Fluch oder Segen: Das Altern

Warum altern wir? Welchen Anteil haben die Gene? Zellbiologin Prof. Maren Engelhardt erzählt über den Prozess des Alterns.

Maren Engelhardt
Maren Engelhardt

Was will ein jeder werden, was will doch keiner sein? Die Antwort dieses alten Scherzrätsels ist natürlich: alt. Warum müssen wir überhaupt altern, was können wir dagegen tun und warum werden wir deutlich älter als frühere Generationen? Maren Engelhardt, Professorin für Anatomie und Zellbiologie an der Medizinischen Fakultät der JKU, erklärt die zugrundeliegenden Mechanismen und warum sie keine 300 Jahre alt werden möchte.

Warum gibt es so viele 100jährige?
Maren Engelhardt: Diese Frage kann man pauschal gar nicht beantworten, weil viele Faktoren, zum Teil auch gänzlich unbekannte, dafür verantwortlich sind. Österreich liegt damit voll im weltweiten Trend – die Vereinten Nationen schätzen, dass schon heute über 340.000 Menschen weltweit über 100 Jahre alt sind. Bis 2050 geht man von Verzehnfachung auf über drei Millionen Menschen aus.

Warum werden wir viel älter als unsere Großeltern?
Maren Engelhardt: Auch hier gilt – es gibt viele Faktoren, die das Älterwerden begünstigen, von denen aber mit Sicherheit nicht alle bekannt sind. Fakt ist, dass die Versorgung der Menschen – von den Vorsorgeuntersuchungen im Kindheitsalter bis ins Seniorenalter – über die Zeit deutlich besser geworden ist, der medizinische Fortschritt immens ist und es uns erlaubt, Krankheiten zu überstehen, an denen die Generation unserer Großeltern noch verstorben ist. Denken Sie nur mal an Impfungen! Der demografische Wandel macht ja auch vor Oberösterreich nicht halt – wir werden immer älter und entsprechend wird mehr von Seiten der Gesellschaft in dieses „Älterwerden“ investiert. Schauen Sie sich z.B. mal zwei der Forschungsschwerpunkte an der Medizinischen Fakultät der JKU an: Klinische Altersforschung und Versorgungsforschung haben schon im Medizinstudium einen besonderen Stellenwert.

Wir hören immer wieder von 100jährigen, die nie Sport betrieben haben und sich von Schweinsbraten und Hausmannskost ernähren.
Maren Engelhardt: Ja, das ist wie die berühmte 90jährige Tante, die ihr Leben lang geraucht hat – das sind oft Anekdoten, hinter denen sich aber keine statistisch belastbaren Zahlen verbergen. Aber auch bei Schweinsbraten und Hausmannskost gilt: alles in Maßen ist selten ein Problem. Und die Generation, die heute 100 Jahre alt wird, hat auch nicht überwiegend den ganzen Tag im Büro an einem Bildschirm gesessen und sich im Alltag wenig bewegt. Man muss nicht Leistungssport betreiben, um sich langfristig gesunderhaltend körperlich zu betätigen.

Lässt sich der Prozess des Älterwerdens bremsen?
Maren Engelhardt: Zumindest gibt es mal einen ganzen Industriezweig, der damit ein ausgesprochen lukratives Gebiet erkannt hat, denken Sie nur mal an die Anti-Aging Kosmetik oder die unendlich vielen Produkte aus der Ernährungsmittelindustrie, die uns angeblich alle jünger machen.

Aber im Ernst, da bis heute nicht mal vollständig verstanden ist, was auf zellbiologisch und molekularer Ebene beim Altern wirklich stattfindet, ist das nicht so einfach zu beantworten. Wirklich bremsen kann man einen Alterungsprozess nicht. Körperzellen altern ab dem Moment, an dem sie gebildet wurden und in Betrieb gegangen sind. Auch im Kindesalter finden Alterungsprozesse statt, diese halten sich aber viel länger die Waage mit Erneuerungsprozessen, von denen in einem 90jährigen Körper eben nicht mehr viele stattfinden. Aber es gibt auf jeden Fall Faktoren, die uns schneller altern lassen – z.B. wenn wir uns lange und häufig ungeschützt der Sonnenstrahlung aussetzen oder unseren Körpern viel Zellstress zumuten was z.B. durch belastende Ernährung, Entzündungsprozesse oder die Einnahme von Suchtmitteln der Fall wäre.

Grundsätzlich herrscht ja großer Konsens, dass eine gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung eine wichtige Rolle für das langsamere Altern spielen. Aber schon zu der Frage, wodurch sich eigentlich eine gute Ernährung auszeichnet, finden Sie unendlich viele Meinungen.

Wie können wir entspannt Älterwerden?
Maren Engelhardt: Indem wir nicht täglich darüber nachdenken und uns sogar dadurch Stress machen, dass wir durchs Älterwerden gestresst sind. Wir sollten so leben, wie wir uns in unseren Körpern wohlfühlen. Es hilft, wenn man sich viel bewegt, ausgewogen ernährt und möglichst auf Suchtmittel verzichtet. Und im Übrigen den Kopf nicht vergessen! Menschen, die sich auch im fortgeschrittenen Alter kognitiv noch herausfordern, z.B. durch das Erlernen einer neuen Sprache oder eines Musikinstruments, bleiben geistig fit und tun etwas gegen das Älterwerden im Kopf. Wir sollten ja nicht vergessen, dass es nicht erstrebenswert ist einfach nur die Zahl 100 zu erreichen. Älterwerden sollte ja auch ein schöner Prozess sein, den man geistig auf voller Höhe miterlebt und mitgestaltet.

Ab wann ist man alt?
Maren Engelhardt: Das kommt ganz auf einen selber an und ich betone da gerne die geistige Komponente. Man ist immer so alt, wie man sich fühlt. Ich kenne 30jährige, die über ihr „Alter“ klagen, und umgekehrt 80jährige, denen man weder äußerlich noch innerlich auch nur die 60 zutrauen würde.

Welche Rolle spielen "gute Gene"?
Maren Engelhardt: Definieren Sie "gut"? Es gibt per se keine guten oder schlechte Gene. Aber es gibt Gene, die von Forscher*innen in die Gruppe der sogenannten Gerontogene eingruppiert wurden, da sie als Langlebigkeitsgene identifiziert wurden (allerdings bisher wirklich nachgewiesen erst im Fadenwurm und Fruchtfliegen). Gerontogene könnten z.B. bestimmte zelluläre Mechanismen codieren die den Schutz vor oxidativem Stress oder DNA Reparaturmechanismen steuern.

Tatsächlich geht man davon aus, dass die Lebensspanne eines Menschen zwischen 10-30% vererbt wird – Gene spielen also nicht die Hauptrolle. Viel stärkere kausale Zusammenhänge für die Lebensspanne eines Menschen existieren für den Lebenstil und die Umweltfaktoren, die auf diesen Menschen wirken. Das beste Gerontogen wird Ihnen nichts helfen, wenn Sie Ihre Kindheit neben einer Chemiefabrik verbracht haben, die sich nicht um Umweltauflagen schert.

Wie alt kann der Menschen werden oder anders gefragt: Ist bei 120 Jahren Schluss?
Maren Engelhardt: Das kann man so pauschal auch nicht beantworten. Wahrscheinlich ist aber, dass ohne umfangreiche Forschung und schlussendlich auch Manipulation genetischer Grundvoraussetzungen kein unendlicher Aufschub der Lebensspanne möglich sein werden. Ich stelle mir das eher ungern vor – ein großer Teil dessen, was das Leben so lebenswert macht ist ja das Wissen um seine Endlichkeit. Mir persönlich ist die Qualität des Alterns viel wichtiger als eine bestimmte Zahl zu erreichen.