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Abseits vom Elfenbeinturm

Seit zwei Jahren wird an ihm gebaut, jetzt ist der neue MED Campus I direkt neben dem Kepler Klinikum fast fertig – und bereit, in seinen Räumen ganz neue Schwerpunkte der medizinischen Forschung zu setzen. Im Mittelpunkt steht dabei vor allem eine große Herausforderung: Wie kommt das, worüber hier nachgedacht wird, punktgenau beim Patienten an?

Von Markus Rohrhofer

Der neue Medizinische Campus der JKU.

Vom Campus auf der grünen Wiese zum innerstädtischen Studentenleben: Im heurigen Herbst fallen nicht nur die Blätter, sondern vor allem auch der Vorhang für den neuen Medizincampus der Johannes Kepler Universität. Seit über zwei Jahren wird inmitten der Landeshauptstadt direkt neben dem Kepler Klinikum gebaut. Rund 105,4 Millionen Euro werden in den neuen MED Campus I investiert. Das Herzstück der medizinischen Ausbildung in Linz wird künftig die geistige Heimat für rund 1.800 Studierende sein.

Interdisziplinäre Forschung

Das neue Forschungsgebäude am Campus bietet eine Vielzahl an bislang ungeahnten neuen wissenschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten: naturwissenschaftliche Doktorand*innen finden hier ebenso Platz wie forschende Kliniker*innen und die Grundlagenforschung. Der Bau bietet die Möglichkeit, sowohl in kleinstrukturierten Räumen als auch in Großraumbüros zu forschen und zu arbeiten. Der dadurch möglich gewordene intensive Austausch unter den Forschenden bildet die Grundlage für exzellente interdisziplinäre Forschung und wird auch zu zahlreichen neuen Forschungsprojekten führen.

Auf rund 12.500 Quadratmetern Nutzfläche entstehen um ein Atrium herum vier Baukörper für Büros, Bibliothek, Lehrräume sowie Labors. Für diese Gebäude werden die Grundmaterialien des Bauens – Stahl, Holz, Beton und Keramik – in ihrer Rohform verwendet.

Zu den herausragenden Alleinstellungsmerkmalen des Studiums Linzer Prägung gehört auch der konsequente Einsatz von State-of-the-Art-Technologie. Sei es das Training am virtuellen Seziertisch oder die virtuelle Anatomie im JKU medSPACE – die Nutzung zeitgemäßer technologischer Möglichkeiten bereitet die angehenden Mediziner*innen bestmöglich auf ihre Arbeit mit den Patient*innen vor.

Gesellschaftsforschung

Und das eigentliche Ziel ist im neuen Forschungstempel klar definiert: Es gilt, einen wesentlichen Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Probleme zu leisten. Womit sich auch die Wahl der großen Forschungsschwerpunkte wie klinische Altersforschung und Versorgungsforschung erklärt.

Krankheiten besser zu verstehen, deutlich rascher zu erkennen, dann zielgerichteter zu behandeln oder künftig gar zu vermeiden – dazu braucht es eine entsprechend starke medizinische Forschung. Und einen strategischen Rahmen. Ein Forschungsumfeld für Spitzenmediziner*innen, das den Blick in die Zukunft ermöglicht. Den letztlich zählt für das Wohl der Patient*innen nicht der Rückblick auf beachtliche Erfolge im Bereich der Gesundheitsforschung, sondern der Weitblick auf die neuesten Möglichkeiten des nationalen und internationalen wissenschaftlichen Fortschritts.

Lange und gesund zu leben – die Voraussetzungen stehen dafür heute insbesondere in Europa wohl besser denn je. Die Lebenserwartung hat sich vor allem auch angesichts der medizinischen Möglichkeiten in den letzten hundert Jahren fast verdoppelt. Die deutliche Lebensverlängerung beschert Mediziner*innen aber auch neue Herausforderungen. Sogenannte „Volkskrankheiten“ wie Diabetes, Krebs oder Demenzerkrankungen nehmen rapide zu. Womit sich der Kreis hin zum künftigen Linzer Forschungsschwerpunkt am MED Campus schließt.

Selten krank

Bewusst setzt man künftig in Linz aber auch in medizinischen Forschungsbereichen abseits der „Masse“ an. Bereiche, in denen es durchaus noch ein gehöriges Maß an Aufbauarbeit braucht.

Rund sieben Prozent der Bevölkerung leiden an einer von über 7.000 bisher bekannten seltenen Erkrankungen („Rare Diseases“). Ein Krankheitsbild gilt dann als selten, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Personen an dieser Krankheit leiden. Doch wie funktioniert Forschung in einem Bereich, in dem es eigentlich kaum Patient*innen gibt? Univ.-Prof. Wolfgang Högler, Vorstand der 2018 ins Leben gerufenen Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde am Kepler Uniklinikum, hat es sich zur beruflichen Aufgabe gemacht, mit seiner Forschungsarbeit den Bekanntheitsgrad seltener Erkrankungen deutlich zu erhöhen.

Der gebürtige Salzburger, der zuvor 14 Jahre in Sydney und Birmingham in seinem Fachgebiet tätig war, forscht an der Knochenkrankheit Hypophosphatasie. Die Erbkrankheit ist eine nicht heilbare Störung im Knochenstoffwechsel. Durch einen zu geringen Mineralgehalt in den Knochen kommt es zu schweren Fehlbildungen des Skeletts. Die Patient*innen – die meist eine lange Odyssee hinter sich haben, bis ihre Krankheit richtig erkannt wird – leiden an Rachitis, Knochenbrüchen, Muskelschwäche, Müdigkeit, rheumatischen Schmerzen und dem frühen Verlust der Milchzähne samt Wurzel. Bei einem von 100.000 Kindern wird eine schwere HPP-Verlaufsform diagnostiziert.

Ziel der medizinischen Forschung sei es generell immer, die medizinische Versorgung besser zu machen. Högler: „Ganz klar ist das Ziel eine bessere Diagnostik und eine bessere Therapie. Wir wollen in der Versorgungsforschung die besten medizinischen Tools erforschen und entwickeln.“ Dies funktioniere aber nur mit Studien am Patienten unter streng wissenschaftlicher Begleitung. „Wir probieren ja nicht einfach irgendetwas aus. Es ist für mich unverständlich, dass es Menschen gibt, die ernsthaft glauben, dass etwa im Zusammenhang mit Corona-Impfungen ein undefinierter Versuch stattfindet. Es gibt so strikte Kriterien, bis ein Medikament eine Zulassung bekommt. Da muss es absolut wirksam und sicher sein.“

Vernachlässigter Bereich

Ein besonderer Schwerpunkt sei am Kepler Klinikum aber vor allem die translationale Forschung: „Man trägt ein medizinisches Problem ins Labor und vom Labor zum Patienten. Translationale Forschung markiert die Schnittstelle zwischen klinischer und experimenteller Wissenschaft. Sie verbindet Grundlagenforschung mit der praktischen klinischen Anwendung von Forschungsergebnissen.“

Der Fachbegriff „Rare Diseases“ sei eigentlich „immer so ein komisches Wort“. Högler: „Das klingt immer so, als ob es niemanden interessieren sollte. Für die betroffenen Patienten, etwa 30 Millionen in Europa, ist es aber zumeist eine unglaubliche Belastung.“ Diese Patienten seien „massivst vernachlässigt“. Högler: „Diese Menschen werden oft alleingelassen und man kann sich eigentlich gar nicht vorstellen, was da an Leid passiert. Man hört bis heute auch nichts von diesen seltenen Krankheiten im Medizinstudium.“

Dennoch sei dieser Forschungssektor ein „vernachlässigter Bereich, wenn es etwa um Forschungsgelder geht“. Mittlerweile hätten aber viele Pharmafirmen verstanden, dass Forschung gerade in diesem Feld enorm wichtig ist. Högler: „Auch die seltenen Krankheiten werden mehr. Nehmen wir das Beispiel Epilepsie bei Kindern. Früher hat man gesagt: ‚Was ist das für eine Art von Anfall, wie oft kommt der?‘ Je nach Art des Anfalls hat man dann entsprechende Medikamente verabreicht. Wurde kein strukturelles Problem im Gehirn festgestellt, hat man auch nicht mehr nach dem Auslöser gefragt. Heute haben wir über 93 genetische Formen von Epilepsie. Eine individuelle Diagnostik und Behandlung ist somit heute möglich.“

Knirschendes Ende der Bewegungsfreiheit

Nicht minder von Bedeutung ist die medizinische Forschung im Bereich der bereits erwähnten „Volkskrankheiten“. Etwa bei der Arthrose als häufigste Gelenkerkrankung. Diese kennzeichnet sich durch eine Zerstörung der Knorpelschicht eines Gelenks und die daraus resultierenden Veränderungen der betroffenen Knochen. In der Folge verlieren die Patient*innen nicht nur die Möglichkeit, sich frei zu bewegen, sondern das Gelenk schwillt an und schmerzt.

„Über die Forschung haben wir die Möglichkeit, die Mechanismen der Arthrose besser zu verstehen, und wir können dadurch die Behandlungsstrategien entsprechend verändern“, erläutert Univ.-Prof. Tobias Gotterbarm, Lehrstuhlinhaber im Fach Orthopädie und Traumatologie der Medizinischen Fakultät des Kepler Universitätsklinikums Linz.

Im Moment würden „ganz viele Arthrosen mittels künstlicher Gelenke behandelt werden“. Gotterbarm: „Mechanische Eingriffe, die die Belastung des Gelenks verändern. Eigentlich haben wir keine ursächliche Therapie für die Arthrose, weil wir deren Mechanismen noch gar nicht alle verstanden haben.“

Im Zentrum eines Forschungsprojekts an der Universitätsklinik für Orthopädie am Kepler Universitätsklinikum steht daher der Gelenkerhalt als Alternative zum Gelenkersatz. „Unsere Forschung konzentriert sich auf das Zusammenspiel von körpereigenen Zellen, Wachstumsfaktoren und geeignetem Trägermaterial, um zukünftig die operativen Ergebnisse der Knorpeltherapie für den Patienten zu verbessern“, so Gotterbarm. Auch wenn die Endoprothetik sehr gute Resultate liefere, sei die Knorpelregeneration ein zentrales Forschungsthema der nächsten Jahre und Jahrzehnte.

Für Menschen, die an Arthrose leiden, kommt damit künftig wieder Bewegung in die Sache: Auf Basis der Forschung können neue Medizinprodukte, Gewebetransplantate sowie Medikamente entwickelt werden.

Hinter dem Glanz der neuen Campus-Fassade liegt also künftig stets eine entscheidende Frage auf dem Labortisch: Wie wird medizinische Forschung wirksam? Oder anders: Wie kommt beim „Endkunden“, dem Patienten, punktgenau an, was in der grauen Theorie erforscht wird?