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Gemeinsam einsam

Das erste Semester im Studium kann etwas Besonderes sein. Neue Freund*innen, neue Freiheit. Nun heißt es plötzlich: Pandemie statt Party. Wie junge Menschen den Verlust eines Lebensgefühls empfinden.

Von Lukas Kapeller

Wenn Martin Werth über sein Studileben spricht, klingt er ein bisschen wie ein Schauspieler, der sich nach einem ausverkauften Theater sehnt, oder wie ein Fußballer, der von einem vollen Stadion träumt. „Ich habe große Erwartungen gehabt“, sagt der 21-jährige BWL- Student, „weil ich von meinem älteren Bruder gewusst habe, dass es in Linz an der Uni lässig ist.“ In seinem ersten Semester an der Johannes Kepler Universität wollte er auf dem Campus neue Freund*innen finden, Lerngruppen bilden und Mensa-Feste besuchen. Diese Erwartungen seien jetzt „in alle Winde zerstreut“, sagt Werth.

Im Oktober reagierten Österreichs Unis zuerst noch mit sogenannten Hybrid- Lösungen auf die Coronavirus-Pandemie. Ein Teil der Studierenden nahm – mit Sicherheitsabstand – in den Hörsälen Platz, andere folgten den Vorlesungen per Livestream von zu Hause aus. Seit dem zweiten Lockdown im November ist ein halbwegs normales Campusleben aber buchstäblich in die Ferne gerückt. Erstsemestrige wie Martin Werth besuchen Vorlesungen über das Video-Tool Zoom, organisieren ihr Studium über die Lernplattform Moodle und tauschen sich mit Kolleg* innen über WhatsApp aus. „Es ist schon schwierig mit der Motivation“, gibt Werth zu, „es entwickelt sich eine gewisse Zoom-Müdigkeit.“

Der Student sagt, es fehle ihm „diese Mischung“, die das Studentenleben ausmache. Das erste Semester an einer Uni geht für Studierende oft einher mit dem Umzug in eine größere Stadt, mit der Abnabelung vom Elternhaus, mit neuen Bekanntschaften und neuen Erfahrungen. Im Studium lernt man nicht nur Fakten und wissenschaftliche Zusammenhänge, man wächst auch als Person.

Könnte man sich die Hollywood- Komödie „Natürlich blond“ mit Reese Witherspoon als unkonventioneller Jus-Studentin vorstellen, wenn sie ihre Lektionen nur im Fernstudium gelernt hätte? Auch das Filmdrama „The Social Network“ über die Entstehung von Facebook wäre wohl ziemlich langweilig, wenn Mark Zuckerberg nur daheim vor seinem Laptop gesessen wäre. Das Leben eines Studierenden wird eben auch davon geprägt, was in den Pausen zwischen den Vorlesungen geschieht, von den vielen kleinen, flüchtigen Begegnungen.

Sonja Gumpenberger, die an der JKU im ersten Semester Wirtschaftspädagogik studiert, sagt wehmütig: „Es hat sich seit Oktober praktisch nichts in meinem Leben geändert. Ich studiere vom Kinderzimmer im Haus meiner Eltern aus.“ Die 22-Jährige aus Thalgau in Salzburg hat zwar ein Zimmer in einem Studierendenwohnheim in Linz gemietet, „90 Prozent der Zeit bin ich aber in Salzburg“. Schließlich sei es ohne Lehrveranstaltungen vor Ort „eigentlich überflüssig, in Linz zu sein“, bedauert sie. Nach den kurzen Wochen der „Hybrid-Lehrveranstaltungen“, als sie Hörsaal- und Campusluft schnupperte, nun wieder bei ihren Eltern zu wohnen „ist ganz okay, es ist vertretbar“, sagt Gumpenberger und lacht.

Ganz ähnlich erlebte Samuel Schagerl das erste Semester. Der 20-Jährige studiert Mathematik und Biologie, um Lehrer zu werden, und kommt aus einer kleinen Gemeinde in der Nähe von St. Pölten. Eigentlich wollte er in Linz in eine neue Welt eintauchen, mit zwei ehemaligen Klassenkolleginnen hatte er eine WG gegründet. In der Wohngemeinschaft habe er nur die ersten drei Wochen des Studiums verbracht, nun lebe er wieder im Haus seiner Eltern. „Das WG-Leben hat mir eigentlich sehr gefallen. Du lernst mehr Eigenständigkeit, wenn du selbst deine Wäsche machen und kochen musst“, sagt Schagerl. In den ersten Wochen an der JKU habe er auch ein paar Freund*innen gefunden, zu fünft treffe man sich aber nur mehr in einer gemeinsamen WhatsApp-Gruppe. Seine Hoffnung für das Jahr 2021? „Ich bin schon zufrieden, wenn es wieder so wird, wie es im Oktober kurz war“, erklärt Schagerl. „Da konnten wir zumindest, wenn wir Masken aufhatten, auf dem Campus umherlaufen.“

Wie die Monate des erzwungenen Daheimbleibens auf Schüler*innen und Studierende langfristig wirken werden, ist noch nicht absehbar. In den Gesprächen mit den Erstsemestrigen hört man jedenfalls eine Sehnsucht nach den Abenteuern des Erwachsenwerdens heraus – und auch eine Melancholie über die, trotz aller digitalen Hilfsmittel, irgendwie verlorene Zeit. Die Clubs sind geschlossen, Mensa-Feste abgesagt, Konzerte und Festivals werden immer weiter verschoben. Wenn man jung ist, vermisst man solche Erlebnisse stärker. Und wenn Feste und Zusammenkünfte so lange nicht stattfinden, fehlt auch ein Lebensgefühl. „Die Studierenden früher haben gewusst, am Donnerstag ist das nächste Mensa-Fest“, sagt Werth. „Für uns hingegen ist jeder Tag gleich.“

Was Lehre und Prüfungen selbst betrifft, mussten Lehrpersonen wie Studierende dazulernen. „Die universitäre Dramaturgie eines 90-Minuten- Vortrags kann man nicht einfach über eine Webcam auf die Bühne bringen“, sagt Dimitri Prandner, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie. Dies sei in etwa so, als würde man einen fürs IMAX-Kino gedrehten Film auf dem Handy anschauen. „Wir müssen in den Vorlesungen kleinteiliger werden“, merkt Prandner an, „und Übungsbeispiele müssen ausführlicher und selbsterklärender sein.“

Stefan Koch, JKU-Vizerektor für Lehre und Studierende, sieht die Umstellung auf Distance Learning teilweise auch positiv. „Studierende können zum Beispiel auch bei Präsentationen über Zoom etwas lernen“, sagt Koch, „das schult Fähigkeiten, die in unserer digitalisierten Welt nicht unwichtig sind.“ Nachsatz: „Wir wollen als JKU langfristig auf jeden Fall eine Präsenzuniversität bleiben.“

Es gibt auch Erstsemestrige, die dem virusbedingten Charakter des Studiums etwas abgewinnen können. Denise Fleischanderl studiert Jus und wohnt in Bad Leonfelden, eine halbe Autostunde von Linz. „Für mich war es sehr angenehm, weil ich mit meinem Ford Fiesta nicht jeden Tag nach Linz fahren musste“, sagt die 18-Jährige. Sie hätte auch ohne Lockdown weiterhin bei ihren Eltern gewohnt, sagt sie, nun erspare sie sich das tägliche Pendeln.

Dass auch Laptop und Handy-Apps den persönlichen Kontakt nicht ersetzen können, gilt vor allem für jene, die ohnehin schwierige Startvoraussetzungen haben. Die Studierenden seien „eine heterogene Gruppe“, sagt JKU Soziologie-Professor Johann Bacher. Wenn die sozialen Kontakte kürzer und weniger würden, „sind besonders negative Effekte bei jenen zu erwarten, die auch sonst wenig Ressourcen und soziale Unterstützung haben“.

Universitäten sind nicht nur Orte der Wissenschaft, sondern schon im lateinischen Wortsinn auch Orte der Gemeinschaft. BWL-Student Werth hofft, dass sich das bald wieder spüren lässt. „Die Situation zwingt ja alle Menschen zu einem gewissen Rückzug“, sagt er. „Das ist für Studierende eigentlich nicht das Richtige.“