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Daten statt Geld

Die Digitalisierung stellt den Kapitalismus auf den Kopf und wirft Fragen auf: Verliert jener Macht, der viel Geld hat? Haben wir gegen neue Monopole noch eine Chance? Was kann die Politik noch beeinlussen?

Von Dietmar Mascher

Auch die Wirtschaft verändert sich durch Digitalisierung
Illustration: Istock / IAREMENKO

Politiker, Interessenvertretung und Medien aus Europa besuchen gern das Silicon Valley. Dort wird angeblich die Zukunft gemacht. Die größten und wertvollsten Firmen der Welt sind in den vergangenen Jahren dort gewachsen. Facebook, Google und Apple sind dort groß geworden. Der Kapitalismus hat dort nicht mehr das Gesicht eines Zigarren paffenden Nadelstreif-Dreiteiler-Trägers, der seine genagelten Maßschuhe mit einem dicken Teppich schalldämpft, sondern wird repräsentiert von Hornbrillenträgern mit schleißigen Chinos und Motto-T-Shirts, die ihr Understatement in einem Elektroauto spazieren führen (aber auch mit diesem im Stau stecken, der das Valley plagt). Der Kapitalismus hat seinen öffentlichen Auftritt verändert durch die Digitalisierung. Viel relevanter ist aber: Er hat sich grundsätzlich gewandelt. Während der vor 200 Jahren geborene Karl Marx in seinen Betrachtungen des Kapitalismus die Machtverhältnisse im System so beschrieb, dass jene mit dem Geld das Sagen haben, weil es das knappe Gut sei, das es zu vermehren gilt, scheinen sich nicht nur im sonnigen Kalifornien die Prioritäten verändert zu haben. Nicht mehr Geld, sondern Daten sind das Kapital, um das es geht. Wer die Daten hat, hat die Macht, kann diese für die Erweiterung seines Netzwerks einsetzen, noch mehr Daten generieren und im Idealfall (für den Besitzer) ein Monopol aufbauen oder sich zumindest ein Oligopol mit ein paar Konkurrenten teilen. Das deutsche Handelsblatt zitierte jüngst Manager aus dem Silicon Valley, wonach das Kapital in Form von Geld zum Bittsteller geworden sei. Geld sei die Commodity und müsse sich anstellen, um Ideen zur Weiterführung der Digitalisierung bereitstellen zu dürfen. Und es stelle sich bereitwillig an, weil es auf Sparbüchern und anderen Anlageformen wenig Chancen auf Vermehrung habe.

Kapitalismus ohne Kapital?

Der englische Ökonomie-Professor Jonathan Haskel hat sein jüngstes Buch zu diesem Thema „Capitalism without Capital“ genannt. Wobei der Titel etwas irreführend ist, wie er selbst sagt. Gemeint ist Kapitalismus ohne sichtbares Kapital. In der Marktwirtschaft nach bisheriger Lesart, auch der von Marx, wurden Fabriken gebaut, um ein Produkt herzustellen. Ist die Nachfrage gut, wird eine weitere Fabrik gebaut, die für den Unternehmer wiederum sichtbares Kapital bildet. Diese Form der Ökonomie würde es Konkurrenten erlauben, ins Geschäft einzusteigen. In der heutigen Form des Kapitalismus dagegen wird die Rolle von unsichtbarem Kapital immer wichtiger. Gemeint sind Patente, Rechte, Ideen und Daten (etwa von Kunden), aber auch Franchise-Konzepte. Alles zusammen ermöglicht es Unternehmen, relativ einfach Geschäftsmodelle zu entwickeln, die sich weltweit mit fast null Grenzkosten ausweiten lassen. Das wiederum begünstigt einzelne Betriebe und Monopolisierung, weil es Konkurrenten schwerfalle, ins Rennen einzusteigen. Wer solle da noch eine Konkurrenz zu Google, Facebook oder Amazon aufbauen, lautet die eher schon rhetorische Frage. Ob diese Entwicklung gut ist oder die Weltwirtschaft damit in eine völlig falsche Richtung steuert, darüber diskutiert auch die Wirtschaftswissenschaft. Walter Ötsch, an der Johannes Kepler Universität emeritierter Ökonom und Kulturwissenschafter, spricht von einem Scheitern der Monopolkontrolle sowohl bei den Finanzials auch bei den IT-Konzernen. Die Probleme würden zurückreichen auf den Liberalismus der Chicago School of Economics, die sich seinerzeit gegen die deutschen Ordoliberalen durchgesetzt hatte, welche der Marktwirtschaft ein rechtlich stringenteres Korsett inklusive Monopolkontrolle verpassen wollten. Die Folgen habe man bei der Finanzkrise 2008 sehen können, und diese würden auch jetzt in der Monopolbildung durch Google, Amazon oder Facebook sichtbar, sagt Ötsch, der generell zum Thema Digitalisierung eine sehr ambivalente Haltung einnimmt. Seit der Finanzkrise habe es kein reales Wirtschaftswachstum gegeben. Die Produktivitätsgewinne durch die Digitalisierung seien äußerst bescheiden, sagt Ötsch. Diese Monopolbildung spricht auch JKU-Volkswirtschaftsprofessor Rudolf Winter-Ebmer an. „Sie ist auch deshalb so stark, weil es sich um Netzwerkprodukte handelt: Das Produkt wird umso wertvoller, je mehr Personen es kaufen. Ein Beispiel: Die Hotelbuchungs-Website wird umso populärer, je mehr Hotels mitmachen. Je mehr Hotels mitmachen, desto mehr Kunden wollen auch auf dieser Website surfen usw. Dies führt zwangsweise zu einer Monopolisierung, weil – ökonomisch gesprochen – der Nutzen oder Gewinn jedes Mitglieds ansteigt, wenn mehr andere mitmachen.“ Das zeigt sich übrigens auch bei Netflix, das Mitgliedern eine ganze Welt von jederzeit verfügt und abrufbaren Filmen, Serien und Dokumentationen zu einem Monatspreis anbietet, der dem Preis einer einzigen Kinokarte entspricht.

The Winner Takes It All?

Dieses Beispiel zeigt freilich, dass Konsumenten auf den ersten Blick auch von einem Monopol oder Oligopol profitieren können, solange der Anbieter noch wachsen will. Was danach kommt, ist freilich eine andere Geschichte. Müssen wir uns damit abfinden, dass sich das Prinzip „The Winner Takes It All“ durchsetzt? Und was kann man dagegen tun? Teodoro Cocca, Professor für Asset Management an der JKU, zweifelt zunächst einmal grundsätzlich daran, dass sich gegenwärtig eine Phalanx weniger Unternehmen bildet, die auf Dauer alles beherrscht. „Denken Sie zurück an IBM. Das war einst die mächtigste Firma der Welt. Und sie verpasste den Trend zum PC. Microsoft war sehr mächtig und verpasste den Internet-Trend. Ähnliches galt für Apple. Und heute fürchtet man sich vor Google oder Facebook. Ich wage allerdings die These, dass wir in ein paar Jahren über ganz viele Firmen reden, die dann sehr mächtig sein werden“, sagt Cocca. „Erfolgreiche Firmen sind in der Phase ihres größten Erfolgs meist genau davon geblendet und verlieren an Innovationskraft.“ Freilich könnte das auch einmal länger dauern, weshalb klare Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, um die Monopolbildung zu verhindern. „Diese Rahmen sollen aber nicht das Ziel haben, Innovationen zu verhindern. Sie sollen Leitplanken sein, innerhalb derer sich die unaufhaltsame digitale Innovation abspielen kann“, sagt Cocca und sieht in der öffentlichen Diskussion über Datenschutz, Privatheit und Verwertung der Daten positive Entwicklungen. Nicht nur die Firmen hätten ein weltweites Netzwerk, sondern auch die Kunden. Und diese könnten sehr rasch gemeinsam Druck aufbauen, wie das jüngste Beispiel von Facebook zeige. „Das globale Dorf kann durchaus mächtig sein“, sagt Cocca.

Staat ist gefordert

Rudolf Winter-Ebmer verweist auf die Geschichte, in der die Politik sehr wohl Monopole aufbrechen konnte bzw. natürliche Monopole gut reguliert hat. „Bei der Verlegung von Eisenbahnschienen oder Telefonleitungen ist es aus Kostengründen auch sinnvoll, wenn das eine (Monopol) Firma macht. Die Regulierungsbehörde gewährleistet dann, dass die Preise bescheiden bleiben und die Versorgungssicherheit garantiert wird. Bei den neuen Netzwerkmonopolen scheint mir das auch eine gangbare Lösung, dass eine Regulierungsbehörde hier versucht, Konsumentenwohlfahrt, Steuereinnahmen und Innovationen auszutarieren“, sagt Winter-Ebmer. Auch steuerlich sehen die Ökonomen Ansätze zur Regulierung, selbst wenn es einfacher ist, Grund und Boden oder Unternehmensgewinne klassischer Produzenten zu besteuern. Aber mit der Einführung digitaler Betriebsstätten gebe es einen guten Ansatz, sagt Cocca. Auch Winter-Ebmer, der Jonathan Haskel aus der Zeit seiner Forschungen über Arbeitsmärkte kennt, sieht nicht ein, „… unsichtbares Kapital nur deshalb nicht zu besteuern, weil es leichter zu hinterziehen ist.“ Die Digitalisierung wird die Gesellschaft noch massiv verändern. Allein die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt werden noch vielfach unterschätzt. Ob es tatsächlich zu einer Erosion einzelner Branchen kommt, wird sich zeigen. „Aber jene Jobs, die sich so exakt beschreiben lassen, dass man daraus ein Computerprogramm machen kann, werden verschwinden“, sagt Arbeitsmarktexperte Winter-Ebmer. Auch hier sei der Staat gefordert, etwa mit einer Retrainingsgarantie für betroffene Arbeitnehmer.

Staat muss früher reagieren

Cocca ist zuversichtlich, dass es gelingt, einen Rahmen zu schaffen, in dem Digitalisierung die Menschen weiterbringt und nicht ein paar Datenkraken im rechtsfreien Raum das Sagen haben. Allerdings bedürfe es einer „digitalen Aufklärung“ und einer öffentlichen Diskussion über Datenmissbrauch. Und schließlich müssten Behörden und Staat technologisch aufholen, um schon früher auf Missstände reagieren zu können. Vielleicht eine lohnende Aufgabe für die Universitäten?