Paradox: Stromleitende Isolatoren öffnen Tür zu neuer Elektronik

Isolatoren leiten keinen Strom. Soweit, so gut. Und wenn man zwei Isolatoren aneinanderlegt? Dann schon – zumindest in bestimmten Ausnahmefällen.

Professor Arthur Ernst
Professor Arthur Ernst

Bei manchen Isolatoren entsteht eine dünne Metallschicht, in der sich Elektronen über große Distanzen ohne Streuung bewegen können. Zur Überraschung der Forscher*innen vom Riken Labor in Japan und von der Johannes Kepler Universität Linz ist diese Bewegung von magnetischen Eigenschaften der Elektronen abhängig.

Der Sinn eines Isolators ist, dass kein Strom fließt. Sowohl der Isolator ZnO (z.B. Bestandteil der Zinksalbe, Leuchtdioden und Solarzellen) als auch ZnMgO (ZnO dotiert mit Magnesium) erfüllen diese Aufgabe perfekt. Außer man legt sie aneinander – dann fließt Strom zwischen diesen zwei starken Isolatoren, obwohl er eigentlich nicht sollte. Dieser Effekt ist schon seit 15 Jahren bei bestimmten Isolatoren bekannt. Allerdings sorgt die Bewegung der Elektronen in diesen Fällen immer wieder für verblüffende Phänomene. Dies war Thema der Zusammenarbeit der Wissenschaftler*innen aus Japan (Riken Labor), JKU (Abteilung Vielteilchensysteme), Polen (Technische Universität Rzeszów) und Spanien (Universität Bilbao).

„Berühren sich die beiden Isolatoren, entsteht eine atomdünne Metallschicht“, erklärt JKU Abteilungsleiter Prof. Arthur Ernst. Und Metall leitet bekanntlich Strom. Ähnliche Effekte sind seit Längerem bekannt und wurden bei Grenzflächen bestimmter Isolatoren nachgewiesen. Was aber noch nicht erforscht war, sind die Eigenschaften dieses Stroms. Der Strom ist ein Fluss von Elektronen, die sich in dieser Schicht bewegen. Elektronen besitzen eigene magnetische Momente, die Spins. Dem internationalen Forschungsteam gelang es zu zeigen, dass diese Bewegung stark von einem Zusammenspiel der Coulomb-Wechselwirkung und der Elektronenspins korreliert wird.

Ernst und sein Team haben nun die genaue Erklärung für den Effekt gefunden: „Uns gelang die mathematische Bestätigung und die Beschreibung des Effekts“. Dafür entwickelten sie ein sogenanntes Quasiteilchen-Modell, das mathematisch den Effekt beschreibt. Damit können die JKU Physiker*innen sogar vorhersagen, in welchen Materialien sich ähnliche Effekte finden lassen könnten. „Diese Vorhersagen werden derzeit von den Kolleg*innen in Japan in der Praxis getestet.“ Und noch besser: „Wir können mit unseren Methoden neue Materialen theoretisch vorschlagen, in denen sich diese Bewegung steuern lässt“, so Ernst. Dieser Mechanismus dient zur Grundlage der Entwicklung neuer Bauelemente in der Spinelektronik. Bei der Spinelektronik handelt es sich um ein neues Forschungsgebiet in der Nanoelektronik.

Hinweise auf Supraleitungsfähigkeiten
Die Entdeckung wurde nun unter dem Titel "Interplay of spin-orbit coupling and Coulomb interaction in ZnO-based electron system" in Nature communications veröffentlicht – und bietet enormes Potenzial. „Unsere Entdeckung stößt die Tür zu einer neuen Spinelektronik und zu neuen Transistoren weit auf.“ In dieser Arbeit entwickelte Konzepte können auf andere Materialen angewendet werden. Spannend sind vor allem Systeme, in denen sich die Elektronen ohne jeglichen Widerstand bewegen. Für Grenzflächen zwischen bestimmten Isolatoren gibt es schon Hinweise auf Supraleitungs-Fähigkeiten. Supraleiter sind Materialien, deren elektrischer Widerstand beim Unterschreiten einer gewissen Temperatur gegen null geht. Technische Anwendungen der Supraleitung sind die Erzeugung starker Magnetfelder für Teilchenbeschleuniger, Kernfusionsreaktoren, Magnetresonanztomographie, Levitation sowie Mess- und Energietechnik.

Was Ernst aber am meisten freut: „Die Arbeit hilft uns sehr, besser zu verstehen, was mit den Elektronen in den Isolatoren vor sich geht. Mit diesem Forschungsprojekt habe ich die Zeit im Homeoffice wirklich sinnvoll genutzt!“