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Kleiner als klein

Der kurze Bammel, bevor der Arzt zusticht, die Tränen bei den Kindern, aber was heißt nur bei den Kindern: Seit langem arbeiten Wissenschaftler*innen daran, dass vor Impfungen niemand mehr Angst zu haben braucht. Mit Mikronadeln
soll der Schmerz kaum noch zu spüren sein – doch das Problem bleibt die Dosierung des Wirkstoffs. An der JKU Linz wird an einer Lösung gearbeitet.

Von Jonas Vogt

Baumwanzen müssen stinken, zumindest bei Gefahr. Die kleinen Insekten, im Englischen „Stink Bugs“ genannt, verteidigen sich mit einem übelriechenden Sekret auf ihrem Rücken. Bei potenziellen Angreifern soll es Ekel auslösen, aber dafür muss es erst einmal auf das Äußere der Wanze. Die gleichmäßige Verteilung der stinkenden Flüssigkeit funktioniert bei den Insekten über eine Struktur aus winzigen Gefäßen im Rückenpanzer. Und der Aufbau dieser Gefäße könnte dabei helfen, menschliche Impfungen in Zukunft schmerzfrei zu gestalten. Und das sogar ohne den unangenehmen Geruch.

Der Weg von der Wanze zum Impfpflaster erscheint weit, aber die Wissenschaft macht vieles möglich. An der Johannes Kepler Universität Linz forschen Johannes Heitz vom Institut für Angewandte Physik und sein Team – gemeinsam mit dem University College Cork – an Mikronadeln. Das sind winzige Injektionsnadeln, die im Prinzip wie ihre größeren Geschwister funktionieren, aber gegenüber diesen viele Vorteile haben. Sie lösen keinen Schmerzimpuls aus, weil sie kaum Nerven treffen. Man kann mit ihnen keine Arterie oder andere größere Blutgefäße verletzen. Im richtigen Setting, zum Beispiel auf einem Pflaster angebracht, kann man mit ihnen so wenig falsch machen, dass man sie Patient* innen einfach in der Apotheke in die Hand drücken könnte.

Was wiederum Ressourcen beim medizinischen Personal und im Gesundheitssystem allgemein frei macht. An dieser Stelle muss man kurz festhalten, dass die Forscher hier die Welt nicht komplett neu erfinden, weder in Linz noch in Cork. Mikronadeln sind an sich keine Besonderheit und seit Jahren im Einsatz. In der Kosmetik werden damit Wirkstoffe direkt unter die Haut gebracht, in der Medizin kommen sie vor allem in der Narbenbehandlung zum Einsatz. Und schon 2003 titelten Zeitungen „Pflaster mit Mikronadeln könnten bald normale Nadeln ersetzen“. Das ist bis heute eine Vision geblieben. Daran zeigt sich eben auch wieder: Wissenschaft ist kompliziert. Eine Anwendung muss nicht nur technisch möglich, sondern in letzter Konsequenz auch in ausreichender Menge und zu einem akzeptablen Preis produzierbar sein. Und oft steckt der Teufel im Detail – oder im Fall der Mikronadeln in der Dosierung.

Nadeln aus dem 3D-Drucker und was die Wanze damit zu tun hat

Die Nadeln, mit denen in Linz gearbeitet wird, sind an die 250 Mikrometer groß. Zum Vergleich: Ein Kopfhaar ist ungefähr 60 Mikrometer dick. „Das ist für eine Mikronadel schon relativ groß“, sagt Heitz. Technisch sei es gut möglich, in der Herstellung auf zehn Mikrometer runterzugehen. Aber bei solchen Nadeln ist der Anwendungsbereich extrem beschränkt. Denn sollen Nadeln nicht nur die Haut punktieren, sondern auch Wirkstoffe einbringen, steht man vor einem weiteren Problem: Wie dosiert man den Wirkstoff, wenn man im Mikrometerbereich arbeitet? Aktuell wird das meist mit einem Verfahren gelöst, das dem Tintenstrahldruck nicht unähnlich ist: Man versucht, die richtige Menge auf die Spitze der Nadel zu schießen. Aber eine Spitze zu treffen, die nicht sehr viel größer als ein Kopfhaar ist, bringt seine Probleme mit sich.

Genau da setzt die Forschung von Professor Johannes Heitz und seinem Team an. Die in einem 3D-Druckverfahren hergestellten Mikronadeln verfügen über winzige Einbuchtungen, die genau die richtige Menge an Wirkstoff aufnehmen können. Und da kommen wieder die stinkenden Baumwanzen vom Anfang ins Spiel. Die Struktur der Einbuchtungen haben sich die Linzer Physiker in Zusammenarbeit mit dem Institut für Medizin- und Biomechatronik von den Insekten abgeschaut. Für dieses Prinzip gibt es verschiedene Namen: Biomimetik, Bionik, Biomimikry. Dahinter steckt immer derselbe Gedanke: Sich Lösungen von der Natur abschauen, weil die ja bereits ein paar Millionen Jahre Zeit hatte, mit manchen Problemen umzugehen. Die Nadeln aus Linz nutzen also das Prinzip der Wanzen, um die Flüssigkeiten zu transportieren und genau die richtige Dosis an Wirkstoff in die Nadeln zu bringen. „Das haben wir so weltweit erstmalig geschafft“, sagt Heitz. Das Verfahren, den Wirkstoff auf die Nadel zu „schießen“, wird dadurch nicht obsolet. Aber es ist einfacher, eine Einbuchtung in einer Nadel zu treffen als ihre Spitze.

„Wie die Füllung beim Zahnarzt“

Hergestellt werden die Mikronadeln aus Kunststoff und mit Hilfe eines 3D-Laserdruckers. „Man muss sich diese Drucker wie einen großen Tisch vorstellen, auf dem mehrere optische Laser angebracht sind“, sagt Heitz. In Linz baut man sich diese Drucker selbst. Bei der Herstellung der Nadeln kam aber auch ein kommerzieller 3D-Laserdrucker zur Anwendung, den die FH Campus Linz zur Verfügung stellte. Man kann sich das Druckverfahren sehr grob wie einen 3D-Drucker zu Hause vorstellen, nur eben hundertfach präziser. Die Kunststoffe für die Nadeln werden nicht in Schichten, sondern punktgenau aufgetragen und mit dem Laser in einem Zwei-Photonen-Verfahren ausgehärtet. „Das ist ein wenig wie die Füllung beim Zahnarzt“, sagt Heitz. „Mit diesem Verfahren können wir extrem feine Strukturen schreiben.“ Eben zum Beispiel Nadeln, die nicht nur knapp 250 Mikrometer dick sind, sondern sogar kleine Strukturen zum Flüssigkeitstransport haben. Und die so stabil sind, dass man einen Abguss von ihnen machen kann. Dabei wird mit dem 3D-Drucker ein „Master“, also ein Original der Nadel, gedruckt, mit dem dann eine Gussform hergestellt wird, die eine einfache Reproduktion ermöglicht. Das senkt die Kosten und macht eine massenhafte Anwendung in Zukunft realistischer.

Die Impfung mit Hilfe eines Pflasters, auf dem unzählige Mikronadeln mit jeweils der richtigen Menge Wirkstoff angebracht sind, ist aktuell der vielversprechendste Anwendungsbereich. Prinzipiell könnte das Verfahren aber auch in der Diagnostik helfen, beispielsweise bei der Blutabnahme. Das wird die Zukunft weisen. Denn noch ist man von der konkreten Anwendung ein gutes Stück entfernt. „Das ist schon noch Grundlagenforschung, was wir hier tun“, sagt Heitz. „Wir haben gezeigt, dass es im Labor gut geht.“ Für alles Weitere brauche es noch mehr Forschung. Damit man sich eines Tages vielleicht doch eine Impfung im Vorbeigehen aufkleben kann.