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Damit es aktuelle Gerichtsprozesse in die Medien schaffen, müssen sie meistens eines von drei Dingen erfüllen: Sie müssen besonders spektakulär oder blutrünstig sein. Oder aber jemand Berühmter hat sich danebenbenommen. Trotzdem lohnt es sich, mal einen Schritt zurückzugehen – und eine Zeitreise zu machen. In die Vergangenheit des Strafrechts zu einigen wichtigen Eckdaten und fünf ganz besonderen Ereignissen.

Von Michael Möseneder

Inkrafttreten der Constitutio Criminalis Theresiana durch Maria Theresia

Der Daumenstock, die Beinschraube, Auspeitschung, Schnürung oder Dehnung auf der Streckleiter. Noch 1768 wurden in der Constitutio Criminalis Theresiana Foltermethoden genau beschrieben und festgehalten.
Freilich, durch die Verankerung im Strafgesetzbuch wollte man zumindest einmal das „Was“ und das „Wofür“ einheitlich regeln und die Auswahl der Grausamkeiten beschränken. Somit gilt diese Reform bereits als
Abmilderung der bisherigen Strafmethoden bzw. als Vorbeugung von „übertriebener Härte“. Allerdings wurden Zeichnungen der technischen Anforderungen und Konstruktionspläne für Folterinstrumente in der Beilage
des neuen Strafgesetzbuches festgehalten und die hatten es immer noch in sich.

Folter konnte eingesetzt werden, um ein Geständnis oder Angaben zu möglichen Mittätern zu erzwingen – oder auch, um die Todesstrafe zu verschärfen: So sollen Frauen zuweilen vor der Vollstreckung der Todesstrafe
durch das Schwert mit einer glühenden Zange beide Brüste herausgerissen worden sein. Es ist dem Zeitgeist der Aufklärung und Maria Theresias Sohn und Mitregenten Joseph II. zu verdanken, dass 1776 die Folter in Österreich verboten wurde.
Doch laut einem Bericht von Amnesty International aus dem Jahr 2014 wird in 141 Staaten weltweit nach wie vor gefoltert. In manchen Fällen handle es sich um Einzelfälle, in anderen Staaten, etwa in China oder Syrien, würden Folterstrafen nach wie vor systematisch eingesetzt, um beispielsweise die politische Opposition einzuschüchtern. Traurige Berühmtheit erlangten Guantánamo, Abu Ghraib oder Bagram, wo die USA im „Krieg gegen den Terror“ Foltermethoden wie Waterboarding, Schlafentzug oder Elektroschocks einsetzten.

Erlass des Josephinischen Strafgesetzes für die Erbländer der Habsburger durch Joseph II.

Abschaffung von Leibesstrafen als Sanktionen für Straftaten

Abschaffung der Todesstrafe in Österreich

Wiedereinführung der Todesstrafe im Ständestaat

Hinrichtung von mehr als 1.200 Menschen durch das Fallbeil (Guillotine) in der Zeit des Nationalsozialismus

Die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen sind wohl die schwerwiegendsten Delikte, mit denen die heimische Justiz es je zu tun bekommen hat. Aber hat sie sich auch wirklich ausführlich damit beschäftigt? Wurden die Täterinnen und Täter des Holocaust oder der planmäßigen Ermordung Behinderter in der Zweiten Republik tatsächlich bestraft? Mag. Dr. Siegmar Lengauer von der Abteilung Grundlagen und Wirtschaftsstrafrecht am Institut für Strafrechtswissenschaften kennt die Antworten.

Der Wille der von den Alliierten befreiten Österreicher war zu Beginn durchaus noch vorhanden: Bereits vor dem offiziellen Kriegsende in Europa erließ die provisorische Regierung Renner ein Kriegsverbrecher- und das Verbotsgesetz. In den vier Oberlandesgerichtssprengeln wurden Volksgerichte mit Laienrichterbeteiligung geschaffen, die von 1945 bis 1955 tätig waren.

Der Großteil der insgesamt 13.634 Verurteilungen durch diese Volksgerichte fiel jedoch bereits in den ersten beiden Jahren nach Kriegsende. Rund die Hälfte davon, exakt 6.871 Urteile, betraf sogenannte NS-Gewaltverbrechen, weiß Lengauer. 75.613 Ermittlungsverfahren wurden dagegen eingestellt. Nach dem Abzug der alliierten Mächte wurden nicht nur die Volksgerichte aufgelöst, auch der Verfolgungseifer nahm merklich ab. Nach 1955 kam es bis heute nur noch zu rund 50 Anklageerhebungen wegen NS-Verbrechen, die zu 18 Verurteilungen führten. Der Rest wurde entweder eingestellt oder endete mit Freisprüchen.

Woran es lag, dass zehn Jahre nach Kriegsende das Interesse erlahmte? Lengauer sieht mehrere Gründe: „Die österreichischen Parteien wollten beziehungsweise konnten auf die Stimmen ehemaliger NSDAP-Mitglieder nicht verzichten. Zu bedenken ist aber auch, dass der Großteil der österreichischen Bevölkerung nach Ende des Zweiten Weltkrieges den Blick lieber in die Zukunft richten wollte. Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist dabei auch die Opfererzählung, die sich im allgemeinen Bewusstsein verfestigen konnte.“ Aus Fehlern sollte man aber lernen: „Umso wichtiger ist es, dass heutige Generationen sich weiterhin mit dieser Thematik befassen und ihre Schlüsse aus der Vergangenheit ziehen“, meint Lengauer.  

Einführung der Volksgerichte, bestehend aus zwei Berufsrichtern und drei Schöffen, zur Ahndung von NS-Verbrechen und Verstößen gegen das NS-Verbotsgesetz

Internationale Deklaration der Menschenrechte. In Österreich ist die EMRK in der Verfassung verankert und hat damit besondere Auswirkungen auf das Strafrecht.

Der Beginn der Covid-19-Pandemie führte im Jahr 2020 auch auf einem weniger beachteten Gebiet zu einem Rückgang: Mit mindestens 483 staatlichen Hinrichtungen registrierte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International so wenig vollstreckte Todesurteile wie seit zehn Jahren nicht mehr.

Österreich fehlt in der Liste der 18 Staaten, die Hinrichtungen durchführen – aber seit wann eigentlich? Tatsächlich ist es erst seit 1968 endgültig unmöglich, dass ein heimisches Gericht einen Delinquenten zum Tode verurteilt. Erst damals wurde diese Möglichkeit auch im standrechtlichen Verfahren – das beispielsweise während Kriegen eingeführt werden kann – abgeschafft. 18 Jahre zuvor, also 1950, entschloss sich der Gesetzgeber, auf die Todesstrafe im ordentlichen Strafverfahren zu verzichten. Nach alliiertem Recht war eine Hinrichtung dagegen noch bis zum Abzug im Jahr 1955 eine Option. Doch bereits 1787 wurde unter Kaiser Joseph II. erstmals staatlicherseits darauf verzichtet, im ordentlichen Verfahren Verurteilte zu töten. Allzu lange hielt die Liberalisierung nicht an: Acht Jahre später konnte man für Hochverrat wieder exekutiert werden, ab 1803 dann auch für andere Verbrechen. Erst nach dem Fall der Habsburger und der Ausrufung der Republik wurden die Henker – in Österreich war Erhängen die bevorzugte Hinrichtungsmethode – vorübergehend wieder arbeitslos. 1919 wurde die Todesstrafe im ordentlichen Verfahren erneut abgeschafft. Bis 1934, als die austrofaschistische Dollfuß-Diktatur sie wieder zuließ. Auch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft machte nach dem „Anschluss“ ausgiebig von der Sanktionsmöglichkeit Gebrauch.  

Inkrafttreten des österreichischen Strafgesetzbuches (StGB) – umfassende und grundlegende Modernisierung des Strafrechts. Betonung des Schuldprinzips sowie des Präventionszwecks.

Weitere Reform des Strafrechts durch das Jugendgerichtsgesetz (JGG)

Vor 27 Jahren wurde die JKU selbst zum Tatort. Genauer, zum Vorfallsort, denn wenn ein Strafgefangener wie Tibor Foco flüchtet, ist das juristisch gesehen nicht strafbar. Es war der 27. April 1995, als der wegen Mordes an einer Prostituierten zu lebenslanger Haft verurteilte Foco auf dem Weg zu einer Jus-Vorlesung zwei Justizwachebeamten entkam und im Getümmel der Uni untertauchte. Die Flucht war penibel geplant: In einer Garage wartete ein Motorrad auf den ehemaligen Rennfahrer, mit dem er sich zunächst nach Tschechien absetzte, ehe er – bis heute – untertauchte.

Das Studium wurde Foco genehmigt, nachdem er angekündigt hatte, für eine Wiederaufnahme seines Verfahrens kämpfen zu wollen. Tatsächlich wurde die Verurteilung des heute 65-Jährigen wegen grober Ungereimtheiten bei den Ermittlungen zwei Jahr e später aufgehoben und dem Flüchtigen freies Geleit zugesichert, falls er sich einer neuen Verhandlung stellen würde. Da er nicht reagierte, wurde neuerlich ein Haftbefehl erlassen, im Jahr 2005 wurde das Angebot seitens der Justiz, ihn nicht in Untersuchungshaft zu nehmen, wiederholt. Ohne Reaktion.

Auch über ein Vierteljahrhundert später findet Foco sich auf der „EU Most Wanted“-Liste der Polizei-Koordinierungs- Agentur Europol, inklusive Fotomontagen, wie er heute aussehen könnte. 20.000 Euro Belohnung bietet das heimische Bundeskriminalamt für Hinweise, die zu einer Festnahme Tibor Focos führen. Ob er überhaupt noch am Leben ist, weiß aber niemand. Verhandelt kann gegen ihn jedenfalls nicht werden – bei einem schweren Vorwurf wie Mord ist eine Verhandlung ohne Angeklagten in Österreich nicht möglich.  

Gesetzliche Verankerung der „Diversion“ in Österreich: Bestimmte Straftatbestände können auch ohne Strafverfahren geregelt werden, etwa durch die Zahlung einer Geldbuße, die Erbringung gemeinnütziger Leistungen oder
einen Tatausgleich.

Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand, behauptet der Volksmund. Aber spielt es auch eine Rolle, WO man vor einer Richterin oder einem Richter sitzt? In Österreich auf jeden Fall, wie Prof. Dr. Helmut Hirtenlehner vom Zentrum für Kriminologie der JKU bestätigt. Falls man vorhat, eine Straftat zu begehen und nicht ins Gefängnis will, sollte man das Delikt tunlichst im Westen des Landes verüben.

Im Oberlandesgerichtssprengel Innsbruck, in dem Vorarlberger und Tiroler Gerichte tätig sind, werden seit Jahrzehnten signifikant weniger Freiheitsstrafen verhängt als im Oberlandesgerichtssprengel Wien (Wien, Niederösterreich und das Burgenland). Im Westen setzt man viel stärker auf teil- oder unbedingte Geldstrafen, wie zuletzt im Jahr 2017 eine Untersuchung von Christian Grafl gezeigt hat. Dieses West-Ost-Gefälle zeigt sich nicht allein bei den ausgesprochenen Strafen. Auch das Risiko, in Untersuchungshaft genommen zu werden, ist im Osten der Republik deutlich höher. Umgekehrt hat man die beste Chance, mit einer Diversion, also ohne strafrechtliche Verurteilung, davonzukommen, im Westen.

Warum das so ist? Schließlich gelten das Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung ja im ganzen Land. Hirtenlehner meint, das liege vor allem an lokalen Gerichtskulturen, also „hauseigenen“ informellen Strafnormen. Richterinnen und Richter erster Instanz hätten ein Interesse an korrekten und gerechten Verfahrenserledigungen, die Urteile sollen auch vor der nächsten Instanz halten. Also fragt man erfahrener e Kolleginnen und Kollegen, wodurch sich Einschätzungen tradieren. Ebenso lernen Richteramtsanwärterinnen und -anwärter dadurch, was ein „normales“ Strafmaß ist – zumindest in diesem Gericht. Fragt man ihn, ob es nicht bedenklich ist, wenn es für ein und dasselbe Delikt unterschiedliche Sanktionen gibt, verweist Hirtenlehner auf „die bahnbrechende Untersuchung von Burgstaller & Csaszar aus dem Jahr 1985“ und zitiert: „Die Tatsache erheblicher Unterschiede der Strafenpraxis in einem einheitlichen Rechtsgebiet macht betroffen.“