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Diese Kappe liest Gedanken

Lange war der Versuch, die Gedanken anderer Menschen zu lesen, der Parapsychologie vorbehalten. Heute sind es Neurowissenschaftler*innen, die mit ausgefeilter Technik die Vorgänge in unseren Gehirnen in Echtzeit entschlüsseln wollen. Der JKU könnte nun der nächste Schritt gelungen sein.

Von Thomas Brandstetter

Das Gehirn gilt als die komplexeste Struktur im bekannten Universum. An die hundert Milliarden Nervenzellen, verbunden durch 1000-mal so viele Synapsen, bilden ein gigantisches Netzwerk und damit die Grundlage unseres Geistes. Es ermöglicht uns, Pläne zu schmieden, in Erinnerungen zu schwelgen oder unsere Finger zu bewegen. Und auch wenn es damit jede von Menschen geschaffene Maschine bei weitem übertrifft, weisen die Grundprinzipien doch Parallelen auf. So wie die Berechnungen von Computern werden auch die Gedanken im Gehirn durch elektrische Ströme vermittelt.

Um diese Ströme zu messen, verwenden Neurowissenschaftler*innen sogenannte Brain-Computer-Interfaces (BCIs). Mit Elektroden, die außen auf der Kopfhaut platziert werden, versuchen sie, die schwachen Signale im Inneren des Schädels zu erfassen und daraus zu ermitteln, woran der Mensch gerade denkt. Dabei kommen üblicherweise spezielle Hauben zum Einsatz, die mit einigen Dutzend Elektroden bestückt sind. Jeder dieser Sensoren ist wiederum über ein Kabel mit einem externen elektronischen Gerät verbunden, in dem die Signale aufbereitet werden, um sie schließlich per Computer auswerten zu können. Am Institut für Integrierte Schaltungen der JKU wurden nun jedoch winzige Mikrochips entwickelt, die die Signalerfassung direkt in der Elektrode am Kopf erledigen und das Ergebnis drahtlos an ein zentrales Lesegerät übertragen können.

„Wenn die Kabel wegfallen, kann sich der Proband während der Messung frei bewegen“, erklärt der Biomediziner Christoph Guger, der mit seiner Firma g.tec BCI-Systeme entwickelt und gemeinsam mit der JKU an dem neuen Projekt arbeitet. Während Versuchspersonen heute in der Regel „fix verdrahtet“ an einem Tisch sitzen, wäre es mit der neuen Technologie in Zukunft etwa möglich, auch das Sozialverhalten von Personen zu analysieren. „Ebenso wäre es denkbar, jemanden mit einer drahtlosen BCI-Haube zum Beispiel auf ein Hochhaus zu schicken und zu untersuchen, was sich bei Höhenangst im Gehirn abspielt“, sagt Guger.

Um die kabellose Messung zu realisieren, haben sich die Forscher der von Prof. Harald Pretl geleiteten Arbeitsgruppe für energieeffiziente, analoge Schaltungen und Systeme der JKU an sogenannten RFID-Transpondern (Abkürzung für „Radio Frequency Identification“) orientiert, wie sie auch bei der Sicherung von Waren in Geschäften oder zur Speicherung biometrischer Daten in Reisepässen zum Einsatz kommen. Dabei handelt es sich um Chips, die kleine Datensätze per Funk über kurze Distanzen übertragen können.

Spielentscheidend: Energieaufwand, Größe und Gewicht der Mikrochips

„Die Herausforderung im aktuellen Projekt bestand darin, die Transponder so auf ihre Aufgabe zu optimieren, dass sie die Signale mit möglichst geringem Energieaufwand messen, verarbeiten und anschließend an das Lesegerät übertragen“, sagt Projektleiter Thomas Faseth von der JKU. Wie auch in anderen RFID-Anwendungen brauchen die Chips dafür keine eigene Stromversorgung in Form einer Batterie. Stattdessen gewinnen sie die benötigte Energie aus einem elektromagnetischen Feld, das vom Lesegerät ausgesendet wird. Alternativ dazu könnten auch winzige Solarzellen oder die allgegenwärtige Strahlung des Mobilfunknetzes genutzt werden.

Neben Energieverbrauch sind auch Größe und Gewicht von entscheidender Bedeutung, denn selbst wenn zur Zeit nur einzelne Prototypen existieren, sollen letztendlich bis zu tausend Sensoren auf einer einzigen BCI-Haube angebracht werden. Um Testpersonen mit einem solchen Gerät auch länger andauernde Messungen zumuten zu können, muss ein gewisser Tragekomfort gewährleistet sein. „Deshalb nutzen wir das ungeheure Potenzial der Mikroelektronik zur Miniaturisierung“, erklärt Faseth. Mit einigen Tricks und Kniffen sei es dann gelungen, die erforderlichen Spezifikationen zu realisieren und Chips mit einem Durchmesser von nur etwa einem Millimeter zu entwickeln.

Durch die signifikant höhere Anzahl an Sensoren auf der Kopfhaut erwarten sich die Wissenschaftler auch genauere Einblicke in die Gehirnaktivität. „Mit den momentan üblichen acht bis 74 Sensoren ist es bereits möglich, zu unterscheiden, ob jemand an die Bewegung seines linken oder seines rechten Armes denkt“, erklärt Guger. „Mit den angepeilten 1000 Messpunkten könnte es gelingen, auch einzelne Finger voneinander zu unterscheiden.“ Grundsätzlich haben nichtinvasive Messungen an der Kopfhaut das Problem einer eher geringen Auflösung, da sie die Signale nicht im Inneren des Gehirns abgreifen, wo sie entstehen. „Das ist etwa so, als würde man versuchen, durch eine dicke Wand eines von mehreren Gesprächen im angrenzenden Raum belauschen zu wollen“, sagt Guger. So lässt sich zwar feststellen, ob dort überhaupt gesprochen wird. Der Inhalt der einzelnen Gespräche bleibt aber verborgen.

Große Chance für Schlaganfall- Therapien und die Robotik

Mit direkt ins Gehirn implantierten Elektroden ist es dagegen jetzt schon möglich, Gedanken an einzelne Finger aufzuschlüsseln. In der Praxis tragen derzeit jedoch nur sehr wenige Menschen derartige Elektroden als dauerhafte Implantate in ihren Gehirnen. Und wenn, dann nur, weil es für sie aufgrund schwerer körperlicher Einschränkungen die einzige Möglichkeit ist, überhaupt noch mit ihrer Umwelt in Kontakt zu treten. Ein Fremdkörper im Gehirn stellt schließlich immer noch ein enormes Gesundheitsrisiko dar.

Mit der neuen Methode soll es nun gelingen, auch von außen eine ähnlich hohe Auflösung zu erreichen. So könnten etwa Schlaganfall-Therapien verfeinert werden, bei denen schon jetzt BCI-Systeme eingesetzt werden. Dabei sieht der Patient, während er an die Bewegung seiner gelähmten Gliedmaße denkt, wie diese in Echtzeit von einem Avatar auf einem Bildschirm durchgeführt wird. So werden die körpereigenen Spiegelneuronen aktiviert und durch wiederholtes Üben kann das Gehirn lernen, die Bewegung schließlich wieder selbstständig auszuführen. Guger zufolge könnten durch die verbesserte Auflösung die funktionellen Areale im Gehirn in Zukunft genauer identifiziert werden, um dem Patienten ein detaillierteres Feedback auf dem Bildschirm zu übermitteln. „Und auch in der Robotik wartet man gespannt auf verbesserte BCI-Systeme“, sagt Guger. Sie sollen es ermöglichen, nicht nur grobe Roboterarme, sondern auch die feinen Bewegungen von künstlichen Händen per Gedankenkraft zu steuern.