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Ein Ende mit Schrecken

Auch wenn die hohe Staatsverschuldung derzeit kein Problem scheint, sie wird mit Garantie eines. Noch ist Konsolidierung für die Politik kein Thema, doch Wirtschaftsforscher*innen warnen bereits.

Von Andrea Hodoschek

„Koste es, was es wolle“. Vor der Krise war es politisch unvorstellbar, dass ein ÖVP-Bundeskanzler jemals diesen Satz in den Mund nehmen würde. 38 Milliarden Euro – für österreichische Verhältnisse erschien das erste Corona-Hilfspaket der türkis-grünen Regierung vor knapp einem Jahr gigantisch.

Die Pandemie dauert leider viel länger als damals befürchtet und heute wird mit wesentlich höheren Summen kalkuliert. Eine Woche harter Lockdown kostet ein bis eineinhalb Milliarden Euro. Die Belastungen für den heimischen Staatshaushalt halten derzeit bei rund 60 Milliarden Euro, schätzt Prof. Rudolf Winter-Ebmer, Vorstand des Instituts für Volkswirtschaftslehre an der Johannes Kepler Universität Linz (JKU). Ob dies das Ende der Fahnenstange ist, werden wir erst sehen. Derzeit kann niemand seriös beurteilen, wann die Staaten die Krise in den Griff bekommen.

Corona ließ die Staatsverschuldung Österreichs im Vorjahr auf knapp 320 Milliarden Euro anschwellen, das sind rund 85 Prozent des BIPs. Winter-Ebmer hält einen weiteren Anstieg auf 90 Prozent für durchaus realistisch. In Vor-Corona-Zeiten hätten angesichts solcher Prognosen bei Politiker*innen, jedenfalls bei den Konservativen, und den Wirtschaftsforscher*innen alle Alarmglocken geläutet.

Nicht so heute. „Die Verschuldung sorgt mich nicht sonderlich. Wir haben jetzt keine andere Wahl. Alle europäischen Länder sind betroffen und Österreich wird auch bei weiter steigender Verschuldung zunächst keine großen Schwierigkeiten haben“, wirkt Winter-Ebmer ziemlich gelassen. 

Die aktuelle Stimmung unter den heimischen Wirtschaftsforscher*innen ist fast schon harmonisch. Christoph Badelt, Noch-Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), konstatiert, dass es zurzeit unter den Ökonomen „viel weniger Meinungsunterschiede gibt als sonst. Derzeit findet sich kaum ein Ökonom, der nicht dafür wäre, dass man jetzt ins Defizit geht“. 

Die Maastricht-Kriterien sind in ganz Europa längst kein Thema mehr. Deutschland diskutiert bereits die Lockerung der Schuldenbremse. Faktum ist, dass Österreich ein riesiges Budgetdefizit baut. Mit der Frage, wie wir da wieder herauskommen, will sich die Regierung lieber noch nicht konkret beschäftigen. Außer den plakativen Beteuerungen, es dürfe keine Steuererhöhungen geben, ist die Rückkehr auf den Pfad der Budget-Tugend kein Thema. 

Selbst jene Expert*innen, die sich bisher als Hüter der Ausgabendisziplin sahen und fast schon gebetsmühlenartig Reformen einmahnten (was auch notwendig war und ist), warnen davor, den Abbau des Defizits zu rasch anzugehen.

„Von einer Konsolidierung können wir noch nicht reden, wir stecken ja mitten in der Krise und können nicht abschätzen, wann diese überwunden ist“, meint Martin Halla, Leiter der Abteilung für Wirtschaftspolitik am Institut für Volkswirtschaftslehre an der JKU.

Auch wenn die Krise überwunden sei, könne man noch nicht konsolidieren, also die Nettoverschuldung abbauen. „Dann muss erst die Konjunktur in Schwung kommen“. Halla rät zum dreistufigen Aktionsplan: „Gesundheitskrise in den Griff bekommen, Konjunktur starten und erst dann konsolidieren“.

Der Zeitpunkt dafür dürfte erst in drei bis fünf Jahren ideal sein, schätzt Winter-Ebmer. „Dass wir schon 2021 oder 2022 damit beginnen, das Budget zu konsolidieren, halte ich für ausgeschlossen. Wir dürfen das zarte Pflänzchen der Konjunktur nicht gleich wieder abwürgen“. Auch das Problem der hohen Arbeitslosigkeit, der Professor spricht von „Unterbeschäftigung“, inklusiver der Kurzarbeit, werde nicht in zwei, drei Jahren beseitigt sein.

Zurück zur Ausgaben-Disziplin

Im Unterschied zur Vergangenheit kommt der Regierung ein Faktor zu Hilfe, für den sie freilich nichts kann: Die weltweit niedrigen Zinsen sind ein Geschenk für jeden Staatshaushalt und erleichtern den Weg in die Richtung eines ausgeglichenen Budgets enorm. Zu viel Zeit darf allerdings nicht verspielt werden, auch wenn sich Österreich nach wie vor bester Bonität erfreut. Die Niedrig-Zins-Phase wird nicht ewig andauern und irgendwann werden die Kreditgeber Österreichs, sprich der Kapitalmarkt, ihr Geld wieder zurückhaben wollen.

„Langfristig dürfen wir uns nicht davor drücken, die Verschuldung abzubauen“, warnt Badelt. „Wir können nicht davon ausgehen, dass die Zinsen auch in zehn bis fünfzehn Jahren noch so niedrig sind. Und müssen für weitere Krisen gerüstet sein“, meint Halla.

„Situationselastisch“ müsse konsolidiert werden, argumentiert Winter-Ebmer. Man könne nicht sagen, „in fünf Jahren muss die Schuldenquote wieder bei 70 Prozent liegen. Man muss schauen, wie sich das Wachstum entwickelt“. 

Über das Wie gehen die Meinungen unter den Wirtschaftswissenschaftler*innen nicht so weit auseinander. Eigentlich sind es die alten Rezepte, die von der österreichischen Politik nur nie ernsthaft angegangen wurden. So spricht denn auch Winter-Ebmer von den „üblichen Konsolidierungsmaßnahmen“. 

Da wäre die Reform des Pensionssystems. „Das wird wieder ein Thema werden. Die Pensionist*innen hatten während der Corona-Krise die wenigsten Einkommensschwankungen“. Die Realpolitik kennend, glaubt Winter-Ebmer nicht an radikale Pensionskürzungen, „aber an gewissen Schrauben muss gedreht werden, beispielsweise beim Zutrittsalter“.

Oder eine Neuausrichtung des Steuersystems.

„Wir Wirtschaftsforscher*innen werden nicht müde, darauf hinzuweisen, dass man das Abgabensystem verändern sollte“, sagt Badelt. Im Klartext: Weniger Abgaben auf den Faktor Arbeit, hin in Richtung Ökologisierung des Steuersystems. 

Vermögensteuern

Ein Reizwort in Österreich sind die Vermögensteuern. Man könne auch über die Besteuerung von Vermögenszuwächsen diskutierten, meint Badelt, „aber nicht über Einzelmaßnahmen reden“. Der Wifo-Chef sieht hier allerdings nur die Erbschaftssteuer als Manövriermasse, alle anderen Vermögen „kann man aus ökonomischer Vernunft nicht besteuern“. Die Übergabe von Unternehmen schließt Badelt kategorisch aus, Grund und Boden würde großteils die Land- und Forstwirtschaft betreffen und das Finanzvermögen sei mobil. „Also bleiben nur Erbschaften übrig“. Nachsatz: „Mit der Vermögensbesteuerung wird man das Budget aber nicht retten“. 

Winter-Ebmer sieht die Besteuerung von Erbschaften etwas anders. Diese sei „in fast allen Ländern eine Selbstverständlichkeit, auch in Deutschland“. Er hält auch die Besteuerung der Vererbung von Unternehmensanteilen für sinnvoll, vielleicht so in fünf Jahren.

Wer zahlt?

Für die Sanierung der öffentlichen Haushalte werden alle Österreicher*innen zur Kasse gebeten. Es werde keine Steuersenkungen geben, die ohne das Virus möglich gewesen wären, schätzt Halla. Ebenso würden Investitionsprojekte flachfallen, die ohne Corona realisiert worden wären. „Aber es hilft nichts, das Eingreifen des Staates ist jetzt zwar unfair, aber unumgänglich“.

„Die Jungen sind die größten Träger der Schuldenlast“, konstatiert der Ökonom. Die Krise habe ihnen einen Teil ihres unbeschwerten Lebens genommen und Teile der Ausbildung gebremst, „das wird natürlich Auswirkungen auf das Berufsleben haben“.

Auf der Ausgabenseite rollen auch nach Corona große Kostenbrocken auf die öffentlichen Haushalte zu. Die Politik müsse daher „eine Grundsatzdiskussion über die Prioritäten bei den Einnahmen und Ausgaben beginnen“, betont Badelt.  Die größten Ausgabenposten ortet Badelt in der Pflege, bei den Umweltinvestitionen, in der Forschung und in der Digitalisierung.

Am falschen Platz gespart

Die Pandemie macht jetzt die Versäumnisse Österreichs in der Digitalisierung sichtbar, vor allem im Gesundheitsbereich. „Das schadet Österreich jetzt beim Impfen enorm“, beobachtet Halla.

Jetzt wurde öffentlich ruchbar, dass die Einführung des elektronischen Impfpasses ursprünglich erst bis 2030 (!) geplant war. Das muss man sich einmal vorstellen.

„Um effizient planen zu können, ist die Digitalisierung unerlässlich. In Österreich liegen Daten herum, etwa bei Ministerien oder bei Sozialversicherungsträgern, um deren effiziente Verknüpfung sich niemand kümmert“, kritisiert Halla. Jedes Unternehmen würde solche Daten wie einen Schatz behandeln – im Gegensatz zum Staat.

Bei aller „Koste es, was es wolle“-Mentalität kritisieren die Wirtschaftsforscher*innen einen wichtigen Punkt in der Bekämpfung der Krise: Es würde am falschen Platz gespart. „Extrem unverständlich“ findet Winter-Ebmer, dass einerseits das Geld mit vollen Händen ausgegeben werde, andererseits bei den Ausgaben für Testen, Impfen und Contact Tracing gespart werde.

Stimmt schon, mehr Mitarbeiter*innen für Contact Tracing oder mehr Teststraßen würden etwas Geld kosten, „aber das ist Nichts verglichen mit den 60 Milliarden“, kritisiert Winter-Ebmer. Beim Impfstoff hält er es generell für gut, dass die EU gemeinsam vorgeht, aber die Union hätte „viel mehr Geld in die Hand nehmen und den Aufbau von Produktionsstätten auch als Kooperationen mit anderen Firmen fördern müssen. Das ist Sparen am falschen Platz“.

Er plädiert zudem dafür, die Menschen, die in Quarantäne sind, für ihre Bereitschaft, zu Hause zu bleiben, zu „belohnen. Zum Beispiel mit einer Prämie von 200 Euro. Der Staat sollte den Leuten Anreize geben, dass sie wirklich zu Hause bleiben“.

„Beim auch ökonomisch allerwichtigsten Thema, dem Impfen, ist leider sehr viel schiefgegangen. Die EU hätte nicht so knausrig verhandeln dürfen, sondern frühzeitig entsprechende Produktionskapazitäten aufbauen müssen“, spart auch Halla nicht mit Kritik.      

Apropos Sparen. Nicht ganz klar ist, warum Österreichs Wirtschaft wesentlich stärker eingebrochen ist als in vergleichbaren EU-Staaten. Die OECD rechnet mit einem Minus für 2020 (gegenüber 2019) von acht Prozent, das Wifo mit 7,3 Prozent. Im letzten Quartal des vergangenen Jahres schrumpfte Österreichs Wirtschaftsleistung gegenüber dem Quartal zuvor um 4,3 Prozent, das ist sogar der schlechteste Wert in der gesamten EU.

Finanzminister Gernot Blümel nannte die verlorene Wintersaison für den Tourismus als Ursache. Stimmt schon, Österreich ist eines der  tourismusintensivsten Länder weltweit und beim Wintersporturlaub mit einem Marktanteil von 50 Prozent unangefochtener Europameister.

Aber der Tourismus alleine ist als Erklärung zu wenig. Die Arbeitslosigkeit ist im europäischen Vergleich sehr hoch, nicht nur im Tourismus, beispielsweise auch im Handel.  Neben den Lockdowns  ist der generell sehr zögerliche Konsum  mit ein Grund für den überproportional hohen Einbruch der Wirtschaft.

Die privaten Haushalte  und auch viele Unternehmen sitzen seit Ausbruch der Pandemie auf ihrem Geld. Ist auch verständlich, wer nicht weiß, ob  er seinen Job behält und wie es mit der Wirtschaft, den Märkten und den Einkommen  weiter geht, spart.  Im Corona-Jahr 2020 hat sich laut Nationalbank die Sparquote auf 13,7 Prozent beinahe verdoppelt.

Das Ersparte wird auch so schnell nicht ausgegeben. Erst wenn die Pandemie im Griff ist, sich die Menschen sicher fühlen, die Gastronomie öffnet und die Konsumenten endlich  wieder reisen dürfen, werden die Österreicher ihre Geldbörsel öffnen.

Darauf setzen die Wirtschaftsexperten und die Politik alle ihre Hoffnungen. Das Anspringen des privaten Konsums soll die Konjunktur beflügeln. Plus eine expansive Fiskalpolitik und öffentliche Investitionen. Womit wir dann wieder beim Thema Budget wären.

Pleitenwelle

Die Regierung beschloss, die Steuer- und Abgabenstundungen für Betriebe bis 30. Juni zu verlängern. Danach können die Covid-bedingten Rückstände in Raten abgestottert werden. Wir reden über die Kleinigkeit von 7,7 Milliarden Euro, rund sechs Milliarden davon bei der Finanz.

Gleichzeitig kündigte der Finanzminister eine Reform des Insolvenzrechtes an, die Entschuldungsdauer für Firmen soll auf drei Jahre sinken.

Dann erwarten alle Ökonomen das Anrollen einer Pleitewelle. Vor allem Tourismus, Handel und der Automotive-Sektor würden besonders betroffen sein, befürchtet  etwa Herbert Houf, Präsident der Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer (KSW). Die Steuerberater sind sehr nah bei den Unternehmen und kennen deren wirtschaftliche Lage bestens.

Natürlich wurden aus der Staatskasse auch Unternehmen gestützt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ohne Krise nicht mehr überlebensfähig gewesen wären – die sogenannten Zombie-Firmen.

Der Nachteil des Gießkannenprinzips ist, dass eben nicht nur strukturell gesunden Unternehmen geholfen wird. Andererseits galt es, rasch zu handeln. Aus der Wirtschaft kam ohnehin heftige Kritik über zu viel Bürokratie und die schleppende Auszahlung der Hilfsgelder.

Die Stundungen der Finanz und der Sozialversicherung laufen voraussichtlich Ende März aus, eine neuerliche Fristverlängerung ist nicht geplant. Wir reden über die Kleinigkeit von 7,7 Milliarden Euro, rund sechs Milliarden davon bei der Finanz.

Um  zu verhindern, dass Betriebe wegen der Nachzahlungen in die Pleite schlittern, wird es Raten-Modelle auf maximal 36 Monate geben.

Was die Unternehmen allerdings dringend brauchen werden, ist Eigenkapital. Wenigstens ein kleiner Teil der Milliarden, die auf den Sparbüchern gebunkert sind, sollten in Unternehmen umgeleitet werden.  Ohne steuerliche Förderung freilich wird das nicht funktionieren, denn der Ruf nach mehr Private Equity Kapital hallt seit Jahrzehnten ungehört durch  die heimische Finanzlandschaft und Wirtschaftspolitik.

Black Box

Jetzt wäre noch die spannende  Frage, wie effizient eigentlich die bisher ausbezahlten Hilfsmilliarden waren. Das IHS (Institut für Höhere Studien) hat errechnet, dass Österreich nach aktuellem Stand 8,5 Prozent des BIP dafür budgetiert hat, das ist das Doppelte des EU-Durchschnitts.  Derzeit halten wir bei 31 Milliarden Euro – großteils für Umsatzzuschüsse, Steuererleichterungen, Investitionsprämien und die großzügige Subventionierung der Kurzarbeit.

Bis dato gibt es allerdings keine seriösen, umfassenden  Studien über die Treffsicherheit  und Wirksamkeit der Hilfsmilliarden.   Niemand kann – oder will – derzeit beurteilen, wo möglicherweise Fehler gemacht und am Ziel vorbei gefördert wurde. Angeblich hat nicht einmal das Finanzministerium die Maßnahmen genauer evaluiert.  Das ist einigermaßen bemerkenswert, handelt es sich doch um die bisher größte Kraftanstrengung zur Absicherung der Wirtschaft in der  Geschichte der Alpenrepublik.