„Wertloses Leben“ – die Gerichte der Zweiten Republik und das NS-Euthanasieprogramm

Eine neues Forschungsvorhaben der JKU widmet sich nun einem besonders wichtigen Thema: Der Strafverfolgung jener Täter*innen, die das NS-Euthanasieprogramm durchgeführt haben.

Siegmar Lengauer
Siegmar Lengauer

Im Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Europa und mit ihm die Schrecken des NS-Regimes. Gleichzeitig begann eine lange und mitunter schmerzhafte Aufarbeitung, die bis heute andauert. Eine neues Forschungsvorhaben an der Johannes Kepler Universität Linz unterstützt durch die Zentrale österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz widmet sich nun einem besonders wichtigen Thema: Der Strafverfolgung jener Täter*innen, die das NS-Euthanasieprogramm durchgeführt haben.

Zahlreiche Menschen sind während der NS-Herrschaft, klassifiziert als „lebensunwertes Leben“, ermordet worden; allein im Schloss Hartheim starben zwischen 1940 und 1944 rund 30.000 Menschen. Nach dem Niedergang des NS-Regimes befassten sich die Gerichte in den „Euthanasieprozessen“ mit diesen Verbrechen. „Das ist von Historiker*innen gut erforscht“, erklärt Siegmar Lengauer von der Abteilung Grundlagen der Strafrechtswissenschaften und Wirtschaftsstrafrecht. Der juristische Hintergrund dieser Prozesse wirft aber strafrechtliche Fragen auf, die noch näher untersucht werden können: Welche Rechtsgrundlagen galten für die volksgerichtlichen Verfahren in diesem Zusammenhang? Wie war das Ermittlungsverfahren ausgestaltet? Wie ging man damit um, dass einige unmittelbare Täter Selbstmord begangen hatten und andere geflohen waren? Wie waren die Gerichte zusammengesetzt und wie war man auf besondere Fragestellungen, z.B. dem Rückwirkungsverbot, vorbereitet? Auch die Entscheidungsgrundlagen in den Ermittlungs- und Hauptverfahren sollen in einer einzigartigen Studie an der JKU nun genau untersucht werden: Welche Beweise wurden etwa für die den sogenannten Befehlsnotstand erhoben und wie wurden diese gewürdigt?

Das JKU Projekt unter dem Titel „Strafrechtliche Verfahren zur Aufklärung von NS Euthanasie-Programmen im Rahmen der österreichischen Volksgerichtsbarkeit“ wird inhaltlich und methodisch von der Zentralen österreichischen Forschungsstelle Nachkriegsjustiz am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, dem Oberösterreichischen Landesarchiv und der Gedenkstätte Hartheim unterstützt.

Lengauer erhofft sich Rückschlüsse, mit welcher Intention und Sorgfalt die Aufarbeitung in der Nachkriegszeit begonnen wurde. Besonderes Augenmerk liegt auf der Rolle der Laiengerichtsbarkeit in den volksgerichtlichen Verfahren. „Es wurde offenbar versucht, die Bevölkerung in die Aufarbeitung der Verbrechen mit einzubeziehen. Ob die damalige Rechtsordnung dafür ein tragfähiges Fundament war, soll genau untersucht werden“, sagt der Jurist.

Vergabe einer kooperativen Diplomarbeit an bis zu drei Studierende
Die konkrete Projektplanung soll im Februar beginnen. Es gibt zahlreiche Gerichtsakten zu sichten und zu evaluieren und in der Folge gemeinsam Schlüsse daraus zu ziehen. Bis zu drei Studierende der rechtswissenschaftlichen Fakultät können sich im Rahmen einer Diplomarbeit beteiligen; Interessierte können sich unter siegmar.lengauer(at)jku.at melden.

„Die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des NS-Regimes ist eine Aufgabe, der sich jede Generation auf ihre Weise stellen muss. Der Fokus auf jene Taten, die gegen Menschen verübt wurden, die als gefährliche Individuen ,ausgesondert‘ worden sind, erscheint mir aktuell wichtig, denn die Forderung nach besonders ,harten Maßnahmen‘ wird in letzter Zeit wieder lauter“, erklärt der JKU Forscher zu seiner Motivation.