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Weiche Kraftwerke

Erneuerbaren Energien gehört die Zukunft. Doch bei allem Fortschritt lassen wir eine Quelle mit gewaltigem Potenzial noch fast völlig ungenutzt: das unermüdliche Auf und Ab der Ozeanwellen. Zu groß sind die technischen Herausforderungen durch Meerwasser und raue See. Unter Beteiligung der JKU wurde nun ein neues, visionäres Konzept für Wellenkraftwerke entwickelt: Sie sollen ein Herz aus weichen Materialien bekommen.

Von THOMAS BRANDSTETTER

Wellenkraftwerke im Ozean sollen nachhaltige Energie erzeugen
Illustration: Michael Drack

Es sind riesige Ungetüme aus Stahl, die schwimmend oder auch unter Wasser im Takt der Wellen Strom erzeugen. Und das Potenzial dieser Kraftwerke ist gewaltig. Theoretisch würde die Energie, die der Wind – und damit letztendlich die Sonne – in die Wellen der Ozeane steckt, ausreichen, um den gesamten Strombedarf unseres Planeten zu decken. Theoretisch. In der Praxis stehen die Entwickler von Wellenkraftwerken jedoch noch vor erheblichen Herausforderungen.

Die ungestüme Kraft der See bringt die schwimmenden Generatoren regelmäßig in Bedrängnis, während ihnen das aggressive Meerwasser langsam, aber sicher an die Substanz geht. Doch in Anbetracht steigenden Interesses an Quellen erneuerbarer Energie führt an den Meereswellen kein Weg mehr vorbei.

Während bereits im Einsatz befindliche Prototypen zur Marktreife geführt werden sollen, wird parallel weiterhin nach alternativen Konzepten gesucht. So auch im erst kürzlich abgeschlossenen Projekt Wetfeet, das im Rahmen des EU-Forschungsprogramms Horizon 2020 mit über drei Millionen Euro gefördert wurde.

Gemeinsam mit Projektpartnern von der Scuola Superiore Sant‘Anna in Pisa und dem italienischen Technologieentwickler Selmar haben Forscher der Abteilung für weiche Materie der JKU ein neuartiges Konzept entwickelt, um die mechanische Bewegung der Wellen in elektrischen Strom umzuwandeln.

Anstatt eine Turbine anzutreiben, soll der im Inneren eines Wellenkraftwerks erzeugte Luftstrom eine Art Gummiballon aufblasen und dabei elektrische Ladungen verschieben. „Im Vergleich zu einer Turbine ist ein Ballon eine recht einfache Konstruktion und damit auch weniger fehleranfällig“, erklärt Institutsleiter Siegfried Bauer. Gerade bei Wellenkraftwerken, die weit von der Küste entfernt im Ozean treiben, ist die Wartung ein kritischer Punkt. Deshalb wird bereits jetzt mit einer Reihe von Maßnahmen versucht, die Fehleranfälligkeit zu minimieren.

Am empfindlichsten sind dabei die Generatoren, die letztendlich den Strom erzeugen. Sie müssen vor allem vor Korrosion geschützt werden, weshalb die Turbinen oft indirekt durch Luft angetrieben werden, um direkten Kontakt mit dem Meerwasser zu vermeiden. So auch beim ersten kommerziellen Wellenkraftwerk der Welt im baskischen Mutriku, das seit seiner Inbetriebnahme im Jahr 2011 etwa 250 Haushalte mit Strom versorgt. Das Herzstück des Kraftwerks bilden 16 Luftturbinen, die in einen Wellenbrecher des Hafens integriert sind. Statt die Wellen direkt anzuzapfen, wird ihr Wasser in Betonröhren, sogenannte pneumatische Kammern, gedrückt und vom darauffolgenden Wellental wieder herausgezogen. Das komprimiert die Luft in den Röhren, und es entsteht ein schneller Luftstrom, der schließlich die Turbinen antreibt. „Das schützt zwar die Turbinen vor dem Meerwasser, verringert aber gleichzeitig die Effizienz“, erklärt Reinhard Schwödiauer, Universitätsassistent an der Abteilung Physik weicher Materie, der gemeinsam mit Professor Bauer am Projekt Wetfeet gearbeitet hat.

Eine weitere Möglichkeit, die Bewegungsenergie der Wellen nutzbar zu machen, bieten sogenannte Attenuator-Kraftwerke.

Sie bestehen aus riesigen Stahlelementen, die auf dem offenen Meer schwimmen und über Gelenke miteinander verbunden sind. Prominentestes Beispiel ist das Wellenkraftwerk Pelamis, wobei der Name (das griechische Wort für Seeschlange) Programm ist. Es setzt sich aus vier gewaltigen Stahlröhren mit einer Gesamtlänge von 150 Metern zusammen, die sich wie eine Schlange in den Wellen des Ozeans winden. Durch diese Bewegung werden in den Gelenken befindliche Hydraulikzylinder aktiviert, die Flüssigkeit durch Röhren mit integrierten Turbinen drücken und damit Stromgeneratoren antreiben.

Pelamis galt lange Zeit als Vorzeigeprojekt und war das erste schwimmende Wellenkraftwerk für den offenen Ozean, das auch tatsächlich Strom in an Land gelegene Netze speiste. Seine Betreiberfirma ist allerdings bereits 2014 in Insolvenz gegangen, womit dem 700-Tonnen-Stahlkoloss und einstigem Hoffnungsträger nun die Verschrottung droht.

Bei Wetfeet dagegen stehen zwei weitere Konzepte von Wellenkraftwerken im Mittelpunkt, wobei teilweise auf Prototypen aufgebaut werden konnte. In beiden Fällen handelt es sich um Bojen, die über Seile im Meeresboden verankert sind.

„Diese Verankerungen müssen sowohl Stürmen als auch Strömungen standhalten“, erklärt Schwödiauer. „Das ist eine beträchtliche technische Herausforderung, für die unsere Partner einige neue Lösungsansätze erarbeiten konnten.“

Bei einem der beiden Konzepte (Projektname „Symphony“) werden die zigarrenförmigen Bojen unter der Wasseroberfläche gehalten und so dem wechselnden Druck durch die darüber hinweglaufenden Wellen ausgesetzt. Befindet sich über dem Schwimmkörper ein Wellenberg, steigt der Druck und die Boje wird zusammengestaucht. Im darauffolgenden Wellental sinkt der Druck wieder und die Boje dehnt sich aus. Über einen ausgefeilten hydraulischen Mechanismus wird diese Bewegung im Inneren des Wellenkraftwerks in eine schnelle Strömung umgesetzt, die schließlich eine Turbine antreibt. Im Rahmen des Projekts wurden Teile für einen Prototyp mit einem Durchmesser von knapp sechs Metern getestet. Um wirtschaftlich arbeiten zu können, muss das Kraftwerk jedoch noch deutlich größer werden.

Dem zweiten Konzept liegt das gleiche Funktionsprinzip wie dem Wellenkraftwerk im Hafen Mutriku zugrunde. Anstatt fix in einem Damm befindlicher Betonrohren steigt und sinkt der Wasserspiegel jedoch im Inneren einer riesigen Boje, die auf der Wasseroberfläche schwimmt und gleichzeitig am Meeresgrund verankert ist. Wie in Mutriku wird auch hier durch die auf- und absteigende Wassersäule zunächst Luft in Bewegung versetzt, um die Turbinen vor der zersetzenden Kraft des Meerwassers zu schützen. Und natürlich bleibt auch hier wieder – zum Wohle der empfindlichen Bauteile – die Effizienz auf der Strecke.

Während die beiden Kraftwerkskonzepte und die dazugehörigen Prototypen hauptsächlich von Projektpartnern entwickelt wurden, die auf erneuerbare Energien und maritime Technologien spezialisiert sind, kam den Linzer Forschern der Abteilung Physik weicher Materie eine ganz spezielle Aufgabe zu. „Wir haben hier am Institut bereits viel Erfahrung mit dehnbaren Materialien gesammelt, die Bewegungen ausführen, wenn man sie elektrisch anregt“, betont Bauer. „Das funktioniert auch umgekehrt.“ Gemeint ist ein Effekt, der bereits Wilhelm Conrad Röntgen beschäftigte. Im Jahr 1880 berichtete der deutsche Physiker, dass sich ein Kautschukband dehnt, wenn man elektrische Ladungen auf seine Oberfläche sprüht. Dabei ziehen sich die Ladungen auf den gegenüberliegenden Seiten des Bandes an und drücken das dazwischenliegende Material zusammen. Da das Volumen des Materials aber gleichbleibt, muss es bei einer Verringerung der Dicke in eine andere Richtung ausweichen: Das Band wird länger.

Während Röntgen noch mit einfachem Kautschuk experimentierte, steht den Wissenschaftern heute eine riesige Palette verschiedener Materialien zur Verfügung. Und wo Röntgen die Ladungen noch aufsprühte, wird der Werkstoff heute üblicherweise mit elektrisch leitfähigen Materialien beschichtet. So können die Ladungen bequem, etwa aus einer Batterie, auf die Oberflächen gebracht werden. Nach diesem Prinzip haben Bauer und sein Team bereits vor zehn Jahren die Grundlagen für „künstliche Muskeln“ entwickelt, die durch geschickte Kombination von elektrostatischer Anziehung und Hydraulik unterschiedlichste Bewegungen ausführen.

Bei „Wetfeet“ allerdings war der entgegengesetzte Effekt gefragt: Mechanische Bewegung sollte mithilfe weicher Materialien in elektrischen Strom umgewandelt werden.

Dazu wurde im Rahmen des Projekts ein Prototyp entwickelt, für den die Linzer Forscher die theoretischen Grundlagen lieferten. Im Wesentlichen handelt es sich um eine Art Ballon, der abwechselnd aufgeblasen und wieder entlüftet wird. Dabei verändern sich sowohl die Fläche als auch die Dicke der beschichteten Ballonhaut. Im Fachjargon spricht man in einem solchen Fall von einem Kondensator, dessen Kapazität sich zyklisch verändert.

„Im Grunde handelt es sich dabei um eine Pumpe für Elektronen“, so Schwödiauer. „Letztendlich wird dadurch Strom erzeugt.“ Für den ultimativen Härtetest im Meer ist die Technologie zwar noch nicht ausgereift genug, im Modellbetrieb im Wellenbecken erzeugt das System in verkleinerter Form aber bereits Strom. Um es tatsächlich in einem Wellenkraftwerk einsetzen zu können, müsste allerdings eine um ein Vielfaches größere Version gebaut werden. „Dafür sind die verwendeten Materialien noch nicht robust genug“, sagt Bauer. Solange die Materialforschung jedoch weiterhin neue, verbesserte Werkstoffe hervorbringt, wird auch die Vision von einem weichen Herzen für Wellenkraftwerke weiterleben.