Aufhören verlangt nach mindestens zwei Anfängen, dem, an dem alles beginnt, und dem, an dem das Aufhören anfängt. Der dritte Anfang gilt dem Neuen, dem Anderen. Im kommenden Jahr trage ich zehn Jahre die Verantwortung für diesen unglaublichen Möglichkeitsraum. Ich liebe den Salon und seine Menschen mehr denn je. Ende Juni 2023 werde ich meine Aufgabe beenden. Eines sei Ihnen versichert, ich werde es bis zum letzten Tag wissen wollen, auf Erkenntnisse, Einblicke, Perspektiven, Zusammenhänge und völlig Unbekanntes neugierig sein. Was wären wir ohne ein Du, das uns zuhört, das uns anspricht, das sich uns zuwendet, einem Du, in dessen Gesicht wir viel mehr lesen, als je in Worte fassbar ist. Das Um und Auf ist das Menschliche, das Wir! Hören Sie nie auf, dem Anfangen zu trauen!
Ihr
Norbert Trawöger
Salonintendant
Von STEFANIE JAKSCH
Impulsvortrag für die Veranstaltung „Es muss doch mehr als alles geben“ am 26.6.2023 im Kepler Salon
„Wenn ich nur aufhören könnt“, ist nicht nur ein Stoßseufzer, den wir alle aus unserem Alltag kennen, wenn wir einmal wieder über die Stränge geschlagen haben; außerdem warb ein Kekshersteller in den 1970er Jahren mit diesem eingängigen Slogan: Wenn ich nur aufhören könnt.
Wie Sie vermutlich hören können: Ich bin gebürtige Deutsche, und ich gebe zu, ich habe die genannten Kekse erst nach meinem Umzug nach Wien kennen- und lieben gelernt. Norbert Trawöger hat mir also einiges voraus in österreichischen Genussfragen, aber ich ahne, auch im Anfangen wie Aufhören hat er etwas begriffen, womit ich noch hadere, wenn er zugibt: „Nur falls wer fragt, ich kann nur mit der helleren Kekssorte nicht aufhören, die dunklere stellt kein Problem dar, da ich sie erst gar nicht anfange.“
Ich meine, dass die Trawögersche Hinwendung zu den – nennen wir sie kurz beim Namen – hellen Dragee Keksi nur folgerichtig und logisch ist. Warum? Einige, vielleicht viele von Ihnen, die heute hier sind, werden das Glück haben oder gehabt haben, mit Norbert zu korrespondieren oder korrespondiert zu haben; gerät man mit ihm in meist schnell sehr grundsätzliche und immer lohnende Diskussionen, erhält man auf Nachrichten, Mails, Unterredungen am Ende oft den wunderbaren, hoffnungsvollen und mich seltsam beruhigenden Gruß: „Alles Helle dir.“
Nun vermutete ich hinter dieser Grußformel lange nicht die Offenbarung einer profan anmutenden Vorliebe für einen Milchschokoladenüberzug, sondern Gewichtigeres, Philosophisches gar, und inzwischen weiß ich: beides ist wahr. Denn sind wir uns ehrlich: Gerade in den unerwarteten Erkenntnissen und überraschenden Querverbindungen liegt, Sie ahnen es: Erhellendes.
Damit sind wir, auch wenn wir heute sicher an Beginne und Endpunkte denken, im Grunde mittendrin, rühren wir an einen Kern des Kepler Salon: Wer ihn betritt, verlässt ihn am Ende des Abends etwas „heller“. Klüger meinen wir damit im übertragenen Sinn.
Mir ist „heller“ näher als klüger, sehe ich in klüger doch immer eine Wertung, einen Vergleich mit jemand anderem, der uns als kompetenter auszeichnen soll; höre ich jedoch „heller“, so denke ich Licht, das sich Bahn bricht, unaufhaltsam, und es ist nicht unser Verdienst, dass sich uns jeden Tag die Sonne wieder am Himmel zeigt. Sage ich also, jemand ist „helle“, so verstehe ich dies ebenso als unaufhaltsames sich selbst und anderer gewahr werden, als Erfahrungen, Begegnungen, die uns nicht nur intellektuell, sondern vor allem in Herzensbildung wachsen lassen, unseren Horizont erweitern – ist es hell, sehen wir automatisch weiter. Weitblick wiederum lässt uns größere Zusammenhänge verstehen. Und je ungetrübter, also hell, unser Blick, desto weiter die Aussicht.
Über das Helle rede ich also zu Ihnen und mit Ihnen, über das Helle, das uns nährt, das uns Dinge verstehen lässt, das uns trägt, das uns in Atem hält, das uns zu Hoffenden, zu Denkenden, zu Verbündeten macht. Nichts erscheint dieser Tage einfacher, als sich von dunklen Vorahnungen und deprimierenden Nachrichten entmutigen zu lassen, Klimakrise, Krieg, Konjunkturschwäche, aktuelles Weltgeschehen erinnert uns an dunkle Kapitel unserer Geschichte, all just a little bit of history repeating, versichert uns Shirley Bassey in einem Song, aber dunkle Gedanken wiegen dennoch schwerer als optimistische.
Natürlich, es wäre naiv zu denken, wir bekämen das Helle ohne das Dunkel, aber es gilt auch it’s always darkest before the dawn, vor dem Morgengrauen ist es immer am dunkelsten. Ich weiß nicht, was es ist, ob wir es Resilienz nennen wollen, Widerstandsfähigkeit, aber ich weigere mich, dem Dunklen zu viel Raum zu geben, ich glaube nicht an ein Grauen am Morgen, aber ich glaube an den ersten Sonnenstrahl, ich glaube an die Unbedingtheit der menschlichen Verbundenheit, ich weigere mich zu verzagen angesichts großer persönlicher wie gesellschaftlicher Veränderungen, angesichts vielbeschworener Zeitenwenden mit viel Säbelrasseln, angesichts immer wieder erstarkender rechter Parteien.
Mein Blick geht dabei nicht nur Richtung Licht, Richtung Helligkeit, sondern auch Richtung Klarheit. Was sich am Grund tiefer Wasser verbirgt, sehen wir nur, wenn das Wasser klar, also hell ist. Ebenso gilt für schier unlösbar scheinende Konflikte und Herausforderungen (ich mag das Wort Hindernisse nicht), sich nicht mit politischen Verschleierungstaktiken hinhalten zu lassen, sondern den Durchblick bis auf den Grund der jeweiligen Problemstellung zu fordern, schlammige Lacken wieder in klare Gewässer umzuwandeln.
Nichts weniger als das geschieht seit seiner Gründung im Jahr 2009 im Kepler Salon. Angeleitet von humanistischem Wissensdurst ist mitten in Linz ein Raum entstanden, der, seinesgleichen sucht. Selten habe ich ein Forum der Wissensvermittlung erlebt, in dem so offen, auf Augenhöhe und mit überbordender Lust an Entdeckungen, Hirnstürmen und Tiefenbohrungen echte Begegnungen stattfinden. Dabei gelingt das Kunststück, dass sich Menschen, die sich vorher noch nie gesehen haben, aufeinander einlassen, ins Gespräch kommen, diskutieren. Serviert wird hier keine fade, trübe Konsensmilch, sondern hochprozentige, glasklare Diskurscocktails, die weit über die Grenzen von Linz hinauswirken.
Dass dies möglich ist, liegt auch an der Tonart, die den ehemaligen Wohnort des Universalgelehrten Johannes Kepler auszeichnet und seine Mauern, das Team sowie die Besucher*innen durchdringt. Auch wenn allmontaglich mitunter erdenschwere Themen, die eigentlich gedämpfte Molltöne verlangen, zur Verhandlung kommen, so verleihen ihm die Menschen, die hier zusammenkommen, um der Auseinandersetzung gemeinsam helle Komponenten zu verleihen, seine lebensfrohe, hell tönende Dur-Schwester. Wer diese Schwelle übertreten hat, lässt eben nicht alle Hoffnung fahren, sondern erklärt sich bereit, in Schwingung zu kommen und Teil eines vielstimmigen Möglichkeitsraumes zu sein, in dem jede Äußerung willkommen ist – und gehört wird.
Wie nennen wir nun das Rezept für den Schritt hinaus aus der Gedanken-Dämmerung, die uns immer wieder umgibt und gegen die es anzutreten gilt? Wenn ich Ihnen einen Vorschlag machen darf: Nennen wir es Hellhörigkeit, was nichts damit zu tun hat, „hörig“ zu sein und sinn-los einem Leithammel zu folgen, sondern „mit außerordentlich gutem Gehör ausgestattet zu sein“. Das heißt nicht, dass wir die berühmte Nachtigall ständig trapsen hören oder beim kleinsten Geräusch zusammenzucken müssen. Aber wir tun alle gut daran, eine neue Form des Zuhörens zu praktizieren, eine, die das Gegenüber mit allen Fasern ernst nimmt, die nicht über Zwischentöne hinweghört, die den Pausen zwischen den Worten nachspüren will. Nicht alles, was wir hören, entspricht der Wahrheit, und vieles, was ungesagt bleibt, sollte eigentlich Gehör finden. Eigentlich.
Eigentliches laut aussprechen ist eine mitunter bedrohliche Sache, die Mut erfordert und einen geschützten Rahmen, in dem Fakten als Ermunterung und Ermutigung zum Weiterdenken präsentiert werden können, in dem neuen Fährten gefolgt und dem Hellen nachgegangen werden darf. Es braucht besondere Sorgfalt, Hingabe, Optimismus und Gemeinschaftsgeist, um einen solchen Raum halten zu können, ihn nicht ausfransen zu lassen über die Zeit und mit Licht, Leben und Gelebtem zu füllen. Aber ist das wirklich alles?
„Es muss doch mehr als alles geben“, steht dem heutigen Abend als Motto voran, das auch dem Salon mit dem Schriftzug der Theologin und Dichterin Dorothee Sölle eingeschrieben ist und mich hellhörig sein lässt. Ein fast forscher, aber in jedem Fall forschender Ausruf ist dieser wagemutige Satz, ein Bekenntnis zu unnachgiebiger, neugieriger und wissbegieriger Offenheit, ein verschmitzt-ernsthafter Aufruf dazu, sich nicht mit der naheliegenden Erklärung zufrieden zu geben, sondern genau dann, wenn das Offensichtliche vor uns liegt, einen Schritt weiterzugehen und nachzusehen, was um die nächste Ecke liegt. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sich dort ungeahnte Weiten aufspannen, die Sie in helle Begeisterung versetzen könnten.
Durchdrungen von eben dieser hellen Begeisterung habe ich Norbert Trawöger erlebt und kennengelernt, der den Salon zehn Jahre lang mit seinem grenzenlos scheinenden Spieltrieb, mit Enthusiasmus und manchmal irrlichternder Energie geprägt und ja, auch geformt hat. Und weil er eben ein helles Köpfchen ist und eine hell lodernde Seele, hört er die Signale, die ihm bedeuten: Es ist Zeit für einen Aufbruch.
Apropos Aufbruch: Lassen Sie sich heute und auch in Zukunft voller Vertrauen auf das Wagnis Wissen ein, fragen Sie nach, erzählen Sie von sich, geben Sie sich nicht zufrieden, wenn Ihnen jemand schmallippige Antworten gibt, gehen Sie in die Weite, in die Fülle, in die Auseinandersetzung, in die Gemeinschaft, ins Zuhören, tragen Sie Ihre Erfahrungen, Begegnungen und Fragen nach draußen in den nächsten Morgen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit. Alles Helle uns allen
Von NORBERT TRAWÖGER
„Es muss doch mehr als alles geben“, hat uns die Keramikkünstlerin Charlotte Wiesmann einen Satz von Dorothee Sölle in den Kepler Salon gesetzt. Ein Kunstwerk, das temporär gedacht war wie der Salon selbst. Der Satz blieb, da er bleiben musste und es die Freunde des Kepler Salon ermöglicht haben. Die Freunde haben es für möglich gehalten, dass dieser weltweit einzigartige Möglichkeits- und Vermittlungsort über das Kulturhauptstadtjahr hinaus Bestand hat. Als geniale Erfindung der Kulturhauptstadt war er nur für Linz09 gedacht. Der Salon blieb, da es unmöglich schien, einen charismatischen Raum für Möglichkeiten wieder herzugeben. Das Charisma eines Raums, wenn es ein solches gibt, mag an seiner idealen Lage, stimmigen Beschaffenheit und geeigneten Bauart liegen, kommt wohl aber nie zum Erblühen, wenn dieses Charisma nicht durch den Menschen erdacht, beatmet und belebt wird. Orte werden durch deren Nutzung und Bewohnung imprägniert. Forschungen haben ergeben, dass jedes Schallereignis im umgebenden Material gespeichert wird. Ein faszinierender Gedanke, dass wir das in Jahrhunderten Gesprochene und Gedachte im Mauerwerk erlauschen können – als würden wir eine Muschel ans Ohr legen und glauben, das Rauschen des Meeres zu hören. Es ist nicht das Meer. Es sind vielmehr die Geräusche aus der Umgebung, die sich in der Muschel verstärken. Der Hohlkörper des Schneckengehäuses wirkt akustisch wie eine Resonanzkammer. Es lässt uns nichts anderes als das umgebende Jetzt hören. Entscheidend ist das Leben, das in Räumen steckt, nicht das Vergangene, das gar nicht für die Nachwelt gedacht war. Was interessiert uns der Ehekrach im Hause Kepler, der im Salongemäuer stecken könnte? Wenngleich ich als Musiker gestehen muss, dass ich einiges dafür geben würde, eine Improvisation des Orgelrockstars Anton Bruckner im nahen Alten Dom nachhören zu können.
Sich das Unvorstellbare vorzustellen, stärkt die Fantasie – und schon sind wir wieder bei den Möglichkeiten, die Raum in und um uns brauchen, um sich ausbreiten zu können. Der Kepler Salon ist so ein unerhörter Ort. Eine Kostbarkeit, ein Raum mitten in der Stadt, in einem 500 Jahre alten Haus, wo vor 400 Jahren noch zufällig einige Jahre lang ein weltberühmter Universalgelehrter gelebt hat. Der Salon wirkt wie eine Muschel, ist eine Resonanzkammer, ein Erfahrungsraum, in dem wissende auf neugierige Menschen treffen und damit Offenheit für Möglichkeiten schaffen. Wer es wissen will, wird auf Neugier genauso wenig verzichten können wie auf den Zweifel, der im Kepler Salon auch ein gutes Refugium findet. In einem solchen Möglichkeitsraum wird es menschlich. Ohne Zweifel auszukommen, verheißt Lähmung wie die in unseren Breiten wieder häufiger anzutreffende „Mia san mia“-Haltung. „Die Evolution, die schon im Kosmos beginnt, ist zu vielfältig, um durch die Einfälle einer Gegenwart sabotiert zu werden“, muss man mit Alexander Kluge entgegenhalten. Die Gegenwart, die versichern will, wer wir sind und wen ein „wir“ genau umfasst, ist zum Implodieren verurteilt. Es ist keine Gegenwart der Möglichkeiten, zumindest nur eine, die exklusiv alle anderen zu nicht beachtenswerten Unmöglichkeiten degradiert.
Zum Gründungsgedanken des Salons gehören niedrigschwelliger Zugang, freier Eintritt, freie Platzwahl und freie Gedanken, denen widersprochen werden kann. Der Salon eignet sich podestlos wenig für Hierarchisierung, es ist kein Ort der Belehrung, aber einer, der gegensätzliche Haltungen und Meinungen aushält, ohne sie auflösen zu müssen, und der im besten Fall Wissen anbietet, was sich von Meinungen wesentlich unterscheidet. Respekt ist eine Übung, keine Verordnung, wie man Augenhöhe nicht anordnen kann. Der Salon ist ein Trainingsplatz für Horizonterweiterung, die auch erst an der Bar bei einem frisch gezapften Bier stattfinden kann. Die Ausbildung, die ich im Salon genossen habe, hätte ich an keiner Universität dieser Welt erfahren können. Ich erfuhr von Themen, von denen ich gar nicht wusste, dass man darüber nachdenken kann, und von Dingen, von denen ich viel zu viel zu wissen glaubte und bemerkte, dass ich in Wirklichkeit nichts davon verstand.
„Es muss doch mehr als alles geben“, erinnert uns Sölle. Dies ist kein Aufruf, der neoliberales oder wie immer geartetes Endloswachstum rechtfertigen und befeuern will, das auf Kosten anderer geht, das ausschließt oder nur Privilegierte zu bevorzugen weiß. Es ist eine Erinnerung daran, dass es alles gibt, das über uns hinausreicht, uns hinausführt ins Offene, wo der Zauber zur Möglichkeit wird, wo wir uns im Menschlichen begegnen. Dies in Zeiten, in denen die Freiräume beständig enger und gerechtfertigt werden müssen. Zehn Jahre durfte ich diese Wunderkammer durch durchaus turbulente Zeiten führen, die eine Stabilität in der Trägerschaft der Johannes Kepler Universität Linz gefunden hat. Ein Raum ist ein Raum ist ein Raum – und ist nichts ohne Menschen. Was bleiben wird und ist, sind unendliche viele Begegnungen mit Menschen, diese haben wunderbare Spuren im Salon und an mir hinterlassen, die mich nie verlassen werden. Es gibt vielen zu danken für diese Dekade meines Lebens, meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, den Freundinnen und Freunden, den Komplizinnen und Komplizen, den Ermöglicherinnen und Ermöglichern, Ihnen allen. Wir sind der Salon. Es lebe der Kepler Salon, es leben die Möglichkeiten, die auch Unmöglichkeiten als künftige Möglichkeiten erachten. Ich sage Danke, adieu und es war mir eine Ehre. Alles und mehr ist möglich, wenn wir es zu denken wagen.