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Objektivität in der Wissensvermittlung

Fakten, Transparenz und Vertrauen — JKU-Absolvent und ORF-Anchorman Tarek Leitner bei der Inauguration der KEPLER TRIBUNE über Objektivität in der Wissensvermittlung.

Von Tarek Leitner

Der ORF-Moderator Tarek Leitner beim Lesen der Kepler Tribune
Foto: Andreas Röbl

Objektivität beurteilt man unterschiedlich, je nachdem ob man selbst das Objekt ist – oder andere. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Ist es gescheit gewesen, ausgerechnet mich einzuladen, wenn eine neue Publikation der Johannes Kepler Universität präsentiert wird, und in diesem Zusammenhang die Frage nach der Objektivität gestellt wird? In diesem oberösterreichischen „Is des gscheit“ schwingt schon mit: ist das „objektiv“ geboten?

Gehen wir einmal davon aus, Rektor Meinhard Lukas hat sich da nicht von rein subjektiven Kriterien leiten lassen, etwa, weil er mich im Fernsehen „recht liab“ findet. – Das tun nur Menschen jenseits der 90. Glauben Sie mir, so viel Hobby Graphologe bin ich, beim Lesen der Seherpost.

Also bleiben wir bei den möglichen objektiven Gründen: Ich bin erstens Absolvent dieses Hauses, habe zweitens etwas mit Medien zu tun, und drittens noch dazu in einem Unternehmen, das per Verfassungsgesetz, durch Art. 1, Abs. 2 BVG-Rundfunk zur objektiven Informationsvermittlung verpflichtet ist. Da sollte man also zumindest Experte für praktizierte Objektivität sein.

Gleichzeitig spricht völlig gegen diese Einladung, dass hierzulande niemand den Eindruck hat, dass dem nachgekommen wird – wenn man Leitartikel liest, oder den Parteien zuhört und ihre Aussendungen studiert. Und das trifft nicht nur den ORF insgesamt, sondern zuweilen auch einzelne Journalisten des Hauses, je nach aktueller politischer Interessenslage. Es ist also letztlich eine Akzeptanzfrage, zu sagen „des is gscheit“, das ist objektiv richtig, den Leitner an dieser Stelle über Objektivität referieren zu lassen.

Das ist natürlich eine überraschende und unangenehme Erkenntnis: dass Objektivität – die mit wissenschaftlicher Attitüde daherkommt – etwas mit der Akzeptanz desjenigen zu tun hat, der mit ihr konfrontiert wird. Aber das ist der Kern der Überlegung: Akzeptanz der Objektivität – als ihre Voraussetzung in unserer Alltagswelt der Kommunikation.

Als Objektivität bezeichnen wir gemeinhin die Unabhängigkeit der Beschreibung einer Sache oder eines Ereignisses vom Beobachter. Anders formuliert: die Unabhängigkeit des Beobachtens vom Beobachter. Dass das nicht geht, ist jedem erstsemestrigen Philosophiestudenten klar. Daher sehen wir die Objektivität in diesen Bereichen nur als Ideal an, das wir aus der Natur der Sache heraus nicht gänzlich erreichen können.

Und trotzdem kommt etwa der Gesetzgeber auf die Idee und schreibt dieses Ideal, dem man sich nur annähern kann, mancher Redaktion dezidiert in einem Gesetz vor. Meiner etwa. Dem Motto „A jeder Greißler lobt sei Woa“ zufolge streichen wir unsere Objektivität in der Folge ständig hervor, und weil andere Medien da natürlich nicht dahinter zurückbleiben wollen, tun sie dasselbe.

Und dadurch liegt – rhetorisch gesehen – schon viel Objektivität in der Luft (und verwandte Begriffe, wie etwa Fakten), sodass kaum mit anderen Begriffen ähnlich viel Schindluder getrieben wird wie mit diesen. Und so gilt dann im politischen Sprachgebrauch vielfach das als objektiv, was sich mit der eigenen Meinung deckt. Und „neutral“ wird vielfach als völlig wertfrei missverstanden.

Die Objektivität in ihrer Gesamtheit leidet aber nicht am allfälligen mangelnden Willen einzelner Beteiligter, nicht an deren Ausbildung und Wissen, schon gar nicht am täglichen Ringen um den richtigen Zugang, die richtige Abbildung der Wirklichkeit. Ein Ringen übrigens, das ich der Redaktion des neuen Uni-Blatts genauso unterstelle, wie ich das von meiner Redaktion kenne. Manchmal sind die Besprechungen so lange, wie ich sie nur an der Uni erlebt habe, als wir diskutiert haben, welche Biersorten im ÖH-geführten Lokal unter der Mensa – in dem ich damals gekellnert habe – verkauft werden sollen. Jedes Consulting-Unternehmen würde empfehlen, nach einer solchen Sitzung die Hälfte der Leute rauszuschmeißen. Aber ich glaube, jede Minute ist es wert – vielleicht nicht beim Bier damals, aber in der Redaktion –, um den richtigen Zugang zu einem Thema zu finden.

Die Objektivität leidet auch nicht darunter, dass denknotwendigerweise immer eine Auswahl zu treffen ist. Und die trifft ein Subjekt, oder eben – wie gerade beschrieben – mehrere Subjekte nach langer Debatte.

Die Objektivität leidet nicht daran, dass selbst jenen Objektivität angedeihen zu lassen ist, die sie einem zuweilen vorenthalten. Das gehört allerdings – rein menschlich – zu den schwierigeren Aufgaben. Und ich meine, die Objektivität leidet – bis zu einem gewissen Grad – nicht einmal unter Fehlern, die klarerweise überall dort begangen werden, wo Subjekte arbeiten. Sie durchkreuzen allerdings den Anspruch auf Richtigkeit des wiedergegebenen Sachverhalts, nicht unbedingt den Anspruch auf Objektivität.

Aber Fehler bieten natürlich eine fatale Angriffsfläche. Denn viele, die (auch berechtigte) Zweifel an der Richtigkeit einer Information haben, formulieren das nicht so – und sagen nicht etwa: „Hier irren Sie sich, weil …“  Die Zweifel werden vielmehr als Unterstellung einer finsteren Absicht formuliert: „Da soll doch wieder nur … beschönigt oder verunglimpft werden.“ Je nach Weltanschauung endet dann der Satz.

Unter Objektivität wird also von diesen Menschen nicht verstanden, es (im Sinne von richtig) RECHT zu machen, sondern ES EINEM RECHT zu machen.

Bestes Beispiel aus dem Journalismus: Denken wir an den Vorstoß der Regierung für ein Kopftuchverbot an Kindergärten und Volksschulen. Der Bericht darüber enthält – um objektiv zu sein – sowohl die politische Forderung als auch die tatsächliche gegenwärtige Situation. Die Vorwürfe, die einen im digitalen Zeitalter binnen Sekunden erreichen, richten sich zum einen darauf, sich in den Dienst der billigen Symbolpolitik der Regierung zu stellen (durch den Transport der Forderung) oder linke Gutmenschenpolitik zu betreiben (durch den Transport der Zahl der betroffenen Kinder). Zitate übrigens, die zu den harmloseren Formulierungen gehören.

Wir versichern uns dann immer, genau das sei der Beweis für Objektivität. Mich macht das nicht glücklich. Es ist zwar formell richtig, aber es handelt sich dann genau um jene Objektivität, die nicht auf Akzeptanz stößt. Denn +5 und 5 ist nur in der Mathematik Null. In der Gesellschaft sind eben nicht alle zufrieden, wenn die einen auf diese und die anderen auf andere Weise höchst unzufrieden sind.

Woher rührt diese Unzufriedenheit? Ich glaube, sie kommt in vielen Fällen nicht aus nachweisbarer Falschinformation. Sie kommt in vielen Fällen daher, dass gleich gar nicht die Information oder Fakten überprüft werden, sondern der Überbringer beurteilt wird.

Das führt uns zu einem Begriff, von dem ich meine, dass er den der „Objektivität“ in der Vermittlung von Fakten ersetzt: Es ist die „Transparenz“. Kaum ein anderes Schlagwort hat den öffentlichen Diskurs in den letzten Jahren so sehr beherrscht wie die Transparenz. Gerade dort, wo es um Wissen und Informationsfreiheit geht, wird sie emphatisch beschworen.

Die Forderung nach Transparenz verschärft sich zum Fetisch. Bei der Prüfung der Validität von Fakten gibt uns die Transparenz vermeintliche Sicherheit. Wir glauben, die Objektivität einer Betrachtung dann besser beurteilen zu können, wenn wir mehr über den Urheber wissen. Ein Beispiel: Der Autor eines Berichts über das Fleischhauersterben ist auch Kassier im Tierschutzverein. Ohne Zweifel wird diese zusätzliche Information zu Gedanken über die Objektivität des Berichts anregen. Und wahrscheinlich – so das die einzige weitere Information ist, die wir mitgeliefert bekommen – wird das auch Zweifel an der Geschichte nähren.

Das ist kein Plädoyer für die völlige Gleichgültigkeit gegenüber einer publizierenden Person aber gegen den Fetisch, die durch eine totale Transparenz in Erfahrung gebrachten Eigenschaften oder Aussagen ständig mitzuliefern und der Sache einen Dreh zu geben, der das Streben nach objektiver Vermittlung in Abrede stellt. Der Fetisch der Transparenz erzeugt Misstrauen und den Generalverdacht, jeder führe eine dunkle Absicht im Schilde.

Wir haben verlernt, jemandem, der eine Aussage trifft zuzutrauen, trotz eigener Meinung darum zu ringen, die Wirklichkeit erfassen zu wollen. Und zwar deswegen, weil die Digitalisierung noch etwas Zweites mit sich bringt: die totale Vermenschlichung der Welt – wie es der deutschkoreanische Philosoph Byung-Chul Han ausdrückt. Wir überziehen die Welt via Internet mit unserer eigenen Netzhaut. Diese totale Vermenschlichung ist aber nichts anderes als eine Subjektivierung der Welt. Alle Botschaften, die ausgesendet werden, sind Botschaften anderer Subjekte neben mir, wodurch wir uns immer schwerer vorstellen können, dass es an anderer Stelle als in den sogenannten sozialen Medien Orte gibt, wo der Anspruch besteht, Objektivität zu vermitteln.

Man kann den Eindruck gewinnen, sogar Richter am OGH erliegen dieser Subjektivierung der Welt. Im vorletzten Herbst hat es in einem Rechtsstreit zwischen zwei burgenländischen Gratisblättern – der uns jetzt inhaltlich nicht weiter kümmern soll – ein Urteil gegeben, mit einer bemerkenswerten Begründung: „Der durchschnittlich aufmerksame und kritische Leser geht heute davon aus, dass auch redaktionelle Beiträge in periodischen Medien nicht neutral sind, und keine absolute Objektivität in Anspruch nehmen können, weil sie von Journalisten stammen, die ihre persönliche Meinung zum Ausdruck bringen, sei es in politischen, wissenschaftlichen oder wirtschaftlichen Belangen.“

Ich könnte abendfüllend über Qualitätsjournalismus sprechen, und darüber, wie er selbst in diesem Fall mit Meinungsjournalismus verwechselt wird. Was Qualitätsjournalismus ausmacht, insbesondere in der digitalen Welt, ist allerdings Thema meines Kollegen Christoph Kotanko (Anm.: Artikel "Kaufen können uns nur unsere Leser", öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster).

Ich will mich daher darauf beschränken, hier anzumerken, dass es sehr wohl Bereiche in unserer Gesellschaft gibt – und dazu gehört die Universität gleichermaßen wie Redaktionen in diesem Land –, die Orte sind, an denen Menschen ihre Arbeitszeit damit verbringen, sich diesem Ideal der Objektivität zu nähern. Und zwar anders, als es mir unser Deutschprofessor einst hier am Gymnasium in Linz mit einem Witz vor Augen geführt hat, in dem er uns Objektivität näherbringen wollte.

Kommt der Papst nach Brasilien, ein Land mit überdurchschnittlich vielen Problemen in Zusammenhang mit Prostitution, Sextourismus und Menschenhandel. Nachdem er mit wehendem Gewand aus seiner Alitalia-Maschine gestiegen ist, fragt ihn ein Journalist: Heiliger Vater, werden Sie auch ein Bordell besuchen? Worauf er sagt: Ja, gibt’s denn in dieser Stadt Bordelle? Am nächsten Tag titelt die lokale Zeitung: Erste Frage des Papstes nach seiner Ankunft: Gibt’s in dieser Stadt Bordelle? – Das ist objektiv nicht falsch.

Und das ist vielfach die Art und Weise, wie politische Vorgänge, vor allem in den sogenannten sozialen Medien kommentiert und transportiert werden. Für meinen Berufsstand muss ich selbstkritisch anmerken: auch von Vertretern meiner Branche.

Es kommt dabei zu einem gefährlichen Rollentausch. Jene, die nur Inhalte so objektiv wie möglich transportieren sollen, werden in fragmentierten Teilöffentlichkeiten, wie wir sie in sozialen Medien finden, fast ausschließlich als Beurteiler der Welt wahrgenommen. Und umgekehrt bietet die Politik ebenfalls über diese Kanäle, wie in früheren Zeiten die elektronische Parteizeitung, vermeintliche Fakten an – was eigentlich Aufgabe der Journalisten ist.

Beides ist nicht verboten – und sollen wir auch nicht verbieten. Es ist nur der Sachlichkeit und der Objektivität des öffentlichen Diskurses sehr abträglich. Wir müssen uns daher von Zeit zu Zeit darüber klar werden, dass wir die Rollen zum Funktionieren unserer Demokratie nicht vermischen sollen.