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Der konstante Nobelpreisträger

Die „Kepler Tribune“ hat Physik-Nobelpreisträger Klaus von Klitzing (74) und JKU-Professor Armando Rastelli (43), Leiter der Abteilung für Halbleiterphysik, gemeinsam zum Interview getroffen.

Von ALFONS KRIEGLSTEINER

Klaus von Klitzing, Armando Rastelli, Alfons Krieglsteiner und Meinhard Lukas im Gespräch
Klaus von Klitzing, Armando Rastelli, Alfons Krieglsteiner, Meinhard Lukas. Foto: Fotostudio R. Holitzky.

Im Ski- und Wanderhotel Steffner in Mauterndorf im Lungau kann man mit Physik-Nobelpreisträger Klaus von Klitzing ins Gespräch kommen. Gelegenheit dazu bot sich Anfang März bei der Winterschool der Johannes Kepler Universität, die seit 1985 im Zweijahresrhythmus abgehalten wird. Zum zwanzigsten Mal fand sie heuer statt. 300 Spitzenforscher und Studierende aus ganz Europa kamen zum Gedankenaustausch. 30 Vortragende gaben Einblick in die aktuelle Forschung auf dem Gebiet der Festkörperphysik, darunter mit Frederick Duncan Michael Haldane von der US-Universität Princeton ein weiterer Nobelpreisträger. Schauplatz des Gesprächs mit Professor von Klitzing ist ein Nebenraum des Hotels. Drei LED-Lampen lehnen kreuzweise an der Steinmauer, Stirnund Seitenwand zieren überdimensionale Tafelbilder mit asymmetrisch verzerrten Formen und kompakt fließenden Farben. Klitzing – charmant, redegewandt, charismatisch – lässt die vergoldete Kopie der Nobelpreismedaille von Hand zu Hand gehen, dann bestellen wir einen Verlängerten. Auch Armando Rastelli, Leiter der Abteilung Halbleiterphysik der JKU und Organisator der diesjährigen Winterschool. Da ist JKU-Rektor Meinhard Lukas baff: „Ich dachte, Italiener trinken nur einen Espresso!“ Aber Physiker sind halt für Überraschungen gut. Und die Physik auch, wie sich im folgenden Gespräch für die „Kepler Tribune“ erweist.

Herr Professor Rastelli, sprechen wir zuerst über die Winterschool. Sie geht ja auf Ihren Vorgänger Günther Bauer zurück.

Rastelli: Ja, er hat sie 1980 gemeinsam mit Helmut Heinrich ins Leben gerufen. Heinrich leitete damals in Linz das Institut für Festkörperphysik, Bauer war noch an der Montanuniversität Leoben, er kam erst später nach Linz. Die erste Edition der Winterschool gab es in Mariapfarr, wo Professor Heinrich ein Haus hatte und gute Kontakte zur Gemeinde pflegte.

Klitzing: Ich war schon beim Auftakt dabei, habe noch das Original der Einladung. Bauer schickte mir ein Telex, das war 1979 die schnellste Form der Kommunikation. Da hat er mich eingeladen, nächstes Jahr an der Winterschool teilzunehmen. Ich war ein junger Postdoc in Grenoble. Drei Wochen vorher habe ich den Quanten- Hall-Effekt entdeckt, für den ich den Nobelpreis bekommen habe. Wegen dieser Entdeckung bin ich seither auch regelmäßig zur Winterschool gekommen. Auch heuer fiel wieder in allen Vorträgen mindestens zehnmal der Name „Quanten-Hall-Effekt“.

Was war das Konzept der Winterschool?

Klitzing: Auf jeden Fall ging es darum, eine hochqualifizierte Tagung zu veranstalten. Dieses Format hat sich mittlerweile weltweit bewährt, es bringt exzellente junge Studenten in Kontakt mit Spitzenforschern. Günther Bauer hatte schon immer einen exzellenten Draht zu Koryphäen in der ganzen Welt. (Der Professor holt ein altes Schwarz-Weiß-Foto aus seiner Mappe und legt es auf den Tisch.)

Klitzing: Sehen Sie, dieser junge Bursche da im hellen Hemd, das bin ich. Damals, im Jahr 1985, habe ich gerade den Ruf an die TU München bekommen, ich war ein floatender Wissenschafter, ich hatte ein Stipendium und konnte überall hingehen. Zunächst hatte ich mich für Grenoble entschieden, weil da besondere Magnetfelder waren, die für mich wichtig waren. Dann wurde ich in München als junger Assistent angenommen. In München habe ich erstmals über meine neue Entdeckung vorgetragen.

Und schon damals hat auch Linz eine wichtige Rolle gespielt?

Klitzing: Das Zentrum der Halbleiterphysik in Österreich war damals Wien. In Linz begann es erst so richtig mit Günther Bauer. Wir kannten uns hauptsächlich daher, dass wir uns um dieselben Lehrstühle im Fach Halbleiterphysik beworben hatten.

Wie kann man Halbleiterphysik einem Laien erklären?

Rastelli: Es ist ein Teil der Festkörperphysik. Halbleiter sind die Materialien, die in allen elektronischen Geräten stecken, Handy, Laptop, Laser, Leuchtdioden. Anfangs waren reine Halbleiter sehr schwer herzustellen, sie waren voll mit Verunreinigungen, die dann das ganze Verhalten bestimmt haben. Erst als die Reinheit einen hohen Grad erreicht hatte, sind die Anwendungen gekommen. Ohne die Halbleiterphysik würde die Welt heute ganz anders ausschauen.

Klitzing: Das wichtigste Halbleiter-Bauelement ist ein Schalter, der den Zustand zwischen nichtleitend und leitend herstellt. Jeder Computer, alle elektronischen Elemente verwenden solche Schalter. In meiner Grundlagenforschung ging es darum, zu verstehen, wie in einem Halbleiter die Elektronen fließen, die ja die Leitung machen.

Womit wir beim Nobelpreis wären.

Klitzing: Ich weiß noch genau den Zeitpunkt, am 5. Februar 1980 um 2 Uhr morgens, da sah ich bei einem Experiment etwas, was ich zunächst nicht verstanden habe, etwas fundamental Neues: dass in einem Halbleiter- Bauelement, das vom Isolator zum Metall umschaltet, ein neuer elektrischer Widerstand entdeckt werden kann. Die Messungen habe ich an Siliziumbauelementen vorgenommen, die ich von Siemens erhalten hatte und wollte verstehen, wie man diese Schaltungen noch schneller machen kann und wie sich die Elektronen im Halbleiter bewegen. Dazu muss man ihre Anzahl kennen. Und die kann man dann variieren – von null bis zu einem Maximalwert. Bei einem Isolator sind null Elektronen da, und wenn es ein guter Leiter ist, sind es viele Elektronen. Und sind es viele Elektronen, misst man einen Hall-Effekt.

Woher kommt der Name Hall?

Klitzing: Von dem US-Physiker Edwin Hall, der ihn 1879 beschrieb. Er fand heraus, dass die Elektronen abgelenkt werden, wenn man an einer dünnen Kupferfolie, in der Strom fließt, ein Magnetfeld anlegt. Diese Ablenkung kann man messen und bekommt so Informationen darüber, wie viele Elektronen überhaupt vorhanden sind. Das ist eine Routinemessung, und die habe ich 1980 in Grenoble auch gemacht. Mit dem Unterschied, dass ich eine zweidimensionale Fläche verwendet habe, wo die Elektronen nicht senkrecht ausbrechen konnten. Ich habe also an extrem dünnen Schichten gearbeitet, musste dann nur den normalen, klassischen Hall-Effekt messen und starke Magnetfelder haben – dann gab es etwas Neues.

Was war dieses Neue?

Klitzing: Im Endeffekt wurde ein elektrischer Widerstand gemessen, der immer denselben Wert hat, nämlich 25812 Ohm. Ich habe also einen fundamentalen elektrischen Widerstand entdeckt, der nicht beeinflussbar war, sondern von der Natur gegeben.

Wie erging es Ihnen in der Nacht Ihrer großen Entdeckung?

Klitzing: Bis 6 Uhr früh habe ich immer wieder nachgemessen, immer mit demselben Resultat. Dann habe ich in der physikalisch-technischen Bundesanstalt in Braunschweig angerufen, dem Eichamt für Präzisionsmessungen. Ich habe gefragt: „Seid ihr interessiert an einem elektrischen Widerstand, der von Fundamentalkonstanten abhängt?“ Die luden mich dann gleich zu einer internationalen Konferenz ein, wo ich zum ersten Mal meine Entdeckung vorgetragen habe. Dann wurde sie in den Physical Review Letters veröffentlicht und weltweit bekannt.

Was steckt hinter solchen Naturkonstanten?

Klitzing: Wir wissen, dass unser Universum ein anderes wäre, wenn die Naturkonstanten einen anderen Wert gehabt hätten. Da stellt man sich natürlich die Frage: Ist das Zufall, ist es Design, gibt es Parallel-Universen, in denen wir eine andere Kombination von Fundamentalkonstanten haben?

Neigen Sie einer Antwort zu?

Klitzing: Nein, ich muss da auch noch viel lernen. Ich werde jetzt mit dem Papst einmal darüber reden. Das ist ernst gemeint. Ich bin Mitglied der Akademie der Wissenschaften des Papstes. Bei der nächsten Sitzung im November habe ich mir vorgenommen, darüber zu reden.

Wie hat der Nobelpreis Ihr Leben verändert?

Klitzing: Es ist eine Bürde, man muss plötzlich zu allem Möglichen Stellung nehmen. Andererseits sind Nobelpreisträger diejenigen, die keine Lobbyisten sind und die man ernst nimmt, wenn sie etwas sagen. Man hat Einfluss und man wird eine moralische Autorität.

Wie war der Moment, als Sie vom Nobelpreis erfuhren?

Klitzing: In der „Bild“-Zeitung stand mein Name schon, bevor sich das Preiskomitee in Stockholm zur entscheidenden Sitzung zusammengesetzt hatte, ich war ja der Einzige auf der Kandidatenliste. Um 11.36 Uhr am 16. Oktober 1985 rief dann das Komitee an. Ich hatte meiner Sekretärin gesagt, ich verziehe mich mit meinen Studenten in ein anderes Gebäude, wo wir in Ruhe arbeiten konnten. Dann haben wir über Physik geredet.

Worüber sonst.

Klitzing: Ja, und dann kam der Anruf. Da sagten sie: In fünf Minuten haben wir die Pressekonferenz, da wird es offiziell bekannt gegeben. Wenn Sie Ihre Frau anrufen wollen, machen Sie das jetzt! Ich muss sie wohl angerufen haben, das weiß ich gar nicht mehr. Meine erste Frage bei dem Anruf aus Stockholm war: „Mit wem teile ich den Preis?“ Da sagten sie: „Sie haben ihn allein!“ In der Physik gibt es nur zwei Personen, die ihn zu ungeteilten Handen bekommen haben: 1969 den US-Teilchenphysiker Murray Gell- Mann und 1985 mich.

Professor Rastelli, wie würden Sie diese Entdeckung für die Gesamtentwicklung der Halbleiterphysik einordnen?

Rastelli: Das war eine entscheidende Entdeckung. Wir versuchen jetzt in Linz dafür eine Anwendung zu finden. Wir nutzen nulldimensionale Systeme, also Quantenpunkte, in denen die Bewegung der Elektronen komplett eingeschränkt ist, als Lichtquellen. Wenn man Quantenlichtquellen hat, kann man wohldefinierte Zustände von Licht erzeugen und man kann die Prinzipien in der Quantenmechanik zur sicheren Datenübertragung nutzen. Denn nach den Gesetzen der Quantenmechanik ändert sich der Zustand eines Objektes im Moment, in dem man es misst oder anderweitig beobachtet. Wenn ein „Spion“ versucht, eine solche Information zu lesen, zerstört oder ändert er sie sofort. Der rechtmäßige Empfänger und Sender kommunizieren aber parallel auch durch den klassischen Kanal und können auf diesem Weg nachprüfen, ob sich etwas geändert hat, also ob jemand versucht hat, „ihre“ Information zu klauen.

Stichwort Grundlagenforschung, also Forschung um der Erkenntnis willen. Was sagt der Nobelpreisträger dazu?

Klitzing: Ich bin überzeugt, dass Erkenntnisgewinn die Grundlage des Fortschritts darstellt. Erkenntnisse gewinnt man aber nur, wenn man den Forschern Freiheit zugesteht. Freiheit macht kreativ. Wenn man hingegen unter Zeitdruck steht, ist das der Kreativität nicht förderlich. Wir müssen natürlich auch wissen, wo eine Nachfrage ist. Also mit welchen Leuten in der Industrie wir über eine Umsetzung reden können, wenn wir eine neue Erkenntnis gefunden haben.

Seit 1985 sind Sie eine „Konstante“ bei der Winterschool in Mauterndorf. Heuer war es voraussichtlich ihr letzter Auftritt. Was wünschen Sie der Veranstaltung für die Zukunft?

Klitzing: Dass sie auch weiterhin begabte junge Leute mit exzellenten Forscherpersönlichkeiten zusammenbringt und so die Basis für viele künftige Doktoranden legt, die die Physik weiterbringen. Denn ohne Doktoranden müssten wir aufgeben.