019).

Univ.-Prof. Dr. Andreas Florian Zierer | Universitätsklinik für Herz-, Gefäß-, Thoraxchirurgie

Meilensteine in der Herzmedizin wie zum Beispiel die Entwicklung der Herztransplantation wären ohne tierexperimentelle Studien nicht möglich gewesen. Auch heute ist die moderne Herzmedizin mit all ihren technologischen Innovationen ohne Tierstudien nicht vorstellbar. Alle Medizinprodukte, die in das Herz eines Patienten implantiert werden, müssen vorher jahrelang strenge Sicherheitskontrollen inklusive entsprechender Tierstudien durchlaufen.“

Meilensteine in der Herzmedizin wie zum Beispiel die Entwicklung der Herztransplantation wären ohne tierexperimentelle Studien nicht möglich gewesen. 1930 gelang es erstmals, dass ein transplantiertes Herz im Tierversuch acht Tage lang schlägt. Es dauerte weitere 37 Jahre intensivster Forschungstätigkeit bis zum ersten erfolgreichen klinischen Einsatz dieser Methode. Seit der ersten Herztransplantation im Menschen am 3. Dezember 1967 durch Christiaan Barnard wurde weltweit mehr als 125.000 Patient*innen durch diesen Eingriff das Leben gerettet.

Auch heute ist die moderne Herzmedizin mit all ihren technologischen Innovationen ohne Tierstudien nicht vorstellbar. Alle Medizinprodukte, die in das Herz eines Patienten implantiert werden, müssen vorher jahrelang strenge Sicherheitskontrollen inklusive entsprechender Tierstudien durchlaufen. Dies gilt für sämtliche Herzklappen ebenso wie für neue Schrittmacher.