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Teile und herrsche nicht!

Der Traum einer kooperativen Sharing Economy ist trotz der negativen Erfahrungen mit großen Plattformen wie Uber und AirBnB noch nicht geplatzt. Doch für ihre Rettung müssen Politik, private Akteure und Zivilgesellschaft strategischer denken.

Von Bernhard Ecker

Ein Apfelspalter.

Sebastian Kurz bedankte sich auf Twitter bei Dara Khosrowshahi für „die interessante, offene Diskussion über Uber und die Zukunft der Mobilität“. Das Treffen mit dem CEO des weltweiten Fahrtdienstes war Teil der Silicon- Valley-Promotiontour des österreichischen Kanzlers im Juli 2019, der genaue Inhalt blieb unter Verschluss. Drei Jahre später erinnerten sich Kommentatoren an Kurz’ Besuch in Kalifornien: Unter dem Namen „Uber Files“ wurden im Juli 2022 über 120.000 geleakte Uber-Dokumente analysiert, die unter anderem belegen sollen, welche Lobbypraktiken das US- amerikanische Unter nehmen zur Durchsetzung seiner aggressiven Expansion anwandte.

Geholfen hat Khosrowshahi der enge Kontakt zum damaligen Star der mitteleuropäischen Rechtskonservativen wenig. Denn mit dem österreichischen Gelegenheitsverkehrs gesetz, das Mietwagen-Fahrdienste und Taxiunternehmen zu einem Gewerbe zusammenfasste, war der Handlungsspielraum für die Plattform ab 2021 deutlich stärker eingeschränkt als etwa in Deutschland. Zu diesem Schluss kommt die Studie „Zwischen Integration und Disruption“ der Linzer Professorinnen Susanne Pernicka (Institut für Soziologie) und Elke Schüßler (Institut für Organisation), die unterschiedliche Regulierungsansätze im Personentransportsektor untersucht und damit einen wichtigen Baustein für eine seit zehn Jahren währende Debatte liefert: Ob sich die früheren Hoffnungsträger der sogenannten Sharing Economy derart ins Wirtschaftsgefüge integrieren lassen, dass sie nicht nur ihren Eigentümern, sondern auch Fahrern, Kunden und Städten Mehrwert bringen. Zumindest eine gute Botschaft hat JKU-Wirtschaftswissenschaftlerin Schüßler vorweg: „Die Politik kann eingreifen, wenn sie will.“

Schüßler beschäftigt sich seit langem mit digitalen Plattformen und ihren Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft, sie weiß über die Euphorie in den Anfangsjahren ebenso gut Bescheid wie über die ernüchternde Zeit danach. Die Grundidee der Sharing Economy entfachte ab Anfang der 2010er Jahre Begeisterung: Ungenutzte Ressourcen vom Privatauto über Spezialwerkzeuge bis zur Wohnung gemeinschaftlich nutzen und so effizienter, aber auch nachhaltiger wirtschaften.

Damit einher ging eine oft romantisierte Vorstellung neuer Rollen der Wirtschaftsakteure: Der Konsument ist auch Produzent, der Besitzer teilt seine Ressourcen. Die Idee wurde in den Jahren darauf jedoch von großen Plattformen gekapert, die in Windeseile ihre Geschäftsmodelle global ausrollten und sich anschickten, die oft behäbigen lokalen Märkte komplett zu disrumpieren – ohne Rücksicht auf Arbeitsbedingungen, Umwelt und Verluste. Fahrer in prekären Beschäftigungsverhältnissen oder ganze Stadtviertel, die von über Plattformen vermittelten Gästescharen und ihren Trolleys buchstäblich überrollt wurden, waren die negativsten sichtbaren Folgen.

Freie Fahrt oder Regulierung

Am berüchtigtsten wurden das Privatvermietungsportal AirBnB, gegründet 2008, und der Fahrtendienst Uber, gegründet 2009.

Das Lobbying war in Europa vielleicht auch deshalb intensiver, weil sich der alte Kontinent dazu entschieden hatte, den neuen Anbietern nicht einfach freie Bahn zu lassen. So entschied der EuGH Ende 2017, dass das Uber-Angebot als Verkehrsdienstleistung zu klassifizieren ist. Diese Ablehnung des amerikanischen Modells bedeutete, dass die jeweiligen Mitgliedstaaten der EU fortan die Rahmenbedingungen dafür bestimmen durften. Vor diesem Hintergrund begannen Pernicka und Schüßler ihre vergleichende Untersuchung zwischen der nationalen Uber-Regulierung in den europäischen Hauptstädten Berlin und Wien.

In beiden Städten gab es alteingesessene Taxi- und Mietwagenverbände, die sich verlässlich gegen Veränderung im Allgemeinen und neue, unkalkulierbare Konkurrenz im Besonderen wehrten. Generell, merkt Schüßler an, hinke „die Politik stark hinter dem Markt hinterher“. Auf der einen Seite agieren die Plattformen „ultrastrategisch“ und können, gestützt durch viel Venture- Capital, jahrelange Verluste schlucken, um das Ziel einer Quasi-Monopolstellung zu erreichen. Uber hat seit der Gründung noch nie einen Gewinn erzielt. Auf der anderen Seite verharren die Vertreter des „Es war schon immer so“ vorwiegend defensiv.

Dennoch wählten die österreichischen Regulatoren einen anderen Weg als die deutschen: Sie gliederten Uber & Co. in das Taxigewerbe ein, während in Deutschland die Konflikte zwischen Plattformen und Mietwagenunternehmen auf der einen Seite und Taxiunternehmen auf der anderen Seite erhalten, teilweise sogar verstärkt wurden, wie die Studie festhält. Das habe in Österreich, sagt Schüßler, eher ein „level playing field“ – möglichst faire Wettbewerbsbedingungen für möglichst viele Marktakteure – geschaffen als in Deutschland. Ein Erklärungsansatz für die unterschiedliche Vorgangsweise ist die größere Zersplitterung der Interessenverbände in Berlin und das vergleichsweise stärkere Mitspracherecht der Kommunen in Deutschland, das in der Administrierung paradoxerweise zu deren Überlastung führt.

Die Studie von Pernicka und Schüßler stellt exzellente Werkzeuge bereit, um das Verhalten von Akteuren zu analysieren, wenn globale auf lokale Wirtschaftsstrukturen treffen. Eine grundsätzlichere Antwort auf die Frage, welche Rolle die Vermittlungsplattformen mit ihrem globalen Anspruch in Zukunft einnehmen können und sollen, steht jedoch noch aus.

AirBnB ist im Clinch mit der Stadt Wien

Die Pandemie, in der Reisen und der öffentliche Verkehr in weiten Teilen der Welt zeitweilig zum Erliegen kamen, hat sowohl das Modell Uber als auch AirBnB stark getroffen. Der Aktienkurs von Uber hat sich seit dem Höchststand Anfang 2021 gedrittelt, jener von AirBnB liegt klar unter dem Ausgabekurs vom Börsengang Ende 2020.

Noch ist es zu früh zu spekulieren, ob es jemals ein Comeback zu alter Größe gibt. 9.000 Angebote via AirBnB habe es vor Corona in Wien gegeben, sagt Wolfgang Hassler von der für Statistik zuständigen MA 23 der Stadt Wien, die nächste Erhebung werde es in der zweiten Jahreshälfte 2022 geben. Praktisch alle europäischen Städte, so Hassler, hätten mit dem Privatzimmervermittler jedoch höchst gemischte Erfahrungen.

Im Kern geht es fast immer um das Sharing der Daten der Quartierbetreiber, um die korrekte Abführung von Ortstaxen und Steuern kontrollieren zu können. „Wir wollen die Daten der Personen haben, die auf den Plattformen tätig sind“, sagt Hassler unmissverständlich. Während jedoch andere alternative Plattformen Kooperationen mit der Stadt geschlossen haben, ist das bei AirBnB nicht der Fall. Ein entsprechendes Verwaltungsstrafverfahren, das die Stadt Wien gegen den US-Anbieter angestrengt hat, ist noch nicht entschieden. Wie im Fall von Uber ist das Verhalten der Plattform jedenfalls alles andere als vertrauenserweckend. Die Logik der Plattform ist Kolonialisierung, und nur wenn Staat, Private und Zivilgesellschaft dagegenhalten, kann Goliath gesellschaftsverträglich gemacht werden.

Ein neuer Anlauf fürs Sharing

Für einen differenzierten Blick auf die Sharing Economy plädiert jedoch trotz aller Irritationen die renommierte Soziologin Juliet Schor vom Boston College. Der Titel ihres Buches „After the Gig: How the Sharing Economy Got Hijacked and How to Win It Back“ deutet schon an, dass nicht die gesamte Idee des kooperativen, ressourcenschonenden Teilens in den Müllkorb der Geschichte geworfen werden soll. In den USA haben seit 2020 Uber-Fahrer, geschockt durch den Quasi-Totalausfall in der Corona-Zeit, Plattform-Genossenschaften gegründet, bei denen die Apps den Kooperativen gehören. Die Nutzer können somit auch Stundenpreise, Modalitäten der Krankenversicherung etc. gemeinschaftlich festlegen. Das Ziel sind bessere Jobs und ein Beitrag zur lokalen Wirtschaft. Das Platform Cooperativism Consortium in New York zählt inzwischen 550 solcher Projekte in 43 Ländern weltweit, von Fahr- über Reinigungs- zu Vermietungsdiensten. Laut Schors Rechnung kommen diese stärker am Gemeinwohl orientierten Dienste inzwischen auf über 13 Millionen Jobs in Europa.

Ob sich die Goliaths mit solchen Ansätzen verkleinern oder gar verdrängen lassen, ist offen. Uber hat sich in der Krise als überaus wendig gezeigt und blitzschnell seinen Essenslieferdienst Uber Eats forciert. Schüßler beruft sich auf Schor und spricht von einem „institutionellen Chamäleon“, das nicht nur gelernt habe, sich an lokale Gesetzgebungen, sondern auch an abrupte Marktwendungen anzupassen. In der Wissenschaft spricht man inzwischen von „Varieties of Uberization“, um die Wandelbarkeit großer Vermittlungsplattformen auszudrücken.

Forschungsbedarf gibt es jedenfalls weiterhin mehr als genug. Schüßler knöpft sich derzeit die in der Pandemie boomenden Food-Delivery-Plattformen wie Mjam und Lieferando vor. Fokus: Linz und die Auswirkungen auf die dortige Gastronomie. Und es scheint sich zu wiederholen, was sich bei den Fahrdiensten gezeigt hat: Weder die Restaurants noch ihre Interessensvertretungen, also die lokalen Player, nehmen die Platt formen als neuen Wettbewerb am Markt wahr. „Somit werden auch keine Strategien entwickelt, um die eigene Marktposition langfristig zu stärken“, heißt es in einem Beitrag in der Austrian Management Review, der erste Ergebnisse des gemeinsam mit Sara Maric durchgeführten, von der JKU Business School geförderten Forschungsprojekts resümiert.

Es sollte ein Weckruf für alle sein, die vorhaben, die Idee der Sharing Economy auf möglichst vielen Ebenen zu retten.

 

Weitere Infos:

Pernicka, S., & Schüßler, E. (2022). Zwischen Disruption und Integration: Governance von digitalen Plattformen im Personentransportsektor aus feldtheoretischer Perspektive. KZfSS Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 74, pages 355–381. , öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster

Schüßler, E., Attwood-Charles, W., Kirchner, S., & Schor, J. B. (2021). Between mutuality, autonomy and domination: rethinking digital platforms as contested relational structures. Socio-Economic Review, 19(4), 1217-1243., öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster