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Universitas und Innovation

(c) Julia Bichler

Damit Unternehmen, Produkte, Dienstleistungen, Konzepte und Ideen als besonders gut und zukunftsträchtig gelten, müssen sie vor allem eines sein: innovativ. Das erscheint uns heute völlig selbstverständlich. Aus historischer Vogelperspektive ist es das jedoch keineswegs. Im Gegenteil: Mentalitätsgeschichtlich galt das Neue lange als mindestens verdächtig, oft sogar als überaus gefährlich. Und zwar vom antiken Rom, wo man mit dem homo novus abwertend einen politischen Emporkömmling bezeichnete, bis zur mittelalterlichen Inquisition, deren global agierende Agentur zur Fortschrittsvermeidung bekanntlich über unzählige Leichen ging. Peter Sloterdijk bemerkte in seinem 2014 erschienenen Buch „Die schrecklichen Kinder der Neuzeit“ deshalb pointiert: „Was heute als Tradition bezeichnet wird, nannte sich in älteren Tagen meistens Frömmigkeit, und was jetzt Innovation heißt, war vormals schlicht und einfach Sünde.“

Auch vor diesem Hintergrund lässt sich jene ungeheure Freisetzung von Neophilie, die im Laufe des 18. Jahrhunderts unter dem etwas groben Begriff der Aufklärung einsetzte, also kaum überschätzen. Denn von nun an gewann der ikarische Imperativ immens an Bedeutung: Ideen, Projekte und Unternehmungen sollten sich durch innovative Optimierung zu immer neuen Höhen aufschwingen. Und selbst wenn es dabei auch wiederholt zu kreativen Bruchlandungen kam, avancierte die Liebe zum Neuen zu einem zentralen Existenzwert der Moderne.

Nicht zuletzt deshalb gilt uns Leonardo da Vinci, dem anlässlich seines 500. Todestags in diesem Jahr weltweit Ausstellungen gewidmet werden, ja bis heute als der innovative Aufklärer avant la lettre, obschon seine ingenieurwissenschaftliche Schaffensbilanz eigentlich eher bescheiden blieb. Denn nur sehr wenige seiner wagemutigen Entwürfe, vom Holz-Helikopter bis zum Panzerfahrzeug, erblickten tatsächlich je das Licht der Renaissance-Welt. Und das nicht nur deshalb, weil sie oft lediglich als skizzenhafte Showreels dienten, um finanzstarke Fürsten für die Subventionierung der eigenen Existenz zu begeistern, sondern ebenso, weil ihnen mitunter hanebüchene Denkfehler zugrunde lagen, die sie zu baulichen Totgeburten machten. Doch auch wenn der Wille zur Innovation stets die Möglichkeit solch seriellen Scheiterns implizierte, brachte der neophile Fortschrittsdrang der Moderne in technologischer, sozialer und auch moralischer Hinsicht selbstverständlich ein ungeheures Maß an zivilisatorischer Verbesserung hervor. Nicht nur in den westlichen Demokratien, sondern auch global gesehen leben wir in diesen Tagen im Durchschnitt schließlich länger, hygienischer, vernetzter, mobiler, wohlhabender, sicherer, friedlicher und komfortabler als je zuvor.

Deshalb führt jede pauschale Fortschrittsskepsis heute auch zwangsläufig in die Irre. Nur ändert das wiederum nichts daran, dass die Liebe zum Neuen gleichzeitig auch blind machen kann. Blind für jene Dialektik der Aufklärung, die aus philosophischer Warte so eindringlich von Theodor W. Adorno, Max Horkheimer oder Walter Benjamin beschrieben wurde; Letzterer lieferte in seinem Essay „Über den Begriff der Geschichte“ das vielleicht eindrücklichste Bild dafür.

In Rekurs auf Paul Klees „Angelus Novus“ beschreibt Benjamin einen Engel, in dessen ausgebreiteten Flügeln sich ein Sturm verfängt und den Götterboten davon abhält, die vor ihm liegenden Ruinen wieder aufzubauen. „Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“ Die Drastik dieses Bilds rührt natürlich vor allem daher, dass Benjamin den Text 1940 im Angesicht jener nationalsozialistischen Barbarei schrieb, die das ganze Arsenal technologischer Innovationen in den Dienst einer historisch einzigartigen Mordmaschinerie stellte. Nichtsdestotrotz – oder gerade deswegen – gemahnt es einen aber auch heute noch, ein starkes Sensorium für die immensen Fallstricke des Fortschritts zu entwickeln.

Um derer in aller Deutlichkeit gewahr zu werden, muss man gegenwärtig ja nur nach China blicken, wo jene digitalen Technologien, die vor ein paar Jahren noch als Fanal globaler Freiheit firmierten, nun die technische Infrastruktur eines allumfassenden Überwachungsstaats bilden, gegen den George Orwells 1984 zunehmend verblasst; wobei sich die Fallstricke des Fortschritts nicht nur in solch politischen Extremfällen offenbaren, sondern etwa auch in der kürzlich bei Embryonen angewendeten CRISPR/CAS-Methode. Der damit verbundene Eingriff in die menschliche Keimbahn mag sich in Zukunft zwar womöglich als medizintechnischer Meilenstein entpuppen, könnte aber ebenso zu einer neuen Form der Eugenik führen.

Sind Fortschritt und Innovation also stets ambivalente Angelegenheiten, die zwischen zivilisatorischer Verbesserung und dialektischer Verschlechterung oszillieren, kommt gerade den Universitäten und öffentlichen Forschungseinrichtungen in diesem Zusammenhang eine doppelt wichtige Rolle zu. Zum einen sind sie es selbst, die als wesentlicher Motor von Innovationen dienen. Denn entgegen dem weit verbreiteten Mythos, das Neue entspringe vor allem den Dynamiken des Marktes, weist beispielsweise die Ökonomin Mariana Mazzucato immer wieder darauf hin, dass es von der Eisenbahn bis zum Internet auch und vor allem der Staat sowie die mit ihm verbundenen Forschungsinstitutionen waren, die die entscheidenden Neuerungen des Technikzeitalters hervorgebracht haben. Und bis heute ist es allen voran die Grundlagenforschung, ohne die sich kaum eine der digitalen Disruptionen des Silicon Valley denken lässt. Oder wie Mazzucato in ihrem 2013 erschienenen Buch „Das Kapital des Staates“ exemplarisch bemerkt: „Tatsächlich steckt im iPhone nicht eine einzige Technologie, die nicht staatlich finanziert wurde.“

Doch neben den MINT-Fächern, die für die technischen, chemischen oder biomedizinischen Innovationen sorgen, sind es auch die Gesellschafts- und Geisteswissenschaften, denen mehr denn je eine buchstäblich existenzielle Funktion zukommt. Nur mit ihren Mitteln können wir schließlich einschätzen, abwägen und reflektieren, wie sich bestimmte Innovationen auf unser gesellschaftliches Zusammenleben auswirken, welche soziale Folgeprobleme sie schaffen und ob wir sie ethisch – man denke an die bereits erwähnte Genschere – überhaupt zulassen sollten.

Nun muss man sich freilich keine Illusionen machen: Gegenüber der brachialen Dynamik innovativer Disruptionen wirkt die philosophische oder soziologische Reflexion im öffentlichen Diskurs – leider – allzu oft wie ein machtloser Zuschauer am Seitenrand. Aber gerade das lässt sich eigentlich nur als Ansporn verstehen, sie an den Universitäten zukünftig zu stärken, und zwar nicht zuletzt dadurch, dass Forschungsprojekte interdisziplinär aufgestellt werden. Denn ganz gleich ob es um Innovationen im Bereich Künstliche Intelligenz, Robotik oder Biogenetik geht: Ein Fortschritt, der Fallstricke möglichst vermeidet, braucht die Verzahnung von MINT-Fächern mit Gesellschaftsund Geisteswissenschaften.