Mehr als 90.000 untersuchte Fälle: Alkoholkonsum steigt ab 16. Geburtstag – und schadet vor allem Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien

Ein Ökonom*innen-Team der JKU und der Uni Passau hat in einer umfassenden Datenanalyse erstmals die Wirkung des gesetzlichen Mindestalters am Beispiel von Österreich untersucht.

Martin Halla
Martin Halla

Mit 16 Jahren darf man in deutschsprachigen Ländern Alkohol trinken. Ein Ökonom*innen-Team der Johannes Kepler Universität Linz und der Universität Passau hat in einer umfassenden Datenanalyse erstmals die Wirkung dieses – international eher niedrigen – gesetzlichen Mindestalters am Beispiel von Österreich untersucht. Ein Ergebnis: Die Wahrscheinlichkeit einer Alkoholvergiftung steigt ab dem 16. Geburtstag um 42%.

Ein niedriges gesetzliches Mindestalter beim Alkoholkonsum schadet ganz besonders Jugendlichen aus einkommensschwachen und sozial benachteiligten Familien. Zu diesem Ergebnis gelangten Forscher*innen in der Studie „Minimum Legal Drinking Age and the Social Gradient in Binge Drinking“, die kürzlich als JKU Working Paper erschienen ist.

Die Forschenden haben am Beispiel Österreich erstmals eine umfassende Datenanalyse durchgeführt, die die Wirkung der gesetzlichen Regelung untersucht. Sie kombinierten dazu Daten aus Befragungen von Jugendlichen mit Daten der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse zu Krankenhauseinweisungen von 91.208 Jugendlichen im Alter von 13 bis 21 Jahren. Dazu nutzten sie Daten einer Feldstudie, bei der minderjährige Testkäufer*innen versuchten, eine Flasche Wodka in Geschäften zu kaufen.

Unmittelbar nach dem 16. Geburtstag zeigen die Auswertungen einen sprunghaften Anstieg im Alkoholkonsum und bei Alkoholvergiftungen. Interessanterweise deuten die Analysen aber darauf hin, dass sich diese Effekte kaum mit einem einfacheren Zugang zu Alkohol erklären lassen. Vielmehr ändern die Jugendlichen nach dem 16. Geburtstag einfach ihre Einschätzung, wie schädlich das sogenannte „Komasaufen“ am Wochenende ist. „Dieses Ergebnis spricht für eine normative Kraft der gesetzlichen Regelung, welche auch die Einschätzung der Gefahr beeinflusst. Die Jugendliche denken anscheinend, wenn es selbst der Gesetzgeber erlaubt, dann kann es gar nicht so schädlich sein“, fasst Martin Halla, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Johannes Kepler Universität Linz, zusammen.

Die wichtigsten Erkenntnisse im Überblick

Nach Einschätzung der Forscher*innen ändert sich der Umgang mit Alkohol, sobald das Alter von 16 Jahren erreicht ist:

  • Die Menge an Alkohol, die die Jugendlichen pro Woche konsumieren, steigt sprunghaft – und zwar von 55 Gramm Alkohol pro Woche auf 105 Gramm. Das entspricht etwa drei 0,5l Flaschen Bier mehr im Durchschnitt.
  • Die Wahrscheinlichkeit, im vergangenen Monat bei mindestens einer oder zwei Gelegenheiten fünf alkoholische Getränke oder mehr getrunken zu haben, steigt jeweils um 10 Prozentpunkte.
  • Die Wahrscheinlichkeit, mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingewiesen zu werden, steigt unmittelbar nach dem 16. Geburtstag um 42 Prozent.

„Insbesondere bei Jungs und sozial benachteiligten Teenagern ist ein Anstieg des Alkoholkonsums bei Erreichen des Mindestalters zu beobachten,“ sagt Alexander Ahammer, Assistenzprofessor am Institut für Volkswirtschaftslehre, der ebenfalls an dem Projekt beteiligt war. Und das, obwohl Europa in Sachen Alkoholkonsum weltweit an der Spitze steht und das Mindestalter für Alkoholkonsum deutlich niedriger ist als in den USA, woher die meisten bisherigen Studien stammten.

Keine Änderung ab dem 16. Geburtstag zeigten die Daten bei Jugendlichen, die Alkoholmissbrauch bei den Eltern erleben. Das heißt allerdings nicht, dass diese Jugendlichen keinen Alkohol konsumieren würden. Eher im Gegenteil: Der Alkoholkonsum war bei dieser Risikogruppe bereits vor dem Erreichen des gesetzlichen Mindestalters hoch. Die Jugendlichen würden das Verhalten der Eltern imitieren, so die Interpretation der Forschenden.

Wenn die Politik Jugendliche aus Familien in prekären Verhältnissen besser vor Alkoholmissbrauch schützen möchte, könnte man laut den Forschenden eine schrittweise Anhebung des gesetzlichen Mindestalters in Erwägung ziehen. Alternativ sollte aber auch über Maßnahmen nachgedacht werden, die sich speziell an die Risikogruppe der Teenager aus alkoholvorbelasteten Familien richten. Genau dieser Risikogruppe hilft eine Anhebung des gesetzlichen Mindestalters nämlich nicht.

Über die Autoren und die Autorin

Prof. Dr. Martin Halla leitet die Abteilung für Wirtschaftspolitik an der Johannes Kepler Universität Linz. Er ist Research Fellow des IZA Netzwerks und wissenschaftlicher Berater der Gesundheit Österreich GmbH.

Prof. Dr. Alexander Ahammer ist Assistenzprofessor (tenure track) für Applied Econometrics und Big Data am Institut für Volkswirtschaftslehre an der Johannes Kepler Universität Linz.

Prof. Dr. Stefan Bauernschuster ist Inhaber des Lehrstuhls für Public Economics an der Universität Passau. Er ist Forschungsprofessor am ifo Institut München, Research Fellow des CESifo Netzwerks, Research Fellow des IZA Netzwerks und Mitglied des Ausschusses für Sozialpolitik beim Verein für Socialpolitik.

Hannah Lachenmaier hat International Economics and Business studiert und promoviert an der Universität Passau am Lehrstuhl von Prof. Dr. Bauernschuster. Die Studie ist der erste Teil ihrer kumulativen Dissertation.

Weitere Informationen

Zur Original-Studie „Minimum Legal Drinking Age and the Social Gradient in Binge Drinking“: http://www.economics.jku.at/papers/2020/wp2025.pdf, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster