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Kepler Salon
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Das Leben ist schön, macht aber viel Arbeit

Detailaufnahme Kepler Salon
©Dieter Decker

Von DOMINIKA MEINDL

Erschienen in der KEPLER TRIBUNE Ausgabe 2/2022, öffnet in einem neuen Fenster

Hinter meinem Rücken bin ich zu einem eifrigen Menschen geworden, „udaungs“, wie meine Mühlviertler Ahnen gesagt hätten. Im Vergleich zu ihrem existenziell notwendigen Fleiß ist meine Emsigkeit natürlich ein Witz. Auf dem Sterbebett hatte die Großmutter meine Hand in die ihre genommen und gestreichelt, sie fuhr überrascht über die Schwielen. „Du bist ja doch eine für die Arbeit!“, sagte sie, und ich wagte nicht zu bekennen, dass die Hornhaut bloß vom Freizeitvergnügen in der Kletterhalle stammte.

Heute leistet mir die Sporthaut gute Dienste, ich kann die Gemüsebeete umstechen, ohne Blasen zu bekommen, ich schaufle reichlich Kompost in die Scheibtruhe, ich schraube ohne Handschuhe einen windschiefen Zaun zusammen, damit mir die Nachbarhunde nicht die Welpin sekkieren. Auch die Fußmaschine läuft rund, damit lässt es sich den ganzen Tag durch das Tote Gebirge stapfen. Was ich nicht leisten kann: 40 Stunden arbeiten. Ich schaffe mal 20, mal 60 in der Woche, selten 12 an einem Tag, aber einem Betrieb, einem Menschen, einer Sache genau 40 Stunden zu dienen, dafür ist der Geist nicht willig und das Sitzfleisch zu schwach. Selbstständige Arbeit kann auch recht unbequem sein, aber darüber zu jammern ist ungefähr so zielführend wie die Klage, dass es doch recht steil zum Großen Priel hinaufgehe.

Damit wir uns recht verstehen: Das hier wird nicht das verwöhnte Plädoyer einer verwöhnten Frau, sich doch bitte auch ein freies Erwerbsleben zu gönnen. Nichts wäre zynischer angesichts Hunderttausender Arbeitssuchender, angesichts Zehntausender in eine ausbeuterische Scheinselbstständigkeit Gezwungener oder angesichts der Überforderung von Pflegekräften, Lehrer*innen oder Putzfrauen. Es ist übrigens nicht deren Leistung, die sich laut neoliberalen Politfunktionär*innen wieder lohnen soll, sondern die „Arbeit“ jener, die hauptberuflich die Notstandshilfe kürzen und Arbeitslose demütigen. Dabei müsste in einer halbwegs fairen Gesellschaft das Geld ja wie ein warmer Mairegen auf alle herabregnen, die uns die Kinder erziehen und die Eltern pflegen und die Regale vollräumen. Das ist nicht das Plädoyer für ein Recht auf die Faulheit für Privilegierte. Die Steuerflüchtlinge und Scheinrechnungssteller*innen – und da sind wir uns einig, oder? – sind es ja, die in unserer sozialen Hängematte schmarotzen.

Das hier ist eine Brandrede gegen die fahrlässige Verschwendung von Lebenszeit – von eigener, und noch schlimmer: von der Lebenszeit der Mitmenschen. Wer gerne 60 Wochenstunden für ein Unternehmen oder eine Idee brennt, ist beneidens- und lobenswert. Wer aber ausbrennt, sind jene, die keinen tieferen Sinn in ihren Aufgaben sehen, oder die sie nicht sinnvoll ausführen können. Ein Burnout droht jenen, die unter gewaltigem Druck stehen, aber nicht von der Stelle dürfen – in der anachronistischen Benzinwelt steht der Begriff „Burnout“ für die dumme Übung, im Stand den Motor so hochzujagen, dass die Reifen stehend in Rauch aufgehen. Das Bild eignet sich zum Vergleich.

In diesem Sinn: Runter von der Bremse! Lasst uns hackeln! Verausgaben wir uns! Gibt es Besseres, als sich in eine Aufgabe zu vertiefen und rundum alles zu vergessen? Es gibt Millionen von euch da draußen, die bessere Hundezäune bauen, die kühnere Bergtouren wagen, die gescheitere Texte schreiben als ich – und Milliarden, die mit Freude und Talent pflegen, reinigen, konstruieren, lehren. Dieses ewige Maulen über die Faulen, ich mag es nicht mehr hören. Die paar Lumpis tragen wir mit unserer Tüchtigkeit doch locker mit, genauso wie wir mit Stolz alle unterstützen sollen, die aus guten und schlechten Gründen nicht hackeln und tschinäullen können. Es braucht keinen himmlischen Vater, der seine Vögelchen nährt, obwohl sie nicht säen und ernten (Pardon, aber hier irrte Jesus übrigens, denn ohne Tannenhäher keine Zirbe!). Ich mag nur nicht mehr jene schmerzbefreiten Arbeitgeber mittragen, die aus kaltem Effizienzdenken ihre Mitarbeiter*innen in monatelange Krankenstände treiben. Eine dümmere Vergeudung will mir nicht einfallen.

Wer am Stahlkocher schwitzt, soll weiter gut bezahlt werden, wer unsere Großmütter aus dem Bett hebt, sowieso. Und wir Büro-Ponys sollten unsere Leidenschaften nicht für Hobby und Pension aufsparen. Ist es nicht eine gewaltige Verschwendung, was wir da in der Arbeitswelt anstellen, dieses sehnsüchtige Warten auf Wochenende, Urlaub, Pension? Bis dahin erledigen wir das Aufgetragene so, wie man uns früher zum Mathematiklernen vergattert hat, indem wir ein Micky-Maus- ins HÜ-Heft klemmen und heimlich lesen, damit die Mama eine Ruh’ gibt. Der Begriff „Boreout“ ist mittlerweile fast so bekannt wie sein vermeintliches Gegenstück „Burnout“: Die Betroffenen überkommt das beklemmende Gefühl, schon zu viel Lebenszeit sinnlos in leere Abläufe investiert zu haben. Starre Konstrukte zermürben. Leider löst der Trend zum Home Office das Problem auch nicht automatisch – vom Verschmelzen von Arbeit und Freizeit kann ich lange Lieder singen.

Wir verkaufen einen schönen Teil unseres Daseins. Ich bin gewiss die Letzte, die eine schnelle Lösung für die Befreiung aus Hierarchien und für den Weg aus den Sackgassen der Arbeitswelt parat hat. Aber ein wenig über den eigenen Zugang nachzudenken schadet nie. Etwa, dass wir ausblenden, wie viel von allen Seiten von uns verlangt wird. In der Rush Hour des Lebens laufen wir Gefahr, uns auf die schlechteste Art zu verausgaben. Die Kinder wachsen im Mairegen in den Himmel und brauchen neue Schuhe, und der Mairegen rinnt durch die Dachluke, und die Eltern haben im besten Fall ein Computerproblem, im schlechtesten brauchen sie eine 24-Stunden- oder eine Grabpflege. Uff, aber nur noch drei Wochen bis zum Wellnesswochenende, und einen Abend pro Woche nimmt uns der Mann die Kinder eh ab, damit wir Pilates machen können, damit wir nicht schiach werden und sich der Mann eine andere sucht, und damit wir am nächsten Tag wieder schmerzfrei vor dem Computer stillsitzen können. Wer an sich selbst arbeitet, kann mehr leisten! Und haben wir uns nicht selbst verwirklicht? Das ist auch so ein Irrtum aus den 1990ern. Mach’ dein Ding, gib’ dein Bestes, dann kannst du alles werden! Wenn der Erfolg individualisiert wird, gilt das natürlich auch für den Misserfolg. Und dass du erschöpft bist, liegt an dir. Ich kenne etliche Frauen, die sich auf Long Covid untersuchen haben lassen, weil sie immer so müde sind, und weil es nicht sein kann, dass es das System ist, das sie erschöpft.

Lasst uns bitte so faul wie nötig sein, in der Muße liegt die Kraft. Aber hören wir auf, uns durch lustlos absolviertes Yoga und Achtsamkeitsseminare fit für eine Arbeitswelt zu machen, die es wert ist, unterzugehen. Ohne ein Minimum an Leidenschaft mag ich nicht mehr dahinleben, und ich will, dass andere davon profitieren (etwa in dieser kleinen Brandrede gegen fiese Arbeitsbedingungen). Wir müssen die Aufgaben, die uns das Leben stellt, viel gerechter verteilen. Es ist nicht zu ertragen, dass sich in der sogenannten „Dritten Welt“ schon die Kinder krumm schuften müssen, nur damit wir beim Hofer Gartenmöbel zu Schleuderpreisen kaufen, auf denen wir uns von den Zumutungen der eigenen ungeliebten Arbeit zu entspannen versuchen. Es wird eben alles ein bisschen teurer, dafür weniger scheiße. Lohn muss mehr als ein Schmerzensgeld dafür sein, dass wir unseren Körper 38,5 Stunden ins Büro setzen.

Wenn ich in Sachen Lebenserwartung Kind meiner Eltern bin, habe ich jetzt noch maximal 30 Jahre, und die mag ich nicht mehr verschwenden. Denn das Leben ist schön und es macht viel Arbeit.