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Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte
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IK: Praxisfelder der Zeitgeschichte SS 2014

IK: Praxisfelder der Zeitgeschichte SS 2014: Exkursion Ruanda

LVA-Leitung: Thomas Spielbüchler

 

Ruanda - Land der 1000 Hügel Foto: Tom Spielbüchler

Im Sommersemester 2014 fand im Rahmen der LV Zeitgeschichte: Praxisfelder der Zeitgeschichte eine EX nach Ruanda statt, die in Kooperation mit dem Fachbereich Geschichte der Universität Salzburg durchgeführt wurde.
Ruanda war 1994 Schauplatz eines Genozids, dem bis zu einer Million Menschen zum Opfer fielen. Heute gilt das kleine, ostafrikanische Land als Erfolgsgeschichte: modern, sicher und stabil. Bei dieser Exkursion sollten Einblicke in die Realitäten dieses „Wunders“ vermittelt werden. Im Zentrum stand dabei der Spannungsbogen zwischen dem Genozid, der Erinnerung daran, Versuche zu einer Wiederversöhnung der Gesellschaft und einer auf Schritt und Tritt bemerkbaren Modernisierung des Landes. Dabei wurden beachtliche Fortschritte aber auch Defizite und nach wie vor nicht überwundene Traumata einer Gesellschaft sichtbar, die alle EX-Teilnehmerinnen und Teilnehmer forderten.
Das Programm ließ sich in mehrere inhaltliche Schwerpunkte gliedern, die miteinander eng verwoben waren:
Zunächst waren dies der Völkermord und das Gedenken daran, das als politisches Werkzeug betrachtet werden muss.

Spuren des Völkermords in der Hauptstadt Kigali Foto: Albert Lichtblau
Tausende Opfer wurden in Kirchen ermordet – Gedenkstätte Ntarama Foto: Tom Spielbüchler

Dieser Genozid war die besonders brutale Ausformung eines gigantischen Konfliktsystems im Bereich der Großen Seen in Afrika (Ruanda, Burundi, Demokratische Republik Kongo und Uganda bilden den Kern dieses Systems). Aspekte dieses Konflikts und ein direktes Erbe des Völkermords bildeten einen zweiten Schwerpunkt: die Flüchtlingssituation in Ruanda. Über 70.000 Menschen sind zum (Über-)leben in diversen Flüchtlingslagern gezwungen. Die Arbeit des UN-Flüchtlingshilfswerkes UNHCR und der Besuch des Lagers Gihembe (ca. 20.000 Flüchtlinge) boten dramatische Einblicke in die Realitäten dieser Menschen, die teilweise seit fast zwanzig Jahren als Flüchtlinge leben.

Im Flüchtlingslager Gihembe. Foto: Karl Rothauer
Gespräche mit dem UNHCR-Team in Ruanda, das sich um über 70.000 Flüchtlinge kümmert Foto: Karl Rothauer

Das Konfliktsystem generell und der Genozid im Besonderen produzierten aber nicht Todesopfer und Flüchtlinge, in Ruanda lebt eine Gesellschaft, die in drei Gruppen geteilt werden kann: Überlebende, Täter und jene, die das Glück hatten, erst nach 1994 geboren worden zu sein. Im Unterschied zu anderen Völkermorden in der Geschichte zwang die Situation in Ruanda Überlebende und Täter nach dem Genozid weiterhin zusammenzuleben. Dies stellt eine unglaubliche Herausforderung an eine Gesellschaft dar und Wiederversöhnung, Reconciliation, wurde zu einer staatlichen Überlebensfrage in Ruanda, der wir einen weiteren Schwerpunkt widmeten. Um zu verstehen, wie Überlebende und Täter das Trauma eines Völkermores überwinden können, näherten wir uns dieser Thematik von drei Seiten: Das Interdisciplinary Genocide Study Center betreibt die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Völkermord, es informiert, klärt auf und forscht.

Aloyz Mahwa, Leiter des Interdisciplinary Genocide Study Centers. Foto: Karl Rothauer

Sehr viel breiter ist der Ansatz von Radio Benevolencija, das mittels einer unglaublich erfolgreichen Hörfunk-Soap demonstriert, wie gesellschaftliche Gräben überwunden werden können.

Aimable Twahirwa, Leiter des höchst erfolgreichen Programmes von Radio Benevolencija zur Wiederversöhnung der Gruppen nach dem Völkermord Foto: Karl Rothauer
Redakteure von Radio Benevolencija bei der Arbeit Foto: Tom Spielbüchler

Am eindrucksvollsten für die meisten EX-Teilnehmerinnen und Teilnehmer war aber ein praktischer Ansatz von Wiederversöhnung: im Rahmen von Workshops treffen Überlebende und Opfer direkt zusammen und arbeiten gemeinsam an der Überwindung des Traumas. Die Mitglieder einer solchen Gruppe sorgten für betroffene Sprachlosigkeit, als wir zum Beispiel von einer Frau erfuhren, die ihre Familie verloren hat, und sich, noch während ihrer Schilderungen, ein Mann neben sie stellt, ihre Hand ergreift und uns erklärt, er sei es gewesen, der ihren Vater auf brutalste Weise umgebracht habe und es ihm unendlich leid tue.

Begegnung mit einer Workshop-Gruppe zur Wiederversöhnung Foto: Karl Rothauer

Perpetrators & Victims Reconciliation 20 Years after the Rwandan Genocide, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster

Einen letzten Schwerpunkt bildete der Besuch einer Österreicherin, die sich zusammen mit ihrem ruandischen Mann bemüht, den Menschen in einem Dorf nahe der Demokratischen Republik Kongo zu helfen: ein Kindergarten, eine Lehrlings-Bäckerei und diverse Infrastruktur-Projekte sowie Direkthilfe für Einzelne sind Ergebnis dieser Bemühungen. Dabei lernten wir nicht nur einen landschaftlich besonders schönen Teil des „Landes der 1000 Hügel kennen“, sondern erlebten in Grundzügen auch den Alltag in einem Dorf fernab der Hauptstadt.

Das Kindergartenprojekt von Manuela Mendez in Goriro. Foto Tom Spielbüchler
Die Lehr-Bäckerei bietet Jugendlichen eine Ausbildungsmöglichkeit Foto: Karl Rothauer
Die Matratzen, auf denen die EX-Gruppe schlief, wurden im Anschluss an Frauen im Dorf verteilt, die bisher auf dünnen Matten am Boden schlafen mussten. Foto: Manuela Mendez
Sachspenden waren in Goriro, im Norden Ruandas nahe der Grenze zur Demokratischen Republik Kongo sehr willkommen. Foto: Karl Rothauer
Traditionelle Tänze sind eine schweißtreibende Angelegenheit – besonders für die Studierenden, die bald zum Mitmachen eingeladen worden sind. Fotos: Karl Rothauer
Das sehr dichte Programm war eine Herausforderung für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer, aber es ist damit gelungen, Dinge zu vermitteln, die sich in einem Seminarraum nur sehr begrenzt weitergeben lassen.