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Was mache ich hier eigentlich?

Die Corona-Krise zwingt uns, unsere Arbeitswelt neu zu reflektieren. Jetzt, wo viele zu Hause sitzen, drängt sich die Frage auf: Wie sinnvoll ist das, was wir tun? Die Antwort ist schwierig. Denn: Bedeutsamkeit ist subjektiv – und sie lässt sich nicht erzwingen.

Von Ruth Eisenreich

Auf einem Post-It steht die Frage: Was mache ich hier eigentlich?

Die einen fahren plötzlich morgens nicht mehr ins Büro, sondern prüfen stattdessen den Winkel ihrer Webcam und schieben herumliegendes Kinderspielzeug ins Off. Die anderen gehen weiter zur Arbeit, plagen sich dort aber mit Schutzmasken und vom Desinfizieren gereizten Händen. Zigtausende Arbeiterinnen und Angestellte haben ihren Job verloren, Selbstständige ihre Aufträge, Hunderttausende sind in Kurzarbeit. Längst bekannte, aber gern verdrängte Fakten darüber, auf welche Arbeit die Gesellschaft im Notfall verzichten kann und auf welche nicht, liegen plötzlich offen auf dem Tisch. Österreich ließ 24-Stunden-Betreuerinnen aus Rumänien einfliegen, „systemrelevant“ wurde zu einem unwahrscheinlichen Modewort, eine Zeit lang ertönte allabendlich an offenen Fenstern Applaus für das Pflege-, Verkaufs- und Reinigungspersonal, das man unter diesem sperrigen Begriff zusammenfasste. Die Corona-Krise hat uns abrupt dazu gezwungen, viele scheinbare Selbstverständlichkeiten unserer Arbeitswelt neu zu reflektieren.

Der US-amerikanische Anthropologe David Graeber stellte 2018 in seinem Bestseller „Bullshit Jobs“ die These auf, ein großer Teil der Jobs in unserer modernen Gesellschaft sei völlig sinnlos und das sei denjenigen, die sie ausführten, auch sehr bewusst. In der Corona- Krise, sagte er kürzlich in einem Interview mit Zeit Online, trete noch klarer zutage, welche Jobs Bullshit seien: „Manche Büroangestellten melden sich jetzt bei mir und sagen: Ich habe immer vermutet, dass ich meinen Job auch in zwei Stunden in der Woche erledigen könnte, aber jetzt weiß ich tatsächlich, dass es so ist. Denn sobald man das von zu Hause aus macht, fallen zum Beispiel oft die Meetings weg, die überhaupt nichts bringen.“

Acht Stunden pro Tag mit Arbeit zu verbringen, die man als Bullshit empfindet, deren Sinn man nicht sieht, ist für die meisten Menschen eine zutiefst frustrierende Erfahrung, die sich stark auf die psychische Gesundheit auswirken kann. Ein Gefühl der Bedeutungslosigkeit sei etwa einer von mehreren Risikofaktoren für ein Burnout, sagt Barbara Stiglbauer, assoziierte Professorin an der Abteilung für Arbeits-, Organisations- und Medienpsychologie der Johannes Kepler Universität Linz (JKU). Selbst ein gutes Gehalt könne das nur bis zu einem gewissen Grad wettmachen. „Kein Geld zu haben, wirkt sich ebenfalls sehr negativ aufs Wohlbefinden aus“, sagt Stiglbauer, „aber es gibt dabei einen Plateau-Effekt: Ab einem gewissen Punkt bringt zusätzliches Geld kein zusätzliches Wohlbefinden mehr.“ Wie wichtig uns Bedeutsamkeit im Verhältnis zu Geld ist, lässt sich sogar beziffern. Die kanadischen Forscher Jing Hu und Jacob B. Hirsh haben in einer Studie 245 Menschen gebeten, jeweils einen Job zu nennen, den sie als sinnstiftend empfänden, und einen, dessen Ausübung sich für sie sinnlos anfühlen würde. Dann fragten sie, für welches Gehalt die Teilnehmer*innen die beiden Jobs annehmen würden. Das Ergebnis: Für einen als bedeutungsvoll empfundenen Job würden die Befragten ein um 32 Prozent niedrigeres Gehalt akzeptieren als für einen, den sie sinnlos finden.

Was die Gesellschaft als bedeutungsvoll wahrnimmt, verändert sich ständig

Was aber bedeutet überhaupt „sinnstiftende Arbeit“? Eine objektive Definition, welche Berufe bedeutungsvoll seien und welche sinnlos, gebe es nicht, sagt Barbara Stiglbauer: „Wahrscheinlich ist jeder Job für irgendjemanden wichtig und bedeutungsvoll, auch wenn das andere nicht immer nachvollziehen können.“ In der Studie der beiden kanadischen Forscher wurden zwar einige Berufe besonders häufig genannt (Lehrerin, Schriftsteller und Künstlerin als bedeutungsvoll; Buchhalterin, Gastronomie-Mitarbeiter und Bankangestellte als bedeutungslos) – aber mehr als die Hälfte aller Tätigkeiten, die eine Person als Beispiel für eine sinnvolle Arbeit nannte, fielen einer anderen als Beispiel für eine sinnlose ein.

Auch für Brigitte Aulenbacher, die Leiterin der Abteilung für Gesellschaftstheorie und Sozialanalysen am Institut für Soziologie der JKU, ist sinnhafte Arbeit in erster Linie etwas Subjektives: „Es geht darum, mit welchem Sinn Menschen ihre Arbeitsinhalte belegen.“ Man könne Sinnhaftigkeit zwar auch von außen definieren, sagt Aulenbacher, dafür müsse man aber zunächst einen Maßstab festlegen. „Wenn ich zum Beispiel als Maßstab definiere, dass wir als Gesellschaft den Klimawandel stoppen wollen, dann ist jede Arbeit im Bereich der Wirtschaft, der Technologie und der Politik sinnhaft, die dazu beiträgt.“ Diese äußere Sinnhaftigkeit müsse aber keineswegs übereinstimmen mit dem Sinnempfinden der Menschen. Als Beispiel nennt Aulenbacher die Autoindustrie: Eine Ingenieurin könne grundsätzlich der Meinung sein, dass die Welt mehr Fahrräder, mehr öffentlichen Verkehr und weniger Autos brauche, könne aber dennoch die konkrete eigene Arbeit als sinnhaft empfinden, wenn etwa die neu entworfene Bremse verkehrssicherer sei als die bisherige. Genau umgekehrt ergehe es jenen Menschen im Gesundheits- und Sozialbereich, die grundsätzlich viel Sinn in ihrer Tätigkeit sehen, aber im Alltag durch Personalmangel und wirtschaftlichen Druck dazu gezwungen werden, sie auf eine Art auszuüben, die sie nicht als sinnhaft erleben.

Welche Berufe die Gesellschaft als sinnhaft anerkenne, verändere sich im Laufe der Zeit, sagt Aulenbacher. Es hänge vor allem mit dem Fortschrittsverständnis der Gesellschaft zusammen – was als zukunftsweisend gelte, werde auch als sinnhaft beschrieben. „In den 50er und 60 Jahren galt die Montanindustrie – rauchende Schlote, körperliche Schwerarbeit – als der Weg, Wohlstand für alle zu produzieren, und somit als sehr sinnhaft“, sagt sie. „Heute wird diese Arbeit aus ökologischen Gründen kritisiert, dafür gilt die Arbeit von Ingenieurinnen, Technikern und Informatikerinnen als sinnhaft, weil unser Fortschrittsbegriff viel mit Digitalisierung zu tun hat.“

Auch die Corona-Krise zeigt, dass sich ändern kann, was die Gesellschaft als bedeutungsvoll wahrnimmt. „Unter normalen Umständen sind wir es gewohnt, dass unsere Grundbedürfnisse reibungslos befriedigt werden“, sagt die Psychologin Barbara Stiglbauer. Dass wir etwa fast jederzeit Lebensmittel einkaufen können, dass Büros, Supermärkte und Krankenhäuser einigermaßen sauber sind. „Wenn wir, wie zu Beginn der Corona-Krise, das Gefühl haben, es könnte schwierig werden, diese Bedürfnisse zu befriedigen, ändert sich die Wertigkeit und wir nehmen plötzlich das Verkaufen von Lebensmitteln oder das Putzen als bedeutungsvolle Tätigkeiten wahr.“

Wie wichtig uns Sinnhaftigkeit ist, kann sich ebenfalls verändern, wie die kanadischen Forscher Hu und Hirsh bei einer Auswertung von Befragungen Tausender Vollzeitbeschäftigter aus verschiedenen Ländern in den Jahren 2005 und 2015 feststellten. Wer seine Arbeit als interessant und als nützlich für andere Menschen und die Gesellschaft empfand, war weniger bereit, seine Stelle für eine besser bezahlte aufzugeben. Im Jahr 2015 war dieser Unterschied stärker ausgeprägt als zehn Jahre zuvor, während die Wechselbereitschaft insgesamt deutlich anstieg. Die Autor*innen führen Zweiteres auf eine größere berufliche Mobilität, Ersteres auf einen stärkeren Fokus auf Bedeutsamkeit in der jüngeren Generation zurück.

Was also entscheidet, ob eine Person ihre Arbeit als bedeutungsvoll empfindet? Forscherinnen und Forscher haben unterschiedliche Systematiken dazu aufgestellt, unterschiedliche Begriffe geprägt, aber ihre Grundgedanken ähneln einander: Wir nehmen unsere Arbeit als bedeutungsvoll wahr, wenn sie zu unserem Selbstbild und unseren persönlichen Zielen passt; wenn wir merken, dass wir mit ihr etwas bewirken, einen Einfluss auf andere Menschen oder die Gesellschaft haben; wenn wir uns dabei als Teil einer Gemeinschaft empfinden; und wenn die Ziele und Werte unseres Unternehmens mit unseren eigenen übereinstimmen.

Die Arbeit wird Teil unserer Lebenserzählung

Der österreichischen Sozialpsychologin Marie Jahoda zufolge, bekannt für die 1933 veröffentlichte richtungsweisende Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“ über die Folgen von Massenarbeitslosigkeit, hat Erwerbsarbeit nicht nur die „manifeste Funktion“ des Gelderwerbs, sondern versorgt die Arbeitenden auch mit fünf „latenten Funktionen“, die für die psychische Gesundheit wesentlich sind: eine regelmäßige Tätigkeit, eine Zeitstruktur, Sozialkontakte, Status und Identität sowie die Teilhabe an kollektiven Zielen. Barbara Stiglbauer hat zusammen mit Kollegen nachgewiesen, dass es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen den latenten Funktionen und der psychischen Gesundheit gibt; dass beruflich aktive Menschen bessere Werte bei den fünf latenten Funktionen haben als Arbeitslose; und dass Arbeitende mit hohem Status besser abschneiden als solche mit niedrigerem.

Ein Gefühl von Sinnhaftigkeit sei oft mit Stolz auf die eigene Leistung verbunden, stellten die britischen Forscher Catherine Bailey und Adrian Madden in einer qualitativen Umfrage unter 135 Beschäftigten aus zehn verschiedenen Berufen fest. Wer seine Arbeit interessant, fesselnd und kreativ finde, empfinde sie auch eher als bedeutsam; Lob und Anerkennung von anderen spiele ebenfalls eine Rolle. „Die große Mehrheit der Interviewten fand ihre Arbeit bedeutungsvoll“, schreiben Bailey und Madden, „ob sie nun Musikerinnen waren, Verkäufer, Anwältinnen oder Müllmänner.“

Bedeutsamkeit sei für Menschen so wichtig, dass viele ihre Jobs aktiv umgestalteten, um mehr davon empfinden zu können. Sie sei allerdings kein dauerhaftes Gefühl: „Wahrscheinlich kann niemand seine Arbeit konsistent bedeutungsvoll finden, sondern das Bewusstsein, dass die eigene Arbeit bedeutsam ist, steigt in bestimmten Momenten in einem hoch.“ An diese Momente aber erinnere man sich noch lange zurück, sie prägten sich ein und würden zu einem Teil der eigenen Lebenserzählung. Dabei seien sie nicht zwangsläufig Momente reiner Freude, Bedeutsamkeit könne auch mit Melancholie einhergehen, etwa wenn eine Pflegekraft einem Sterbenden das Gehen erleichtere.

Genauso prägend wie Momente der Bedeutsamkeit seien solche, in denen Menschen ihre Arbeit als sinnlos empfinden, stellten Bailey und Madden fest. Und: „Bedeutung ist im Wesentlichen etwas, was Individuen für sich in ihrer Arbeit finden, aber Sinnlosigkeit ist etwas, was Organisationen und Chefinnen aktiv erzeugen können.“ Ein Gefühl der Sinnlosigkeit empfanden die Befragten vor allem, wenn ein Spannungsverhältnis zwischen ihren eigenen Werten und Qualitätsansprüchen und den Anforderungen des Arbeitgebers bestand, wenn sie sich nicht wertgeschätzt fühlten, wenn sie sinnlose Aufgaben erfüllen mussten, sich unfair behandelt fühlten oder wenn ihre Expertise und ihre Meinungen übergangen wurden. Um Gefühle der Bedeutungslosigkeit zu vermeiden, schreiben Bailey und Madden, müssten Chefs ein gutes, respektvolles Arbeitsklima herstellen und den Mitarbeiter*innen klarmachen, welche gesellschaftlichen Ziele das Unternehmen verfolgt und wie die Arbeit der Einzelnen – auch die langweilige oder mühsame, die zu wohl jedem Job dazugehört – dazu beiträgt.

Für Unternehmen zahlt es sich aus, wenn die Beschäftigten ihre Arbeit als bedeutungsvoll empfinden: Beschäftigte, auf die das zutrifft, sind tendenziell zufriedener mit ihrem Job und engagierter, fühlen sich dem Unternehmen stärker verbunden, sind weniger geneigt, ihren Job zu wechseln, und geben sich eher mit weniger Geld zufrieden.

Das ist für die Beschäftigten gleichzeitig die potenzielle dunkle Seite der Bedeutsamkeit: Wer seine Arbeit als bedeutungsvoll empfindet, neigt eher dazu, freiwillig zu viel zu arbeiten und der Arbeit andere Lebensbereiche zu opfern, und nimmt es eher hin, wenig zu verdienen oder für unangenehme Tätigkeiten eingespannt zu werden. Im Fall von Pflegekräften etwa ist das Gefühl, die eigene Arbeit habe einen Nutzen für die Gesellschaft, ein wesentlicher Grund dafür, dass so viele ihren Job trotz schlechter Bezahlung, unregelmäßiger Arbeitszeiten und hoher Arbeitsbelastung nicht hinschmeißen.

Die Krise als Gelegenheit zur gründlichen Selbstreflexion

Wird die Corona-Krise dazu führen, dass sich die gesellschaftliche Bewertung verschiedener Arbeiten und damit verbunden auch die finanzielle Wertschätzung und die Arbeitsbedingungen verändern?

Die amerikanische Organisationspsychologin Amy Wrzesniewski stellte 2002 in einem Aufsatz fest, dass die Terroranschläge vom 11. September 2001 viele Menschen dazu gebracht hätten, die Prioritäten in ihrem Leben und damit auch die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit zu überdenken. In der Zeit nach 9/11 sei in der Gegend um New York die Anzahl der Bewerber*innen bei der Feuerwehr und für Lehrerstellen deutlich gestiegen. Eine Pandemie ist natürlich kein Terroranschlag, aber sowohl 9/11 als auch die Corona-Krise gehören zu den einschneidendsten globalen Ereignissen der letzten Jahrzehnte – und die meisten Österreicherinnen und Österreicher betrifft Corona sehr viel direkter.

„Wenn man so durchgeschüttelt, so aus der gewohnten Routine geworfen wird wie jetzt, bietet das eine Gelegenheit zur Selbstreflexion“, sagt die Psychologin Barbara Stiglbauer. Möglich also, dass die Krise manchem Büroangestellten die Bedeutungslosigkeit seiner Arbeit so deutlich vor Augen führt, dass er sich nach einem sinnhafteren Job umsieht. Möglich aber auch, dass genau das Gegenteil passiert, sagt Stiglbauer: „Manchem fehlen jetzt vielleicht plötzlich das Büro und die Kollegen, die ihm immer auf die Nerven gegangen sind – oft muss man Dinge verlieren, damit man merkt, was einem wichtig ist.“

Was die sogenannten systemrelevanten Berufe betrifft, fürchtet Stiglbauer, dass sich die gesteigerte Wertschätzung verflüchtigen wird, sobald sich das Leben einigermaßen normalisiert und wir etwa wieder wie gewohnt einkaufen gehen können. Die Soziologin Brigitte Aulenbacher sieht in der Corona-Krise zwar eine Chance dafür, die Arbeitsbedingungen in Bereichen wie Pflege, Betreuung und Einzelhandel zu verbessern, weil der Widerspruch zwischen der Bedeutung dieser Arbeit und ihrer geringen materiellen Wertschätzung nun noch offensichtlicher geworden sei. Aber auch sie ist nur bedingt optimistisch, dass sich dadurch wirklich etwas ändern wird. In den sozialen Medien posteten in der Krise viele Pflegekräfte verschiedene Varianten ein und derselben Aussage: „Vielen Dank für den Applaus, davon werde ich meine nächste Miete bezahlen.“