"Von Professorinnen wird besonderes Engagement erwartet."

Dr.in Karin Neuwirth spricht im Interview über Frauenrechte - und was für echte Gleichstellung notwendig ist.

Karin Neuwirth hat den Käthe-Leichter-Preis erhalten.
Karin Neuwirth hat den Käthe-Leichter-Preis erhalten.

Dr.in Karin Neuwirth ist stellvertretende Institutsvorständin am Institut für Legal Gender Studies der JKU.

Elise Richter konnte 1905 als erste Frau habilitieren und wurde 1921 erste außerordentliche Professorin Österreichs. 100 Jahre später hat sich viel getan - dürfen wir zufrieden sein? Oder machen die universitären Strukturen es nach wie vor schwer, Chancengleichheit von Männern und Frauen zu erreichen?
Dr.in Karin Neuwirth: Die heutige Universitätslandschaft mit jener von vor 100 Jahren zu vergleichen, ist zwiespältig – auch unsere Gesellschaft, unser Rechts- und Wirtschaftssystem ist nicht mit den Bedingungen vor einem Jahrhundert vergleichbar. Gleichzeitig verdeutlichen die Jahreszahlen, dass Frauen extrem spät überhaupt akademische Würden erreichen konnten. Zufrieden sein können wir erst, wenn die Frage nach Chancengleichheit nicht mehr gestellt werden muss. Die universitären Strukturen sind wie viele andere Arbeitsstrukturen noch immer von einer Logik geprägt, die Leistung primär mit langen Anwesenheiten gleichsetzt und mittels Rankingsystemen Konkurrenz mehr fördert als Zusammenarbeit. Überdies wird von den wenigen Professorinnen auch noch besonderes Engagement in der Universitätspolitik oder Nachwuchsförderung erwartet, was zu Lasten der eigenen Forschung geht. Das macht es vielen schwer, in der Wissenschaft erfolgreich zu sein – insbesondere Frauen, von denen der Großteil der unbezahlten Familienarbeit geleistet wird und die ihre Lebensplanung nicht ausschließlich am Beruf orientieren wollen. Die Dienstbotengesellschaft haben wir zu Beginn des 20. Jahrhunderts überwunden, die Übernahme von Care-Arbeit gleichermaßen auch durch Männer aber immer noch nicht erreicht.

Es gibt Maßnahmen; z.B. werden in Stellenausschreibungen Frauen "besonders ermutigt, sich zu bewerben" oder Initiativen wie den "Girls Day", der Mädchen für eine technische oder naturwissenschaftliche Ausbildung begeistern soll. Sind solche Initiativen zielführend und was bräuchte es, um Unterschiede zwischen Männern und Frauen im akademischen Alltag zu verringern?
Dr.in Karin Neuwirth: Meiner Meinung nach sind solche Initiativen sehr sinnvoll, weil Mädchen offensichtlich immer noch zu großer Zurückhaltung und überkritischer Selbsteinschätzung erzogen werden, während sich Buben eher Dinge zutrauen, ohne tatsächlich zu wissen, was genau gefordert ist. Insbesondere im MINT-Bereich muss Mädchen und Frauen mehr Selbstvertrauen gegeben werden. Frauen sollten ihre Qualifikationen und ihr Können nicht unter Wert verkaufen. Eine hochgezogene Augenbraue oder ein blöder Spruch reichen, um alte Geschlechterklischees zu zementieren. Zu argumentieren, dass Frauen dann eben nicht so empfindlich sein sollen, schlägt schon in die nächste Vorurteilskerbe. Unser Bildungssystem muss allen Kindern eine möglichst große Bandbreite an Themen und Fachbereichen aufzeigen, um Studienentscheidungen vorurteilsfrei nach echtem Interesse zu ermöglichen. Studieren bedeutet nicht nur vertieftes Lernen, sondern auch Persönlichkeitsentwicklung. Leider lassen unsere straffen Studienpläne diesen Aspekt oft in den Hintergrund treten.

Wenn Sie zum Weltfrauentag einen Wunsch freihätten - wie würde er lauten?
Dr.in Karin Neuwirth: Eine Welt ohne die Notwendigkeit eines Weltfrauentages, weil Unterschiede aufgrund des Geschlechts kein Thema mehr sind, wenn es um Bildung, Beruf, wirtschaftlichen Erfolg, aber auch Gewaltfreiheit und Gesundheit geht.

Was raten Sie Mädchen und Frauen, die sich für männerdominierte Bereiche interessieren?
Dr.in Karin Neuwirth: Ja, unbedingt dranbleiben und einen Weg suchen. Wer sich nicht sofort ein technisches Studium zutraut, könnte mit einer Lehre oder sonstigen beruflichen Ausbildung beginnen und später mit einem Technik- oder Wirtschaftsstudium Karriere machen und hohes Einkommen erreichen. Ich selbst habe Rechtswissenschaften studiert und bin sehr zufrieden mit dieser Wahl. Architektur wäre aber ein weiteres Wunschfach gewesen. Vor über 30 Jahren wurde mir als Frau mit Behinderung sicherlich wohlmeinend davon abgeraten. Mein praktisch-technisches Interesse hat das aber nicht geändert, und somit soll mir kein Kollege aus der TNF sagen, dass er die Grundzüge seines Fachgebiets für mich „nicht sooo einfach“ erklären kann. Dann liegt es nämlich an seinem Unvermögen und nicht an meinem.