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Platz für Statistik

Am 11. November ist der bolivianische Präsident Evo Morales nach anhaltenden Massenprotesten auf Druck des Militärs zurückgetreten. Einer der Gründe für die Proteste waren Vorwürfe über Betrügereien bei den im Oktober abgehaltenen Wahlen, bei denen Morales den erforderlichen Abstand von 10 Prozentpunkten zum Gegenkandidaten knapp erreichte.

Die Organisation Amerikanischer Staaten hatte daraufhin eine Untersuchung eingeleitet, die auf Basis der Wahlergebnisse und der zugehörigen Zeitstempel zum Schluss kam, dass das Ergebnis statistisch unwahrscheinlich sei, und empfahl deshalb eine Neuwahl.

Bemerkenswert war hierbei die Verwendung statistischer Verfahren zur Entscheidungsfindung – welch Gegensatz zu unseren letzten Präsidentschaftswahlen!

Die am 22. Mai 2016 stattgefundene Stichwahl zwischen Norbert Hofer und Alexander van der Bellen, welche Letzterer mit etwa 30.000 Stimmen Vorsprung gewann, wurde ja nach Einspruch der FPÖ vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben. Dieser hatte 11 Wahlbezirke identifiziert, für welche nicht ausgeschlossen werden konnte, dass die darin abgegebenen Briefwahlstimmen manipuliert worden waren. Der VfGH argumentierte in seinem Erkenntnis allein mit der prinzipiellen Möglichkeit, dass der Wahlausgang dadurch beeinflusst hätte sein können, ohne jedoch die vorliegenden Daten heranzuziehen.

Der Statistiker Erich Neuwirth von der Universität Wien aber untersuchte unter der Annahme eines über die Wahlkreise durchschnittlich konstanten Verhältnisses von Urnen- zu Briefwahlstimmen, die sogenannten Residuen, das heißt die Abweichungen der Daten vom zugrundegelegten Modell. Bei eventuell vorliegenden Manipulationen hätten sich diese Residuen in den beanstandeten Wahlkreisen in statistisch signifikanter Weise, das heißt über die natürlichen zufälligen Schwankungen hinaus, von denen in den restlichen 106 Wahlkreisen unterscheiden müssen.

Dies war allerdings nicht im Geringsten der Fall. Zusätzlich lässt sich über die Residuen die Wahrscheinlichkeit dafür bestimmen, dass es trotz allem zu einer ergebnisverändernden Manipulation gekommen wäre. Neuwirth und Walter Schachermayr beziffern diese in einem Artikel in der österreichischen Zeitschrift für Statistik mit 1 zu 7,56 Milliarden, also etwa einem Tausendstel der Chance auf einen Lottosechser.

In einer unabhängigen, auch residuenbasierten Analyse kam Walter Mebane, Statistikprofessor an der University of Michigan, zu ähnlichen, in der „Washington Post“ der breiten Öffentlichkeit vorgelegten Schlussfolgerungen. Warum wurden diese harten Fakten vom Verfassungsgerichtshof nicht berücksichtigt, ja womöglich gar nicht in Erwägung gezogen? Darüber kann nur gemutmaßt werden, denn Indizien mit Wahrscheinlichkeitsangaben werden ja in anderen Verfahren durchaus benutzt, man denke nur an DNA-Vergleiche.

Aber schon 2016 haben ich im „Standard“ und Neuwirth und Schachermayr im „Falter“ festgestellt, dass möglicherweise in der Höchstrichterschaft, aber auch in der Bevölkerung im Allgemeinen, das Bewusstsein für statistische Fragestellungen kaum vorhanden ist. Dabei wird die „statistical literacy“ – also die Daten-Alphabetisierung – häufig als Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhunderts genannt. Und nur wer Daten lesen und verstehen kann, wird in einer Welt der Daten Vertrauen in die Demokratie haben. Diese Kolumne besteht auch in der Hoffnung, zur Verbreitung dieser „data literacy“ beizutragen.

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