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Der dumme Fleiß der Winkekatzen

(c) Zoe Goldstein

VON DOMINIKA MEINDL

Erschienen in der KEPLER TRIBUNE Ausgabe 4/2020, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster

An einem Tag, an dem sehr viel konzentriert zu schreiben ist, fahre ich handlungsbereit ins Büro. Als ich die Garage öffne, fallen mein Blick und das Tageslicht auf eine dieser solarbetriebenen Winkekatzen, die dienstfertig ihren Daseinszweck erfüllt. Meine Schwester, mit der ich das Haus wechselweise bewohne wie Sonne und Mond den Himmel, möchte die seltsame Apparatur auf der Hutablage befestigen, damit sie Geld und Glück hereinwinke, aber vor lauter Arbeit kommt sie nicht dazu.

Ich versuche, ohne Ablenkung in mein Bürobaumhaus zu steigen, um diesen Text hier zu schreiben. In den vergangenen zwölf Jahren meines Home-Office habe ich das Konzept von Scheuklappen zu verstehen gelernt. Denn der Haushalt hascht mit minder wichtigen Aufgaben nach meiner Aufmerksamkeit. Noch schaffe ich es über den Rasen, der schon aussieht wie unsere Frisuren kurz nach dem Lockdown, und ich schaffe es die Leiter hinauf – aber drinnen liegen sieben Staubflankerl, sodass ich gleich einem Putzanfall erliege, nachdem ich dann auch Hunger bekommen und gekocht habe, ist es auch schon wurscht, und ich mähe den Rasen. Gibt es so etwas wie Alters-ADHS?!

Zu meinem Erbe gehört nicht nur ein alterndes Haus, sondern ein Mühlviertler Arbeitsethos, das in den Früchten sitzender Denkarbeit keine ordentliche Ernte sieht. Um diesen skurrilen Selbstboykott zu überwinden, bräuchte ich eine zweite Meindl, der ich zufrieden dabei zusehen könnte, wie sie mir die Frackhemden bügelt und den Giersch aus dem Garten rupft. Und ich selbst, das Original, könnte endlich schreiben! Oder nur ganz schnell auf Facebook nachschauen, ob das Posting mit dem Hunderl … und auf Instagram … Als Kompromiss öffne ich meine drei Mail-Accounts und mache mich an die Administration meines Erwerbslebens, also höflich Honorare einfordern, Kollegen Links für die diversen Härtefallfonds googeln, Sitzungsprotokolle korrigieren, der Kulturdirektion Anregungen für ein Kulturkonjunkturpaket aufdrängen. Fürs konzentrierte Schreiben ist es schon lange zu spät, morgen geht’s bestimmt locker, da ist ja dann auch der Rasen gemäht! In der Garage winkt die Katze weiter mit sinnloser Tüchtigkeit. Kann dieser alte Fleiß – so etwas wie das Korsett im Leben meiner Vorfahren – nicht langsam weg wie die hölzernen Rechen, Sensen und Dreschflegel in der Gartenhütte? Wenn sie ihm lustig sei, dann sei es keine Arbeit mehr: ein Zitat meines Großvaters. Fleiß ist kein Wert an sich. Bei der Fahrt in die Kletterhalle überfällt mich schlechtes Gewissen. Wieder nichts fürs OEuvre weitergebracht! So ein leistungsarmes Leben kann sich nur leisten, wer geerbt hat! Im Ernst, was ist los mit mir? Wenn das so weitergeht, bin ich ersatzlos durch einen Schreib-Bot zu ersetzen. Weil ich gestern Zeitung gelesen habe, statt zu schreiben, weiß ich heute leider, dass laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Maschinen und Algorithmen bald jeden vierten Job übernehmen könnten. Wir Autorinnen sollten uns nicht sicher fühlen, es ist ziemlich unheimlich, wie gut digitale Schreibprogramme mittlerweile unsere poetische Arbeit imitieren. Versuchen Sie es selbst einmal mit dem „artikelschreiber.com“. Das kann man amüsant finden – oder beängstigend. Vom Zeitfaktor sollte ich gar nicht reden. Zwischen dem Auftrag für diesen Text und seiner Endfassung liegen sechs Wochen, dabei hätte ich mich in dieser Zeit nur ein einziges Mal für ein paar Stunden hinsetzen müssen. Chat-Programmen hingegen baut man eine kleine Verzögerung bei ihren automatischen Antworten ein, damit der fragende Mensch nicht durch übermenschliche Schnelligkeit erschrickt. Möglich, dass „Roboterliteratur“ bald die Science-Fiction verlässt und die Belletristik erobert. Gut, dann könnte ich den ganzen Tag im Garten kramen wie ein hyperaktives Eichkätzchen, aber ohne bedingungsloses Grundeinkommen käme ich nicht einmal durch den ersten Winter. Und es wäre auch eine moralisch sinnlose Existenz.

Während des Trainings wäge ich ab, ob es nicht klüger wäre, mich durch eine intelligente und vor allem tüchtige Androidin meiner selbst zu ersetzen, dann könnte ich seelisch ungestört bouldern, während sie meinen Roman über die chinesische Kopie von Hallstatt fertig schreibt, natürlich anhand von Big-Data-Algorithmen, nach denen ein garantierter Bestseller funktioniert.

Später, auf der Couch des Mannes, den ich von allen am liebsten besuche, denke ich – verursacht durch ein Glas Rotwein – emsig nach. Muße muss man sich leisten können. Disziplinlosigkeit ist ein Privileg. Während ich launige Facebook-Postings über Prokrastination im Home-Office schreibe, brennt sieben Häuser weiter eine rumänische Pflegerin aus, weil sie sich um eine verängstigte demente Frau kümmert, die ihr keine ruhige Minute lässt. Schön, wenn die Digitalisierung eintönige und anstrengende Arbeiten übernimmt, aber was machen die Leute, die bislang damit ihr Existenzminimum verdient haben? Wer Automaten und Algorithmen nicht für die Befreiung der Menschen hackeln lässt, soll sich in einer ruhigen Minute fragen, ob er ein profitgieriges Miststück ist. Pardon, das war zu grob, zu plakativ! Es liegt am zweiten Glas Rotwein, da geht’s mit mir durch. Ich komme sehr gut damit klar, dass mit meiner Berufswahl ein bohèmehaftes Leben einhergeht, Klagen über Honorare gehören im Literaturbetrieb zum guten Ton. Aber mich ärgert, dass wir in einem stinkreichen Land fast 300.000 „working poor“ haben, und die Pandemie wird diese Zahl bestimmt nicht senken. Es zipft mich enorm an, dass Frauen, die ihr Leben lang die eigenen Bedürfnisse hinter die der Familie gestellt haben, sich mit einer lachhaften Pension durchfretten müssen. Es nervt exorbitant, dass Schulpsychologinnen und Sozialarbeiter eingespart werden. Und gibt es einen vernünftigen Grund, warum Kindergartenpädagoginnen so mies bezahlt werden? Konzernführer und Wirtschaftsminister und Industriellenvereinigungspräsidenten (ich gendere hier nicht) lassen sich offensichtlich vom Wachstum der Wirtschaft so ablenken wie ich mich von jenem meines Rasens. Die Frage, was wir mit der frei werdenden menschlichen Arbeitskraft anstellen, ist wohl auf morgen verschoben. Offensichtlich ist es wichtiger, dass nur bloß niemand in der sozialen Hängematte lungert. Leistung muss sich lohnen! Da fällt mir wieder der dumme Fleiß der Winkekatze ein. Faulheit kann man den Maschinen nun wirklich nicht vorwerfen.

Hier mein Vorschlag zur Güte, ganz ohne Big-Data-Analyse über gelingendes Menschsein: Alle, die noch physisch arbeiten müssen, sollen flugs wohlhabend und hoch angesehen werden. Alle, deren Arbeit wegfällt, sollen sich flugs und bestbezahlt um andere Menschen kümmern. Wenn die Automatisierung nicht dazu dient, dass ALLE an den Segnungen der Arbeitserleichterung teilhaben, ist das nicht meine digitale Revolution. Den Entscheidungsträger, der mir widerspricht und panisch „Diktatur! Maschinensteuer!“ greint, lade ich zu einem Besuch in eine städtische NMS oder in ein Bezirksaltenheim oder auf ein Spargelfeld ein. Und wenn er dann noch glaubt, dass die Wirtschaft die Arbeitsplätze schafft und nicht die Menschen selbst, dann haue ich mit kletterhallenstarker Faust auf den Tisch.

Auch am nächsten Arbeitstag, am Tag der Deadline für diesen Text, winkt mir die Katze zu, als ich voller Tatendrang ankomme, und sie winkt mir zu, als ich am Abend Richtung Kletterhalle wegfahre, nachdem ich schon wieder nicht mehr als ein paar Notizen hingekriegt habe, weil sich überraschend Besuch eingestellt hat. Aber einen Tag so zu vertändeln – das soll mir ein Roboter einmal nachmachen!