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#taxmenow

Wie ändert man ein ganzes Wirtschaftssystem und das Verhalten seiner Akteur*innen? Ein Blick in die Geschichte hilft und dennoch gab es noch nie die Herausforderung, ein globales Problem zu lösen, gleichzeitig national zu agieren und dabei den sozialen Zusammenhalt nicht aus den Fugen geraten zu lassen.

Von Bernhard Ecker

Ein Kuchenstück.

Stellen wir uns einen Menschen vor, der einige Jahrzehnte lang ein gutes Leben im Wohlstand geführt hat: nicht immer gesund, aber erfüllt mit Arbeit. Er trinkt vielleicht einmal ein Gläschen zu viel, um vom Stress herunterzukommen, aber ist grundoptimistisch. Einige Freunde warnen ihn dann und wann davor, sich allzu sehr zu verausgaben. Doch er denkt sich: Läuft ja alles wunderbar.

Nun diagnostizieren Ärzt*innen diesem Menschen Alarmierendes: Störungen des Herzrhythmus, Probleme mit dem Bewegungsapparat, akute Burnout-Gefahr. Seine Karriereziele müsse er zurückschrauben, sein Leben umkrempeln. Das überfordert ihn, denn er kennt ja kein anderes. Fast trotzig hält er an dem fest, was war: arbeitet noch mehr, konsumiert noch mehr, verausgabt sich noch mehr. Er kann und will sich nicht vorstellen, dass es alternative Wege gibt. Er will die Krise nicht wahrhaben.

Seine Freunde erleben ihn zunehmend als störrisch, dann mürrisch. Einige wenden sich ab, andere warnen ihn vor dem endgültigen Zusammenbruch. So spitzt sich die Krise zu.

Die Welt, jedenfalls jene des Westens, hat in den letzten Jahrzehnten ein Leben im Wohlstand geführt. Doch nun ist sichtbar geworden, was der Preis dieser Entwicklung ist. Der Boom der Nachkriegsdekaden, befeuert mit billigem Öl, bringt den Planeten mit Zeitverzögerung in akute Burnout-Gefahr. Der Klimawandel führt zu Dürren, Hochwassern, gigantischen Verteilungskonflikten zwischen Arm und Reich, schwer kalkulierbaren Migrationsströmen – und das sind nur einige wenige Facetten. Nur wenn die Schäden unmittelbar vor der Haustür auftreten, wie bei den jüngsten Unwettern in Deutschland oder bei wiederholten Ernteausfällen, vergegenwärtigen wir uns, dass wir etwas ändern müssen. Kurz darauf schalten wir wieder in den Verdrängungsmodus. So spitzt sich die Krise zu.

Katastrophen-Planspiele simulieren stets ein Unheil, das über die Welt hereinbricht: Blackouts, Angriffe von Terroristen oder Cyberterroristen, Pandemien. Für die schleichende Großkatastrophe unserer Tage gibt es keine Großübung, weil sie mit zu vielen Gesichtern daherkommt. Was wäre, wenn wir einmal agieren und nicht bloß reagieren? Wenn wir der drohenden Apokalypse ein positives Szenario entgegensetzen: Dass es uns gelingen kann, den Klimawandel in erträglichen Grenzen zu halten und dabei den sozialen Zusammenhalt nicht nur nicht zu verlieren, sondern sogar zu stärken?

Das bestehende System ist nicht in Stein gemeißelt

Ohne den umfassenden Umbau der Wirtschaft ist diese bessere Welt jedenfalls nicht möglich. Der beschleunigte Verbrauch fossiler Ressourcen in der Vergangenheit wirft nun seine Schatten in die Zukunft. Und auch wenn die ersten Expert*innen schon ab den 1970er Jahren vor den Grenzen des Wachstums gewarnt haben, wird das Ausmaß der Probleme erst jetzt sichtbar. Viele halten dennoch das bestehende System für natürlich, weil sie zeit ihres Lebens kein anderes kennen gelernt haben.

Dass die bestehenden Verhältnisse nicht in Stein gemeißelt sind, zeigt ein Blick in die Geschichte. Denn auch der Kapitalismus ist nicht naturwüchsig, sondern wurde ab etwa 1800 in Nordwesteuropa aus einer Nische heraus zum dominanten Modell erhoben, erklärt Ernst Langthaler, Vorstand des Instituts für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der JKU. Ohne den Flankenschutz der sich in dieser Zeit formierenden Nationalstaaten, die etwa mit Freihandelsabkommen den grenzüberschreitenden Warenverkehr forcierten, wäre die Idee des „freien Marktes“ nicht durchsetzbar gewesen. Noch vor den radikalen Umbauten des Wirtschaftssystems wie nach der Russischen Revolution 1917 und im nationalsozialistischen Deutschland ab 1933 war diese große Transformation im 19. Jahrhundert nach Ansicht von Langthaler „der radikalste Wandel überhaupt“.

Vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte muss nun aber die Welt, nach wie vor überwiegend in Nationalstaaten organisiert, gemeinsam handeln, um ihre Existenzgrundlage zu sichern. Gefragt sind deshalb in vielen Bereichen globale Regulative und Steuern. Sie durchzusetzen ist einer der großen Schlüssel, um die Transformation erfolgreich zu bewältigen. Klar ist auch, dass dieser Wandel nicht wie ein Film auf der Leinwand ablaufen kann, dem man aus der ersten Reihe fußfrei zuschauen kann. „Es ist eine Illusion zu glauben, dass niemand etwas spüren wird“, sagt Michael Tumpel, der das Institut für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der JKU leitet. „Es wird zu einer Verhaltensänderung kommen müssen.“

Tumpel bezieht sich auf Umweltsteuern. CO2-Bepreisung ist das Stichwort, das zum Schlagwort zu werden droht, wenn nicht wenigstens irgendwo begonnen wird. Motto: Besser rasch ein Solarpaneel auf dem Dach installieren, als auf das Zustandekommen eines gigantischen, global koordinierten Photovoltaik-Parks zu warten.

Denn natürlich versuchen die großen Wirtschaftsblöcke, ihre bestehenden Systeme zu schützen. Insbesondere China, das erst mit der Öffnung ab 1978 in Richtung Kapitalismus gestartet ist, aber auch die Länder des Südens wenden ein, dass sie noch gar nicht die Gelegenheit hatten, so reich zu werden wie der Westen. Wenn aber andauernd nach einer globalen Lösung gerufen wird, entstehe „die Gefahr einer dauernden Blockade“, so Tumpel.

Daher hält er es auch für zielführend, schlicht einmal zu beginnen, wo es möglich ist. Die EU-Kommission hat das mit ihrem im Juli präsentierten Klimapaket „Fit for 55“ gemacht. Es sieht zum Beispiel Klimazölle vor, die die Spielregeln des Welthandels deutlich verändern würden. Das wäre ein massiver Eingriff in das, was bisher galt – und wurde von blockierenden Politiker*innen prompt mit polemischen Kommentaren à la „Wir wollen nicht zurück in die Steinzeit!“ bedacht.

CO2-Steuern allein reichen jedoch nicht, um nachhaltig umzusteuern. Thomas Bieber vom Institut für Finanz recht, Steuerrecht und Steuerpolitik der JKU hat sich umfassend mit Verhaltenslenkung über Steuern, insbesondere Verbrauchssteuern, beschäftigt. Wenn die Steuern auf Alkohol, Zucker oder Fett erhöht werden, so seine Erkenntnis, führt das nicht automatisch zu weniger Konsum. „Das gibt die Empirie nicht her“, sagt Bieber lapidar. Umgelegt auf klimaschädliches Verhalten heißt das aber: Mit Anreizsystemen allein wird der Planet nicht gerettet werden.

Große politische Ansagen werden zu wenig sein

Wie ändert man also ein ganzes Wirtschaftssystem und das Verhalten seiner Akteur*innen? Wie setzt sich das Neue, Bessere, Weltverträglichere gegen das Althergebrachte durch? Jedenfalls nicht ohne starken Staat, vermutlich nicht ohne Zwang – und sicher nicht ohne eine Mission.

Die amerikanisch-italienische Wirtschaftswissenschaftlerin Mariana Mazzucato predigt in ihren Büchern und Vorträgen seit Jahren, die Staaten sollten großspurig denken, um das Neue zu ermöglichen. Ihre Formel von der „missionsorientierten Innovationspolitik“ liegt auch den jüngsten Streichen der EU-Kommission zugrunde. Präsidentin Ursula von der Leyen sprach bei der Präsentation des „Green Deal“ Ende 2019 von Europas „Man on the Moon“-Moment – von einer Mission vergleichbar der Mondlandung. Diese Formel war ganz nach Mazzucatos Geschmack.

Große politische Ansagen allein reichen jedoch nicht. Ihnen muss zähe kleinteilige Knochenarbeit folgen. Thomas Gegenhuber vom Institut für Organisation der JKU, ein großer Fan von Mazzucato, beschäftigt sich mit sozialen und wirtschaftlichen Transformationsprozessen. Er sieht den Staat dabei stets als zentralen Player.

„Ein erster Schritt, um Transformationen einzuleiten, ist, Nischen zu fördern“, sagt Gegenhuber. Beispiel Elektroauto: Es gibt das dominante System mit Verbrennungsmotoren, Tankstellen, Automagazinen etc. „Von dieser Seite wird es immer Widerstand geben. Deshalb gilt es, den Zukunftstechnologien einen geschützten Raum zu bieten, damit sie sich entwickeln können“, so der Forscher. Der nächste Schritt sei dann, „diese Nische zur Dominanz zu bringen“ – durch Förderungen und Popularisierung.

Dieser Wandel scheint in der Elektromobilität tatsächlich zu gelingen: Allmählich lenken auch jene Kräfte ein, die bisher gebremst haben. Die großen österreichischen Autozulieferer wie Magna, Miba oder AVL List hatten unisono in den letzten Jahren angegeben, im Jahr 2030 von einem Anteil des reinen batterieelektrischen E-Autos im Gesamtmarkt von maximal 15 Prozent auszugehen. Jüngst hat AVL List-Chef Helmut List im „trend“ den doppelten Marktanteil als realistisch genannt. De facto hat die EU-Kommission in „Fit for 55“ auch Autos mit Verbrennungsmotoren ein Ablaufdatum gesetzt – wogegen die fossil geprägten Unternehmen der Industrie zuletzt noch Sturm liefen.

Wichtig erscheint Gegenhuber jedoch, dass solche Prozesse in demokratisch geübten Gesellschaften nicht nur von oben durchgesetzt werden können: „Für Popularisierung braucht es sowohl Druck von oben als auch Akzeptanz unten. Top-down und Bottomup schließen einander nicht aus.“

In diese Kerbe schlägt auch der Historiker Langthaler, wenn er meint, dass es „neben dem etatistischen Weg des ‚Kapitalismus von oben‘ auch den zivilgesellschaftlichen Weg gibt“. Das bedeutet, dass neben den Eingriff en des Staates, etwa über Steuern, Veränderung auch aus der Gesellschaft heraus bewirkt werden kann, zum Beispiel über Kooperationen von Produzent*innen und Konsument*innen an den etablierten Marktstrukturen vorbei. Ab-Hof-Vermarktung oder Energiegemeinschaften – in Österreich soeben mit dem kurz vor der Parlaments-Sommerpause beschlossenen Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) ermöglicht – könnten nur der Auftakt für eine nachhaltige Umwälzung der Wirtschaft sein. Langthaler: „Gerade in Krisenzeiten öffnen sich für soziale und technische Innovationen in gesellschaftlichen Nischen Gelegenheitsfenster, um in den Mainstream aufzusteigen.“

Dass der notwendige Umbau im Zeichen des Klimaschutzes auch mit einer Schwächung des dominanten Wirtschaftssystems selbst einhergeht, ist jedoch eine Fehlannahme. Kapitalistisch orientierte Investor*innen projektieren derzeit weltweit die größten Windparks und Sonnenstromkraftwerke, stampfen Batteriefabriken für das E-Auto aus dem Boden und sorgen für hocheffiziente Lieferketten quer über den Globus. Auch im Zeitalter des Klimaschutzes erweist sich dieses System als ebenso effizient wie höchst wandlungs- und anpassungsfähig. Die Akzeptanz des „grünen Kapitalismus“ wird jedoch davon abhängen, ob es gelingt, den Wandel sozial verträglich zu machen.

Langthaler erinnert daran, dass die goldenen Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs auf einer Umverteilung von oben nach unten mit den Mitteln des Wohlfahrtsstaates beruhten. Der Boom im Westen, getragen von der neu entstandenen Massenkonsumgesellschaft, bedeutete aber auch eine beschleunigte Ausbeutung natürlicher Ressourcen. Verändert man nun das System, etwa in Richtung umweltschonender Produktionsweisen und veränderter Konsumstile, braucht es neue Mittel des sozialen Ausgleichs, „und eine faire Verteilung des Wohlstands ist mehr denn je eine politische Aufgabe“, sagt Langthaler.

Damit sich die Arm-Reich- Schere im Zuge der Transformation nicht noch stärker öffnet, braucht es folglich erneut den Staat. Denn wenn die Wirtschaft grün wird, heißt das nicht automatisch, dass sie sozial gerechter wird. Nur wem der Boden gehört, kann etwa großflächig Kraftwerke errichten und die damit verbundenen Förderungen und Erträge der Energiewende lukrieren. Sowohl innerhalb der Staaten als auch global gilt es deshalb auch, mit aller Kraft sozial gegenzusteuern.

Wie bei den Umweltsteuern gibt es dazu bereits weltweite Initiativen. Im Oktober soll beim G20-Gipfel die Einigung auf eine weltweite Mindestkörperschaftsteuer von 15 Prozent formalisiert werden. Damit sollen multinationale Unternehmen, etwa die hochmobilen Digitalkonzerne à la Google, Amazon, Facebook & Co., nicht ständig dorthin ausweichen können, wo ein Land ihnen die niedrigste Rate verspricht.

Als großen Durchbruch gefeiert, braucht es aber ein weiteres, hartnäckiges Bohren dieses harten Brettes, um so tatsächlich mehr Steuergerechtigkeit zu erzielen. „Zu schwammig und zu euphorisch“ seien die Ergebnisse bisher dargestellt worden, meint etwa Peter Bräumann vom Institut für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre der JKU. Zum einen seien die 15 Prozent niedrig angesetzt, zum anderen gebe es auch keine Verpflichtung, sie einzuheben. Noch größer wiegt die Gefahr, dass die USA – Treiber der historischen Einigung – auf diesem Weg versuchen, eine echte Digitalsteuer für ihre Silicon-Valley-Riesen zu vereiteln.

Das Bedürfnis einer Veränderung gibt es „unten“ und „oben“

Und was für die Welt der Unternehmen gilt, gilt natürlich auch für Private. Die OECD, der Zusammenschluss der reichen Industriestaaten, war nicht nur ein Motor für die Corporate Minimum Tax, sondern plädiert auch für eine Anhebung von Erbschafts- und Schenkungssteuern. Derzeit gibt es in 24 der 37 OECD-Mitgliedstaaten – also in knapp zwei Drittel – eine solche Steuer, die jedoch aufgrund der vielen und komplexen Freibetragsregelungen nur durchschnittlich 0,5 Prozent zum gesamten Steueraufkommen beiträgt. Auch hier ist globale Koordination wünschenswert: Superreiche verlegen ihre Wohnsitze gerne dorthin, wo ihnen noch niedrigere Zahlungsverpflichtungen in Aussicht gestellt werden.

Das Bedürfnis, daran etwas zu ändern, gibt es sowohl „unten“ als auch „oben“: In der Initiative #taxmenow forderten Mitte Juni 36 Millionärinnen und Millionäre aus Deutschland und Österreich eine höhere Besteuerung von Millionenvermögen. Politisch wird das Thema in Österreich, wo die Erbschaftssteuer 2008 abgeschafft worden ist, allerdings blockiert, stattdessen wird an die Spenden- und Stiftungsfreudigkeit der Vermögenden appelliert. Geschickt wird suggeriert, der kleine Hausbesitzer werde von Vermögenssteuern getroffen, flankiert vom Aufschrei der Boulevardmedien.

Wir sehen, dass unser Mensch in der – für alle ersichtlichen – Krise nicht so einfach zu einer fundamentalen Änderung seines Lebensstils bewogen werden kann – obwohl der Mehrheit seiner Freunde völlig klar ist, was schiefläuft. Zu viele Gewohnheiten, Kränkungen und innerer Widerstand halten ihn ab, ins Tun zu kommen.

Damit er nicht endgültig im Burnout landet, sollte jedoch ein Fehler nicht begangen werden: Dass man sich von ihm abwendet. Krisenzeiten sind die Nagelprobe dafür, dass Solidarität nicht bloß ein hohles Wort ist: Wenn unser Mensch sich weiter verrennt, muss ihn halt einmal jemand am Arm nehmen und ihn notfalls gegen seinen Willen in eine andere Richtung ziehen.

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