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Hofrat Pachinger

Annäherungen an einen hypersexuellen Sammler

Detailaufnahme Kepler Salon
(c) Zoe Goldstein

VON GEORG THIEL

Erschienen in der KEPLER TRIBUNE Ausgabe 1/2021, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster

Geboren wurde er am 22. November 1864 in Linz. Der auf den Namen Anton de Padua Maximilian Getaufte wächst in gesellschaftlich und wirtschaftlich soliden Verhältnissen auf; die Pachingers sind seit Generationen erfolgreich als Kaufleute tätig.

Über seine Kindheit ist wenig überliefert. Mit einiger Sicherheit kann davon ausgegangen werden, dass der Toni gerufene Knabe nicht nur wohl-, sondern auch ängstlich behütet aufwächst. Seine drei Geschwister sterben im Säuglings- beziehungsweise Kindesalter.

1876 zieht sich der Vater aus dem Geschäftsleben zurück und firmiert fortan als Privatier. Vermutlich sieht er wohlgefällig, wie sich die eigene Sammelleidenschaft auf den Stammhalter überträgt. Sorgen hingegen bereiten dessen schulische Leistungen – sie sind katastrophal.

Der Sohn scheitert in Linz, scheitert in Freistadt, als ihm 1886 endlich die Reifeprüfung glückt, steht er im 22. Lebensjahr. Mit guten Wechseln ausgestattet, geht es nach Wien. Hier studiert er zunächst vier Jahre Jus, danach zwei Jahre Medizin. Schließlich Kunstgeschichte und Archäologie. Nach fünf Jahren bricht er auch dieses Studium ab. Künftig wird er als Privatgelehrter oder Archäologe auftreten. Seine spätere Jagd nach Titeln ist mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit Kompensationsbemühung für das nicht geschaffte Studium.

Pachinger senior ist, als der Studiosus wieder nach Linz zurückkehrt, bereits krank. Er stirbt am 3. Juni 1900. Der Sohn, so der Nachruf in der Tages-Post, erfreue sich in Fachkreisen als Alterthumsforscher und speciell als Prähistoriker eines geachteten Namens. Tatsächlich hat sich Dr. Pachinger (der Titel wird später auch eines seiner Exlibris zieren) zu dem Zeitpunkt durch seine Vortragstätigkeit eine gewisse Bekanntheit erworben. 1904 stirbt die Mutter. Pachinger ist nun 40, Privatier und Realitätenbesitzer.

In einem der Häuser stellt er seine Sammlungen auf. Als Prunkstück fungiert ein Keuschheitsgürtel, den er am Becken eines mittelalterlichen Gerippes in Freistadt, Eferding oder Linz entdeckt zu haben behauptet. Es ist viel, was sich in den elf Zimmern findet, und die erhaltenen Fotos erinnern daran, dass der Übergang vom Sammler zum Messie fließend ist. Pachinger selbst spielt zu dieser Zeit mit der Idee, seine Schätze einmal dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg zu vermachen.

Ansonsten unternimmt er in diesen Jahren zahlreiche Reisen, mehr und mehr kristallisiert sich München als Lebensmittelpunkt heraus. Er hat einen großen Freundes- und Bekanntenkreis, in dem sich illustre Namen finden: Kubin, Herzmanovsky- Orlando, Bayros, Roda Roda. Und natürlich sammelt er weiter, wobei er angeblich frei von Skrupeln ist. Ausstellungsmacher werden auf ihn aufmerksam und Pachinger erweist sich als unkomplizierter Leihgeber.

Im Zuge der Internationalen Hygiene- Ausstellung in Dresden kommt es zu einer Begegnung, deren literarischer Niederschlag dem Sammler eine nicht einmal bescheidene Unsterblichkeit sichern wird. Denn auf der Rückreise von Dresden macht Pachinger in Prag Station. Hier trifft er mit Max Brod und Franz Kafka, die ihm von Kubin empfohlen worden sind, zusammen. Kafka notiert noch am gleichen Abend über ihn: 50 Jahre, riesig, turmartige Bewegungen. Im Kaffeehaus, später im Hotelzimmer macht der Riese seine Gäste mit seinen Vorlieben vertraut: den schwangeren Leib hält er für den schönsten, er ist ihm auch am angenehmsten zu vögeln. […] Die Erzählungen über seine Potenz machen einem Gedanken darüber, wie er wohl sein großes Glied langsam in die Frauen stopft. Sein Kunststück in früheren Zeiten war, Frauen so zu ermüden, daß sie nicht mehr konnten. Dann waren sie ohne Seele, Tiere.

Nachdem Pachinger noch Aktfotos seiner gegenwärtigen Favoritinnen gezeigt hat, die allesamt stark übergewichtig sind, gibt es zum Abschluss noch sextouristische Empfehlungen. Als zwei Monate später in Linz angefragt wird, ob gegen den Privatgelehrten Pachinger etwas vorläge, da man beabsichtige, ihm das Ritterkreuz 1. Klasse des großherzoglich hessischen Verdienstordens zu verleihen, meint das Büro des Bürgermeisters, es obwalte kein Bedenken. Pachinger sei, soweit bekannt, nicht vorbestraft. Allerdings habe er sich 1899 wegen Mordverdachts an zwei Frauen kurz in Untersuchungshaft befunden; bei der darauf erfolgenden Hausdurchsuchung habe man etliche obszöne Fotografien, die er zum Teil selbst gemacht habe, gefunden, der sittliche Charakter des Herrn erscheine also nicht einwandfrei. Der Orden wird dennoch verliehen. Weitere Ehrungen folgen. Zum hessischen Verdienstorden gesellt sich ein hessisch-darmstädtischer Hofratstitel.

Pachinger hat zu diesem Zeitpunkt die österreichische Staatsbürgerschaft abgelegt und gegen die deutsche getauscht. Er lebt nun fix in München. Seine Sammlung an Weihemünzen und Wallfahrtsmedaillen stiftet er 1917 dem Münzkabinett in Wien, bekommt im Gegenzug den Orden der Eisernen Krone III. Klasse verliehen. Dies zog bis 1884 automatisch die Nobilitierung nach sich. Nachdem der Orden aber relativ inflationär vergeben wurde, geht man mittlerweile selektiver vor – Pachinger bleibt Bürger. Und verarmt durch die Geldentwertung – wie viele andere auch.

In den Jahren nach dem Krieg ist er gezwungen, Stücke aus seiner Sammlung zu verkaufen. Wohl im Zuge der Notwendigkeit, Geld zu verdienen, lässt er sich 1922 vom Amtsgericht München als Sachverständiger für alte Kunst beeiden. Die Nürnberger Pläne erodieren, Linz rückt wieder in den Fokus.

Pachinger träumt von einem Pachineum. 1927 überlässt er der Stadt seine Sammlungen und seine beiden verbliebenen Häuser; im Gegenzug erhält er eine einmalige Zahlung von 2.000 Goldmark, eine monatliche Rente von 600 Goldmark, nebst lebenslangem Wohnrecht, Grab und Grabpflege ad ultimo. Die Meinungen, ob das Geschäft für die Stadt ein gutes ist, sind von Anfang an geteilt.

In den elf Jahren, die dem Hofrat noch bleiben, wird das Verhältnis zwischen Pachinger und seiner Heimatstadt immer schlechter. Der Sammler macht Schwierigkeiten; will die Rente steuerfrei, ein eigenes Museum, die Ehrenbürgerschaft. Nachdem er sich im Vertrag auch die Verwaltung der Sammlung und die Schlüsselgewalt über die Räumlichkeiten ausbedungen hat, wird es zunehmend schwierig, mit den Beständen zu arbeiten. Im Herbst 1936 wird publik, dass Pachinger seit vier Jahren nicht mehr in Linz gewesen ist. Es bestehe akute Gefahr, namentlich für die Textilsammlung, durch Mottenfraß.

Doch wie der im Sternzeichen des Skorpions Geborene und für Esoterik Empfängliche einmal schrieb, sind Skorpione nur selten schwachen Charakters, sind geeigneter, andere zu führen, als zu dienen. Die Motten schwirren weiter. In Linz fügt man sich drein und wartet auf das Ableben. Tatsächlich sind die ärztlichen Bulletins ermutigend: die Nieren, das Herz, der Zucker. Es besteht Hoffnung für Adalbert Stifters Hauskappe.

1937 bricht Pachinger seine Zelte in München ab und begibt sich nach Österreich. Linz kommt als Wohnort für ihn nicht mehr infrage, er lässt sich in Graz nieder, nimmt wieder die österreichische Staatsbürgerschaft an. Kurz darauf übersiedelt er aus Gründen, die im Dunklen bleiben, nach Wien, wo er am 30. November 1938 im Sophienspital an Diabetes mellitus verstirbt. Drei Tage später wird die Leiche in der Feuerhalle der Stadt Wien kremiert, die Asche am 28. Jänner 1939 am Barbara Friedhof in Linz beigesetzt. Die Inventarisierung seiner Sammlung wurde 2019 abgeschlossen.