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Das positive Denken – das Positive denken

Dieser Text ist noch vor Ausbruch der Corona-Krise entstanden. Die Autorin hat darauf verzichtet, ihn für die Zeit der Quarantäne zu adaptieren, um Ihnen ein paar Minuten ohne Viren, Ausgangsbeschränkungen und Infektionsraten zu gönnen. Zudem ändert sich nichts an der Grundhaltung. Es hat sich nur die Dankbarkeit der Autorin gegenüber jenen, die uns das gute Leben ermöglichen, weiter vertieft.

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(c) Zoe Goldstein

VON DOMINIKA MEINDL

Erschienen in der KEPLER TRIBUNE Ausgabe 2/2020, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster

Das Positive ist ein weites Feld. Aber man durchquert ja auch das Tote Gebirge nicht an einem Tag ohne sinnloses Gehetze! Am Ende unserer mentalen Wanderung wartet vielleicht das Glück, vielleicht auch nicht. Gehen wir los?

Beginnen wir mit dem Negativen des Positiven. Angesichts der Klimalage, rechtsextremen Terrors und drohender Pandemien wirkt die Frage „Und sonst geht’s gut?“ reichlich verwegen. Die Ozeane steigen, die Gesellschaft driftet auseinander, die Welt geht global den Bach hinunter. Doch unter uns: Geht’s Ihnen wirklich so schlecht? Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber wenn Sie das hier lesen, sind Sie gewiss alphabetisiert, vielleicht sogar akademisiert, wahrscheinlich Einwohner Mitteleuropas, eventuell gar ein Mann mit sicheren Wohnverhältnissen und solider Pensionserwartung (Frauen haben ein wenig mehr Grund zur Klage). Wenn es Ihnen tatsächlich schlecht geht, gesundheitlich oder finanziell, bin ich Ihnen nicht gram, wenn Sie an dieser Stelle aufhören zu lesen. Gute Besserung, viel Glück!

Wir, die immer noch lesenden Österreicher* innen, sollten 24 Stunden dankbar und froh sein. Vielleicht haben Sie gar nicht so weit gelesen, weil Sie das Positive fad finden. Fakt ist, dass weltweit Analphabetismus, Armut, Hunger und das Sterben an leicht heilbaren Krankheiten signifikant abnehmen. In die Schlagzeilen schafft es diese Entwicklung nie. Auf Hollywood-Blockbuster über das rapide Sinken der Säuglingssterblichkeit wird man lange warten. Das menschliche Empfinden ist eine Fehlkonstruktion. Warum soll das Streben nach Weltfrieden langweilig oder naiv sein, einander zu beleidigen oder gar in die Luft zu sprengen hingegen nicht? Und warum zitieren alle immer Freud, diesen Spielverderber, dass das Glück im Schöpfungsplan nicht vorgesehen sei? Aha, und was passiert dann bei der Betrachtung spielender Hundewelpen, kudernder Babys oder des Toten Gebirges?

Wir werden uns das positive Denken zurückholen. Nehmen wir es den neoliberalen Motivationsexperten weg, machen wir es zum Mittel unserer Selbstverteidigung! Positives Denken darf nicht mehr länger Stimmungsreparatur für die Geknechteten sein, die sich nur ins Innere des Einzelnen wendet, nicht aber nach außen, gegen die Mächte, die uns entsolidarisieren. Wenn Sie meine Meinung wissen wollen (Sie hätten ja schon viel früher mit dem Lesen aufhören können, also bitte): Der neoliberale Spekulations- Turbokapitalismus steht dem geglückten Dasein im Weg wie ein Marktschreier auf Koks. Geh’ mir aus der Sonne, Verblendungszusammenhang, reiß’ her das schöne Leben! Wir sollen natürlich positiv denken und Fakten schaffen: Ja! Ein Umsturz ist möglich! An unserem Glück müssen Ausbeutung, Patriarchat und Rechtspopulismus zerschellen wie aus dem Fenster geschmissene Nachttöpfe!

Das positive Denken in seiner schlechtesten Form gehört aber zur grassierenden Ernährungs- und Fitness- Ersatzreligion. Wir essen keinen Zucker und low carb, für mehr Leistung und weniger Fett. Wir meditieren zwecks Burn-Out-Prävention, statt die Brandbeschleuniger der Erschöpfung zu bekämpfen. Wir arbeiten in der Freizeit an uns selbst, verschieben unsere Leistungsgrenzen, um fit for work zu bleiben. Die Herren drängen nicht nur in Konzernen, Familien und Regierungen in die Spitzenpositionen, sondern auch beim Sport. Unter Iron-Ultra-Triathlon-Powerfitness- Spartanlauf-Quälereien tun sie’s nicht mehr. Wer ein wenig blad ist, hat sich nicht im Griff und schädigt die Volksgesundheit. Aber sonst geht’s gut, ja?

Das negative positive Denken arbeitet über Affirmation und Visualisierung: Billige Hobby-Gurus verkaufen uns diesen esoterischen Denktand als Weg zum Erfolg, den alle beschreiten können, wenn sie nur Selbstdisziplin zeigen. Da ist man ganz nahe an der neurolinguistischen Programmierung. Melancholie ist Arbeitskraftzersetzung. Wer unglücklich ist, hat versagt. Selbst schuld! Es ist wie mit der Bankenkrise: Erfolg privatisieren, Schuld verallgemeinern und dem Einzelnen aufnötigen. Ein Experiment der Psychologin Joanne Wood von der Universität von Waterloo zeigt, dass Teilnehmer*innen mit geringem Selbstbewusstsein durch das Aufsagen positiv konnotierter Sätze ihre Stimmung signifikant verschlechterten und pessimistischer waren als zuvor.

Gegen den ekelerregenden Sozialdarwinismus sollte ich eigentlich zu Fleiß Seminare wie „Die Kraft des negativen Denkens“ oder „Die Freude der Trauer“ entwickeln. Aber ich glaube ja selbst an die Selbstermächtigung durch Affirmation und Visualisierung, wie wäre ich sonst Bundespräsidentin von Österreich geworden? Man muss sich nur einen schönen Frack und eine Faschingsschärpe kaufen und deklarieren: „I bin’s, eicha Präsidentin!“ Selbstwirksamkeit ist garantiert, ein Hoch auf die Kraft der Fiktion! In dieser Funktion als Schwindel-Präsidentin frage ich das Volk gern, wo es die Schuhe denn wirklich drücken. Oft sind es ernste Sorgen, etwa ein krebskranker Angehöriger, mangelnde Anerkennung oder ein Liebesgespons, der aus der Gemeinsamkeit abbiegt. Wer hier nicht achtsam zuhört und aufrichtig Trost zuspricht, ist ein Tropf oder ein Ultramarathon laufender Management-Soziopath.

Sehr oft aber werde ich mit recht läppischen Ängsten behelligt. „Warum kriegen die Asylanten das neue iPhone gratis, während ich hackeln muss?“ „Die Klima-Kinder sollen nicht Schule schwänzen, weil sie sich mit dem SUV zur Demo chauffieren lassen.“ Oder: „Die hysterischen Frauen übertreiben mit der Gleichberechtigung, so ist halt die Natur!“ Meine praktische Handreichung ist dann das gemeinsame Aufsagen des folgenden Satzes: „Mir geht es sehr gut, ich erliege nur gerade einer Disziplinlosigkeit, die mir den Blick auf mein privilegiertes Dasein verstellt.“ Eine leichte Übung!

Aus der Nähe betrachtet ist das Schlechte auch selten so negativ, wie man glaubt. Ohne Schulden und mit 100 € in der Hosentasche gehören Sie zu den reichsten 10 Prozent der Welt. Wir alle könnten uns im Fall akuten Weltschmerzes eine Flasche Champagner kaufen (die guten gibt’s ab 35 € im Supermarkt), da findet sich flugs ein Mensch, der Sie nett anschaut, wenn Sie mit ihm teilen. Und schließlich können wir das Positive ja mit eigenen Händen erschaffen. Depressiven Menschen wird geraten, ein Dankbarkeits- Tagebuch zu führen, das erscheint mir klug. Erstens ist das Schreiben eine gute Traumatherapie. Zweitens ist die Buchhaltung der Privilegien und Großzügigkeiten und Geschenke und Gnaden ein schöner Erkenntnisweg.

Unser Daseinsziel ist im Übrigen die Schönheit. Es gibt eine Anmut der sozialen Verhältnisse. Und die Ethik steckt nicht von ungefähr in der Ästhetik. Streben Sie bitte unbeirrt nach der Schönheit der Intersubjektivität. Damen und Herren! Was haben wir denn wirklich außer dem Schönen? Denken Sie nicht an die aufgespritzten Lippen eines Instagram-Models, denken Sie an den ersten Schluck goldenen Bieres an einem Freitagabend! Die beständige Bedingungslosigkeit der Haustierliebe, die guten Stunden der Partnerliebe (ein paar davon sollten es pro Woche schon sein, sonst überprüfen Sie bitte Ihren Beziehungsstatus). Denken Sie an den letzten Schritt aus einer felsigen Scharte hinauf auf das Plateau des Toten Gebirges, hinein in die Sonne, und vor Ihnen liegt eine dermaßen prachtvolle Felswildnis, dass Sie kurz aufschluchzen und vergessen, dass die SVA Ihnen schon wieder die Gebühren erhöht hat oder dass dieser Aufsatz für die Kepler Tribune jetzt endlich einmal geschrieben gehört.