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Das Ende der Starre

Die berühmte „neue Welt der Arbeit“ ist gar nicht so neu. Eigentlich. Wer von außen auf die großen, weiträumigen Büroflächen zugeht, die sich Unternehmen rund um den Globus in den letzten Jahren gezimmert haben, muss zwangsläufig an eine Einrichtung denken, die allgemein keinen guten Ruf genießt: das mehr oder weniger gute alte Großraumbüro.

Von ELISABETH POSTL

Das Rendering-Bild des LIT Open Innovation Center
Rendering/Collage: Riepl Riepl Architekten ZT GmbH

Das Großraumbüro hatte sein goldenes Zeitalter in den 1960er-Jahren. Organisationsmanager, Architekten und Ingenieure entwickelten große Arbeitshallen für Hundertschaften von Schreibtisch- und Telefonarbeitern. Sie analysierten Wegstrecken, Kommunikationsstrukturen, Pausenverhalten, um die wirtschaftlichsten, schnellsten Arbeitsweisen zu fördern. Wie kleine Ameisenstraßen zogen sie ihre Denkwege durch die Skizzen der Großraumbüros, die plötzlich der letzte Schrei geworden waren.

Was man dabei, in den Geburtsstunden dieser Bürolandschaften, vergessen hatte: dass der Mensch, der auf dem Papier in Organisationsclustern als Teil eines Organismus existierte, ein Individuum ist – mit eigenen Ohren, Augen, eigenem Hirn. Der Mensch bäumte sich auf gegen sein Benutztwerden in der Großraumstruktur, seine Degradierung zur Arbeitsstation, zum Werkzeug in der Produktionsstätte. Er verlangte, was ihm zustand: etwas mehr Freiraum, bitte. Der Freiraum wurde paradoxerweise in engen Einzelbüros gefunden. In den 1980er-Jahren war das Großraumbüro verschrien, die Bemühungen seiner Erfinder zerpflückt. Der Lärmpegel, der in den ersten prototypischen Großraumbüros etwa dem im Innenraum eines VW-Käfers aus den 1950er-Jahren entsprochen hatte, wich der Stille, das hieß auch: jeder für sich – still vor sich hin.

Woher kommt es also, dass schon seit einigen Jahren die Planer wieder zur Formel des Gemeinsamen greifen, werden sie um ein innovativ gestaltetes Büro gebeten? Eine zweite Chance dem Großraumbüro, quasi? So einfach darf man es sich nicht machen: Kontemporäre offene Büroflächen sind vielmehr die verrückteren Nichten des Großraumbüros, die kopfschüttelnd auf das Einstige zurückblicken, was ihnen wie eine Legebatterie für Büroarbeitsleistung erscheint.

Deswegen lohnt sich auch ein zweiter Blick auf die modernen Großraumbüros, die unter dem Begriff „neue Arbeitswelt“ firmieren: Sind sie erst einmal mit der Belegschaft befüllt, sieht man ihnen den Unterschied zum Altbekannten viel mehr an. Sie sind nicht einfach nur laut wie die Arbeitsstätten einst, hier gibt es oft stille Ecken, abgekapselte Einzelarbeitsplätze, Diskussionsfläche. Was die Planer – und die Unternehmen – gelernt haben: Wenn sich etwas weiterentwickelt im Büroleben, vielleicht auch unerwartet, muss man darauf reagieren, und zwar nicht drastisch negativ, sondern mit einem partizipativen Ansatz. Die, die im Büro sitzen, haben plötzlich auch die Möglichkeit, es zu gestalten.

Und natürlich hat jedes Unternehmen, das seinen Mitarbeitern solche Freiräume gibt, einen Hintergedanken. In einem Zeitalter, in dem die besten Arbeiter schnell weg sind, wenn Arbeitsbedingungen nicht stimmen, muss man aufrüsten – die Frage nach der Innovation beginnt also schon bei der räumlichen Struktur. Denn hinter starren Strukturen lassen sich starre Gedanken viel einfacher denken, als das in einem kollaborativen Umfeld der Fall ist.

„Der Austausch ist das Wichtige“

Auch die Johannes Kepler Universität Linz leistet sich nun einen solchen Innovationsschub. „Wo, wenn nicht an einer Uni, soll man neue Konzepte ausprobieren?“, meint Alexander Freischlager, der an der Universität verantwortlich für die Umsetzung des Großprojekts ist. LIT Open Innovation Center heißt das Gebäude, das seit Frühling 2018 gebaut wird und mit dem Wintersemester 2019/2020 seine Türen öffnen soll. Nicht nur den Forschern, sondern auch Studierenden, Absolventen und der Wirtschaft.

„Eine neue Arbeitswelt bedeutet, dass man neu denkt, dass man vernetzter arbeitet, dass man die Abteilungsstruktur und das Abteilungsdenken ablegt“, meint Freischlager. Er glaubt daran, dass im Open Innovation Center des Linz Institute of Technology „starker Austausch“ zu „neuen Ideen“ führen wird. Fix ist, dass ein Institut – jenes für Artificial Intelligence – und zwei Labs in die Büroflächen des Neubaus am Linzer Campus ziehen werden. Dazu kommen Uni-Mitarbeiter und Studierende, die die Flächen der Kunststofftechnik- Pilotfabrik und eines Physik- und Chemie-Reinraums nutzen werden– auch diese großen Einrichtungen sind im LIT Open Innovation Center angesiedelt. Neben Start-ups, die aus Uni-Projekten entstanden sind, sollen sich auch Unternehmen und Projektcluster, die ohnehin bereits mit der JKU zusammenarbeiten, dort einmieten.

Die Angst, dass wissenschaftliche Ideen von Unternehmern abgekupfert werden könnten, weil man sich vielleicht künftig einen Schreibtisch teilt, will Freischlager nehmen. „Die kommen nicht her und schöpfen Wissen ab“, man treffe Vereinbarungen über Intellectual Property – „und Patente werden in der Regel von der Uni gehalten“. „Der Austausch“, ergänzt Freischlager, „ist das Wichtige.“

Die Idee zum LIT Open Innovation Center wurde 2016 geboren. Damals wurde für die geplante Pilotfabrik eine Liegenschaft gesucht. Um den Mitarbeitern lange Wegstrecken zu Orten außerhalb des Campus zu ersparen, sei damals überlegt worden, wie man das Projekt am Campus realisieren könne, erzählt Freischlager, und dann habe man den Entschluss gefasst: Forschungsgruppen, die ohnehin schon eng zusammenarbeiteten, sollten doch künftig einen Ort erhalten, wo gemeinsame Synergien noch besser genutzt werden könnten. Das offen geplante Umfeld der Pilotfabrik sah man als idealen Nährboden dafür. Auch die Wirtschaftskomponente sei klar gewesen: „Die Institute legen großen Wert darauf, dass sie mit der Industrie und der Wirtschaft kooperieren. Unternehmen wollten sich immer wieder bei der Uni einmieten. Jetzt haben wir das Gebäude zum gezielten Austausch.“

Zwar wurden die Forschungsgruppen, bei denen ein möglicher Umzug wahrscheinlich war, schon früh in die Bedarfserhebung zur Planung des Projekts eingebunden, Gesprächsbedarf gab es dennoch, „besonders im Vorfeld“, sagt Freischlager. Ein Einwand: „Ein Wissenschaftler braucht einen abgeschlossenen Raum, in dem er nicht von anderen gestört wird.“ Freischlager hält dagegen, dass 95 Prozent der JKU-Arbeitsplätze herkömmliche seien – fünf Prozent würden nun durch das LIT Open Innovation Center „anders“. Nachsatz: „Wir müssen weg von dem Gedanken: Jeder hat sein eigenes Institut, jeder hat die Tür zu, man sieht sich nur, wenn man einen gemeinsamen Termin hat.“ Wer ins LIT Open Innovation Center geht, tue dies freiwillig: Das Team der Artificial Intelligence, erzählt Freischlager, habe sich etwa selbst für den Umzug entschieden – nachdem man aktuell schon in zwei Großraumbüros arbeite. Was für Unzufriedenheit sorge: „Die Gruppe im einen Büro kriegt nicht mehr live mit, was die andere Gruppe im anderen Büro macht. Die arbeiten aber nicht so, dass sie den ganzen Tag vor dem PC sitzen und schreiben, sondern sie testen selbstfahrende Autos, bauen Teststrecken auf, adaptieren diese weiter – das ist eine andere Art des Arbeitens.“ Lärmschutzkopfhörer will man der Fixbelegschaft des LIT Open Innovation Centers jedenfalls jetzt schon in die Bürogrundausstattung geben.

Freischlager erhofft sich das Entstehen „ganz neuer Sachen“ im neuen Gebäude, in dem die Belegschaft auf zwei offenen, galerieartigen Ebenen aufeinandertrifft. Neben der offenen Gestaltung gibt es auch viele Besprechungsräume, Telefonboxen und -kojen und Teeküchen – sowie einen Präsentationsraum im Untergeschoß, wo nebenbei auch ein Supermarkt einziehen wird. Dort sollen technologisch neue Verkaufskonzepte erprobt werden.

Unzählige Firmen, allen voran freilich die großen, haben neue Arbeitswelten mittlerweile implementiert – und sind der JKU hier um einige Schritte voraus, wenn es um Erfahrungswerte geht. Die Zufriedenheit mit den Konzepten? Muss immer wieder hinterfragt werden. So wie die neuen Arbeitsräume Freiheiten versprechen, bringen sie auch steten Wandel.

Die Eingewöhnungsphase kann für manche Mitarbeiter länger dauern, bei anderen passt die jeweilige Arbeitsweise nicht in eine offene Struktur. In Linz hat man für die Belegschaft des LIT Open Innovation Centers jedenfalls eine eigene Betreuergruppe geplant, die beobachten soll, wie denn alles klappt, was man sich vorgenommen hat – oder auch nicht klappt. Wer also moderne Büroräume pflegt, sucht auch immer wieder Wege, seine Mitarbeiter in die Weiterentwicklung der Räumlichkeiten einzubinden, Gegebenheiten abzustimmen. Im besten Fall bieten moderne Bürostrukturen neben dem Austausch und der Möglichkeit, Synergien zu nutzen, auch Rückzugsorte, um allein sein zu können.