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Im Schnellvorlauf

Virusnachweise im Genlabor, hoffentlich bald ein Medikament gegen COVID-19 und ein green new deal für die Zeit danach: Bei allem Negativen zeigt sich in der Corona-Krise auch die Chance für neue Konzepte in der Wirtschaft, in der Forschung und in der Art, wie wir künftig arbeiten und leben.

Von Christopher Wurmdobler

Üblicherweise untersucht Irene Tiemann-Boege an der Johannes Kepler Universität Linz mit ihrer Arbeitsgruppe „Single Molecule Genetics“ am Institut für Biophysik Prozesse, die unser Genom verändern. Ihr Ziel ist, die Entstehung genetischer Störungen aufzuklären. Seit ein paar Wochen testet die Professorin mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR) mit einem vierköpfigen Team Abstrichproben auf SARS-CoV-2. „Zivilen Altruismus“ nennt Tiemann-Boege ihren Einsatz im Kampf gegen das Coronavirus. „Sonst beschäftige ich mich nicht mit Viren und Epidemiologie“, sagt sie am Telefon. Aber von der Extraktion von genetischem Material bis zum Beweis von genetischem Material durch PCR hat sie nicht nur das Know-how, sondern auch die Infrastruktur im Labor. „Die Methodik selbst fahren wir auch öfters“, sagt sie. Nicht nur in Linz wird gerade Infrastruktur genutzt, um klinische Labors und das Institut für Biophysik zu unterstützen, das Teil der Task Force ist, die vom Gesundheitsministerium eingerichtet wurde, um die Testkapazitäten in Österreich zu erhöhen. Irene Tiemann-Boege weiß, dass die Zeit drängt: „Es war schnell klar, dass andere Länder wie Südkorea, Deutschland oder auch die USA durch mehr Testung positive Fälle viel schneller identifizieren können. Wenn man schnell weiß, wer positiv ist, lässt sich das Feuer sofort finden und auch löschen. Wenn man das mit einer datenschutzkonformen Corona- App verbindet, würde uns das eine Freiheit zurückgeben, die derzeit noch nicht möglich ist.“ Mit 750 Tests täglich – auch am Wochenende – kann ihr Institut dazu beitragen, die jetzige Kapazität der klinischen Labors mit derzeit 15.000 Tests pro Tag zu verdoppeln (Stand 22. April). Eine positive Nachricht in Zeiten wie diesen, wo abgesehen von den Heldinnen und Helden im Gesundheitssektor und an der Versorgungsfront die meisten nicht mehr tun können, als den Mundschutz anzulegen, um sich und andere zu schützen. Oder Menschen in systemrelevanten Berufen Applaus zu spenden.

Eine neue, schnellere Welt und ein „Shut-up nach dem Shut-down“

 So wie Irene Tiemann-Boege arbeiten in der Corona-Krise gerade viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den unterschiedlichsten Gebieten an raschen Lösungen für die Pandemie – oder für die Zeit nach der Krise. Oft sogar fächerübergreifend und weil die Zeit knapp wird, sind Prozesse, die in der Regel Jahre dauern, plötzlich abkürzbar.

Die Pandemie gibt das Tempo vor. Improvisation ist gefragt, Zulassungen, Gesetze und Erlasse funktionieren von einem Tag auf den anderen. Die Corona-Krise gleicht einem riesigen Feldversuch. Innerhalb kürzester Zeit hat sie die Welt, wie wir sie kannten, verändert. Manche dieser Veränderungen werden nicht nur temporär sein, sondern womöglich dauerhaft bleiben. Nun zeigt sich, was alles möglich ist, wie die Forschung, wie Studierende und Schulkinder, Eltern, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder Unternehmen damit zurechtkommen. Im Eiltempo wurden neue Arbeitssituationen geschaffen, hallo, schöne, neue Arbeitswelt! Insgeheim hoffen viele, dass auch nach der Krise die neue Flexibilität bleibt und mehr Selbstorganisation möglich ist. So sagen Spezialistinnen und Spezialisten voraus, dass die Zahl der Berufe steigen wird, in denen ausschließlich online gearbeitet wird. Unternehmen wollen womöglich gar nicht mehr zu alten Organisationsmustern zurück. Zeitraubende Konferenzen und Geschäftsreisen können dank Zoom und Co. reduziert werden, an Schulen und Unis wird womöglich auch nach COVID mehr online unterrichtet. Auch wenn sich viele momentan danach sehnen: soziale Kontakte im realen Leben werden abnehmen. Weil wir alle gerade sehen, wie es auch anders geht. Bargeld hat während des Shutdowns an Bedeutung verloren, bargeldloser Zahlungsverkehr zugenommen – vor allem aus Hygienegründen, auch wenn hier offenbar keine Infektionsgefahr besteht. Digital Pay statt Münzen und Scheine: War Bares im Gegensatz zu beispielsweise skandinavischen Ländern in Österreich bislang eine immens emotionale Angelegenheit, könnte das sich jetzt rasch ändern. Innovationen im Technologiebereich, beispielsweise die Stopp-Corona-App, die das Rote Kreuz gelauncht hat, sind schneller auf dem Markt als früher.

„Natürlich ist da gerade sehr viel Motivation da, möglichst rasch viel auf die Beine zu stellen, bürokratische Hürden schnell aus dem Weg zu räumen“, sagt Gentechnikerin Tiemann-Boege. Dass viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jetzt zusammenarbeiten, die in anderen Bereichen mit dem Thema zu tun haben, findet sie bemerkenswert. Ebenso wie die Tatsache, dass sie mit Kolleginnen und Kollegen mit Hilfe von Zoom-Meetings mehrmals die Woche miteinander sprechen, die in Vor-Corona Zeiten für die Planung im Vorfeld mindestens mehrere Wochen zum Organisieren gebraucht hätten: „Da kommt man im Austausch natürlich schon viel weiter. Es ist eine Offenheit da, miteinander zu arbeiten, die sehr positiv ist.“

Freilich birgt das auch Gefahren. Kontrollinstanzen fehlen ebenso wie ausführliche Diskurse. Weltweit versuchen mehr als sechzig Gruppen, einen wirksamen Impfstoff herzustellen. Der Arzt und Wissenschaftsjournalist Werner Bartens forderte kürzlich in der Süddeutschen Zeitung einen „Shut-up nach dem Shut-down“ für wissenschaftliche Fachbeiträge und Publikationen, von denen es derzeit so viel wie nie zuvor in der Geschichte der Medizin zu lesen gäbe. Darunter offenbar auch sehr viel Quatsch. In der Krise, so der Autor, würden wichtige Kontrollmechanismen außer Kraft gesetzt, zahlreiche wissenschaftliche Artikel erschienen, ohne dass Einwände von Fachkolleginnen und -kollegen Berücksichtigung fänden.

Eile ist im Kampf gegen das Virus wichtig. Aber niemand weiß, wie die Welt nach der Corona-Krise aussehen wird. Gewiss ist aber, dass bei dem Tempo eine Menge Fehler gemacht und wahrscheinlich sogar einige Chancen vertan werden.

Was die Krise auch bringt: Freiraum und vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten für die Politik

Als „Experimentierraum für Neues“ betrachtet auch Elke Schüßler die gegenwärtige Krisensituation und kann ihr so auch Positives abgewinnen. Schüßler ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre und leitet das Institut für Organisation an der JKU. „Grundsätzlich ist es so, dass durch eine Krise bestehende Strukturen in Frage gestellt, gar temporär aufgegeben werden“, antwortet sie per Mail auf die Frage, wie viel Zukunftspotenzial in der Corona-Krise stecke. Plötzlich entstehe durch die Krisensituation ein Freiraum, man sei vielleicht gezwungen, Neues auszuprobieren, könne auf Basis dieser Erfahrungen dann Strukturen und Praktiken auch längerfristig verändern. Erfahrungen, die üblicherweise positive wie negative Elemente enthalten. Aber das müsse nicht immer so laufen.

„Das Besondere an der COVID-Krise ist, dass sie so ziemlich alle bestehenden systemischen Probleme kristallisiert oder, wie es Alexandria Ocasio-Cortez ausdrückt, Öl ins Feuer geschüttet hat“, zitiert Elke Schüßler die New Yorker Kongressabgeordnete für die Demokraten in Washington. „COVID führt uns die Risiken der auf maximale Effizienz getrimmten globalen Wertschöpfungsketten vor Augen“, so Schüßler. „Der nicht nachhaltige Umgang mit Tieren, resultierend aus unserem Fleischkonsum, die massiven Ungleichheiten nicht nur zwischen armen und reichen Ländern, sondern auch innerhalb einzelner Länder, beispielsweise im Bereich der unterbezahlten, nun aber auch offiziell systemkritischen Berufe, die rein profitorientierte Pharmaforschung, die oft dazu führt, dass Forschung in gesellschaftlich relevanten Bereichen nicht in ausreichendem Maße finanziert wird und so weiter.“ Jetzt, wo die Wirtschaft temporär in vielen Bereichen und in so vielen Regionen der Welt quasi auf null gesetzt werde, sieht Schüßler vielfältige politische Gestaltungsmöglichkeiten. „Sie müssen aber auch genutzt werden“, findet sie und bringt als Positivbeispiel den Vorstoß von Marieke van Doorninck, Bürgermeisterin von Amsterdam, die Post-Covid-Ökonomie konsequent entlang der UN-Nachhaltigkeitsziele auszurichten. Viele Kommunen errichten nun Fahrrad- oder Begegnungszonen in den Innenstädten.

Corona als Chance, die Klimakatastrophe abzuwenden? Dass schon während der laufenden Krise in politischen Debatten ein Gegensatz zwischen „Gesundheit aller“ und „Wirtschaft“ konstruiert werde, folge der „typischen Sachzwang-Argumentation der WirtschaftsvertreterInnen“, so Schüßler. Wenn die Betriebe und Geschäfte jetzt nicht sofort öffnen, dann verlieren alle ihren Job – mit diesem Druckmittel würden schon seit Jahrzehnten Wirtschaftsinteressen politisch durchgesetzt. „Und das gleiche Argument gibt es eben auch beim Klimawandel. Immer wird damit gedroht, dass bei stärkerer Regulierung eben noch mehr Jobs abwandern würden. Dieser vermeintliche Gegensatz zwischen Wirtschaft und anderen Zielen löst sich aber auf, wenn man einen längeren zeitlichen Horizont anlegt. Wenn die wachsende Klimakrise zu massivem Verlust von Lebensraum, zu Massenmigration, zu Kriegen führen wird, wird dies eben auch ein deutlich schlechteres Leben für alle bedeuten. Niemand wird dann mehr Autos kaufen. Wieso dann nicht gleich jetzt versuchen, eine klimafreundliche und sozial gerechte Wirtschaft aufzubauen?“ Die große Gefahr sehen Expertinnen und Experten wie Elke Schüßler darin, dass aufgrund der akuten Krisensituation, die zweifellos für zahlreiche Menschen und Unternehmen katastrophal ist, nur kurzfristig repariert, statt langfristig umgebaut wird. Um das abzuwenden, gibt es für Schüßler nur eine zentrale Möglichkeit: „Staaten nutzen ihre nun durch die Krise wieder gestärkte Rolle, um systematisch das Wirtschaftsgeschehen in eine positive Richtung zu lenken, statt immer nur dann als Krisenmanager einzuschreiten, wenn die sogenannten ,freien Marktkräfte‘ versagen.“ Staaten seien schon immer als Finanziers hinter den wichtigsten Innovationen gestanden. „Wenn es nun ein klares Commitment gibt, alle Wirtschaftsförderungen konsequent an den UN-Nachhaltigkeitszielen oder den Prinzipien eines green new deals auszurichten, dann kann der Umbau gelingen.“

Politikerinnen und Politiker seien gefordert, so Schüßler, beispielsweise Gewinnverschiebungen in Steueroasen zu sanktionieren oder die Pflegearbeit auszubauen und besser zu bezahlen. Die Zivilgesellschaft und auch die Wissenschaft können diesen Prozess unterstützen, indem sie immer wieder auf Missstände, aber auch auf mögliche Lösungen hinweisen und der Politik signalisieren, dass es Unterstützung für radikale Veränderungen geben würde. „Eine Krise kann aber natürlich geschickt genutzt werden, um Probleme, die zwar längst bekannt sind, aber sich auf der politischen Agenda nicht durchsetzen konnten, weiter auf der Agenda nach oben zu setzen.“

Übereilte Systemveränderung nicht die Lösung

Abgesehen vom Mut zu Veränderungen im System, von Umverteilung und der Chance einer grünen Ökonomie für die Zeit nach Corona: Wer die Folgen dieser Krise bezahlen wird und vor allem wie, ist eine Frage, die sich derzeit viele Wirtschaftsforscherinnen und -forscher stellen. So auch Gabriel Felbermayr im Gespräch mit JKU-Rektor Meinhard Lukas in dessen öffentlicher Expertenrunde „Corona- Update“ via Zoom-Konferenz. „Es geht ja auch darum, das Steuersystem insgesamt zu modernisieren“, sagt Felbermayr, Präsident des äußerst einflussreichen Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Klar, in einer Gesamtkonzeption könnte man vielleicht auch umweltökonomische Aspekte mit einbauen, die da eine Rolle spielen sollen. Es bestehe die Möglichkeit, über die Finanzmärkte diese Ausgaben zu finanzieren, sagt Felbermayr und appelliert: „Wenn es ums Zurückzahlen geht, sollten wir das aus einem Guss machen und mit ein bisschen mehr Nachdenken, wie wir das machen.“

Auch für Felbermayr ist die gegenwärtige Lage eine Ausnahmesituation, die bald wieder vorüber ist. Er warnt jedoch vor übereilten Systemveränderungen: „Nach dieser Krise wollen wir nicht in einem komplett anderen System aufwachen, das ad hoc ein paar, die sich jetzt in dieser Krise geschickt politisch einbringen, komplett verändert haben“, sagt er. „Das wäre nicht mit unseren demokratischen Grundverständnissen vereinbar, der Art, wie wir sonst über solche Ordnungsrahmen nachdenken.“

„Viele Dinge werden sich nach dieser Pandemie ändern“, ist sich Irene Tiemann-Boege sicher. Die Geschwindigkeit etwa, mit der man miteinander zusammenkommt und sich austauscht. Erste große Meetings, wie zum Beispiel die ESHG (European Society of Human Genetics), werden digital im Juni abgehalten – ohne großen Aufwand. Andererseits, schreibt hingegen Elke Schüßler, wird man auch erkennen, dass in der aktuellen Ausnahmesituation in dem Tempo, in dem momentan geforscht und gearbeitet wird, Fehler passiert sind. Denn: „Innovation bedeutet immer auch trial and error.“ Aber ohne Fehler würde das mit der Innovation auch gar nicht klappen. Die medizinische Forschung zumindest im Bereich der Virologie erfahre nun sicherlich einen Kreativitätsschub, glaubt die Expertin: „Fehler machen und Experimentieren ist plötzlich erlaubt, weil allen klar ist, dass nur bei breitem Experimentieren irgendwann auch ein wirksames Heilmittel dabei sein kann.“

Bis das so weit ist, testen Menschen wie Irene Tiemann-Boege weiter. Mit einer Methodik, die sie ganz genau kennen, nur jetzt ein wenig anders einsetzen.