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Weniger Feuerwerke, mehr Sonnenaufgänge

„Das Publikum muss hingenommen werden, wie jedes andere Element.“ Dieser Fatalismus von Friedrich Hebbel (1813–1863) hat kein Ablaufdatum.

Von Peter Grubmüller

Foto: Andreas Röbl

In allen Jahrhunderten schlugen sich künstlerisch wie wissenschaftlich Vortragende mit stets neuen Formen des Unverständnisses und der Ablenkung ihrer Zuhörerschaft herum. So ernst wie heute mag es dennoch noch nie gewesen sein. „Digitalisierung“ heißt das Biest, das die Aufmerksamkeitsspannen des Publikums in kleine Teile reißt. Es sieht danach aus, als dämpfe sich die Dauer der Aufnahmefähigkeit auf drei bis fünf Minuten ein, eben auf die Länge eines erfolgversprechenden You- Tube-Videos. Danach müsse ein neues Thema her.

Für Wissenschaft und Kunst, deren komplexe Inhalte in digitaler Verknappung so gut wie nie zur Entfaltung kommen, sind das scheußliche Nachrichten. Die Johannes Kepler Universität (JKU) und das Bruckner Orchester Linz (BOL) haben sich auch deshalb auf eine intensive Partnerschaft verständigt: um in Zeiten fahrlässiger Zuspitzung die unverzichtbare Vertiefung zu kultivieren. Und dass Künstler die Wissenschaft stets beflügelt haben, ist für JKU-Rektor Meinhard Lukas eine nicht aus der Welt zu verhandelnde Grundthese seines Amtsverständnisses. Auch deshalb sei das von aller Welt bewunderte und mit naturwissenschaftlichen Nobelpreisträgern gespickte MIT (Massachusetts Institute of Technology) in Cambridge eine „halbe Kunstuniversität“, wie Lukas beim Aufeinandertreffen mit BOL-Chefdirigent Markus Poschner anlässlich des „Kepler Salon Extern“-Austausches vor Publikum im Linzer Teichwerk sagt. Mit dem Erbe der beiden Urgewalten Johannes Kepler und Anton Bruckner sei in Linz ein erstklassiger Boden für derlei Entwicklung geschaffen. Die Stadt dürfe sich bloß nicht mit Mittelmaß zufriedengeben. Von der Architektur über Stadtentwicklung bis zur Gastronomie bestehe „Luft nach oben“, sagt Lukas. Dennoch sei weder Stadt noch Land ein gewisser Mut abzusprechen, ergänzt Poschner. Unter anderem führt er die Investitionen in Ars Electronica Center, Kunstmuseum Lentos und Musiktheater als Beispiele an. Aber an den Ideen, wie diese Ausstattung befüllt werden soll, „was man aus all dem macht“, müsse gefeilt und für deren Umsetzung müsse gekämpft werden. Also sei auch Poschner keinem geringeren Anspruch hinterher, als mit dem Bruckner Orchester eine eigene kulturelle Tradition zu begründen.

Unbestreitbar sei die klaffende Lücke zwischen der internationalen Wahrnehmung von Österreich als Kulturnation und der Strahlkraft als Standort der Wissenschaft. Lukas: „Wenn das Bruckner Orchester in der New Yorker Carnegie Hall zu Gast ist, wird es ein ausverkauftes Haus haben. Wenn eine österreichische Universität bei einem der führenden Institute der USA zu Gast ist, werden wir freundlich begrüßt, mehr ist aber oftmals nur sehr schwer zu erreichen. Da wird uns klarer, warum es so wichtig ist, dass wir weiterhin in unseren Status als Kulturnation investieren. Das ist auch eine vom Steuerzahler miterbrachte Kulturleistung, von der wir alle profitieren.“ Die Kooperation mit dem Bruckner Orchester sei auch aus diesem Grund so wichtig wie erfreulich. Wenn also hierzulande über Kulturbudgets diskutiert werde, sagt Lukas, müsse ein Bewusstsein dafür bestehen, welche Reputation durch Kultur für das Land erworben wird.

Trotz der Beschwörung kultureller Werte ist das digitale Gespenst und dessen Talent, Kurzatmigkeit der Konzentration zu verursachen, noch nicht verscheucht. „Das ist ein bisschen wie mit dem kleinen Kind, dem man ein Fahrrad schenkt“, sagt Poschner: „In dem Moment, in dem das Kind auf das Fahrrad steigt, vergrößert sich sein Horizont und damit sein gesamtes Bewusstsein.“ Erst ein größerer Blick in die Landschaft sei die Voraussetzung, Interesse wachsen zu lassen. Mut zur Investition wird also belohnt, das sei unstrittig. Genauso wie die Mühe, nicht bloß den Status quo zu halten, sondern die eigenen Stärken trotz digitaler Ablenkungen auszubauen.

Lukas und Poschner rudern also im selben Boot, wenn es darum geht, Offenheit von Publikum und Studierenden mit interessanten Angeboten herzustellen. Natürlich ist das anstrengend, weil, wie Lukas am Beispiel der Thesen des Soziologen Christoph Kucklick und dessen Buch „Die granulare Gesellschaft“ (Ullstein Verlag) erläutert, die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation den Zustand verursachten, „scheinbar mit jedem kommunizieren zu können, aber nicht wirklich im Gespräch zu sein oder Gemeinschaftserfahrungen zu machen“. Hinter dieser Erkenntnis verberge sich auch die Erklärung dafür, warum in Zeiten größten Wohlstandes die Enttäuschung wächst. Lukas: „Diese Individualisierung der Digitalisierung führt zu einer Vereinsamung und in der Folge zu einer Unzufriedenheit.“ Diese wiederum stärkt Feindbildbetrachtungen, die populistischen Politikern in die Hände spielt. Nein, Technologie sei dafür nicht allein verantwortlich zu machen, dennoch beflügle sie die Entwicklung. Deshalb habe die Universität aktuell einige Lehrstühle eingerichtet – wie unter anderem „Roboterpsychologie“ mit Professorin Martina Mara –, um diese Themen zu beforschen. Die JKU erschöpft sich also nicht in „Höher, schneller, weiter“-Angeboten, um die Ökonomisierung zu befeuern, sondern sie öffnet ein Feld, auf dem Resonanz möglich wird – und bläst damit wieder ins gleiche Horn des Bruckner Orchesters, das seine Kunst „unbedingt in Beziehung zur Welt bringen muss“, wie Poschner sagt. Nur so seien Erlebnisse herzustellen.

Wer sich also auf übliche Rituale verlässt, wird bald allein in Hör- und Konzertsälen stehen. Aber wie Meinhard Lukas und Markus Poschner einander im Gespräch beflügeln, ist schon als Blaupause einer erfolgversprechenden Verquickung von Erkenntnissen und Neugestaltung zu lesen. Mit seiner Publikumsanalyse mag Hebbel nicht ganz falsch gelegen sein. Seine weitere These zu zertrümmern, wonach „das Publikum nur ein Feuerwerk beklatscht, aber keinen Sonnenaufgang“, lohnt sich dennoch. Trotz Digitalisierung, trotz YouTube, jeden Tag aufs Neue.