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In konspirativer Gesellschaft

Nichts geschieht durch Zufall. Nichts ist, wie es scheint. Und: Alles ist miteinander verbunden. Das sind die wichtigsten Ingredienzien für eine Verschwörungstheorie. In Zeiten von Corona funktionieren sie besonders gut. Auch wenn sie noch so falsch sind. Warum ist das so?

Von Stefan Kappacher

Es ist bezeichnend, dass sich sogar um den Begriff „Verschwörungstheorie“ eine Verschwörungstheorie rankt. Obwohl nachweislich zuerst Karl Popper in jenem Sinn davon gesprochen hat, wie wir den Begriff heute verstehen – als breit angelegte und durch nichts bewiesene Verdächtigungsszenarien, nach dem Motto „Wir gegen sie“ –, soll der amerikanische Geheimdienst CIA diesen Begriff erfunden haben. Mit dem Ziel, jene Menschen zu diskreditieren, die nicht an die offizielle Version der Ermordung John F. Kennedys durch einen Einzeltäter glauben wollten. Eine Verschwörungstheorie also über den Versuch, eine ebensolche zu entlarven.

Ähnlich verworren läuft das auch heute. Das Coronavirus sei eigentlich eine Biowaffe, jedenfalls aber hergestellt in einem chinesischen Labor – Letzteres eine Theorie, die selbst in Beraterkreisen von US-Präsident Donald Trump unterstützt wurde. Oder: Bill Gates wolle die Menschheit mit einer Impfung gegen Corona ausrotten. Und: Das Virus sei eine Folge des neuen Mobilfunkstandards 5G – schädliche Strahlen und ein potenziell tödliches Virus, eine unschlagbare Kombination. Nichts davon ist bewiesen, das meiste lässt sich klar widerlegen oder ist offensichtlicher Humbug.

Doch warum glauben die Menschen solche Dinge?

„Verschwörungstheorien sind für viele Menschen ein Narrativ, um komplexe Dinge zu verstehen. Neue Informationen werden in ein einfaches, gängiges Raster eingeordnet“, sagt die Sozialpsychologin Nicole Kronberger von der Johannes Kepler Universität. Das gebe den Leuten Sicherheit und das Gefühl, eine bedrohliche Lage unter Kontrolle zu haben. „Dann ist da noch ein soziales Motiv: Man sucht einen Schuldigen für das Geschehen, das einen bedroht. Und Verschwörungstheorien liefern Schuldige – ob es bestimmte Staaten sind oder dubiose mächtige Gruppen.“

Verschwörungstheorien hat es immer schon gegeben, sie waren die notiert wie heute, sondern galten sozusagen als legitimes Wissen. Mit dem Aufblühen des Populismus als politische Strategie ist dieses Feld noch breiter geworden. Michael Butter stellt dazu in seinem Standardwerk über Verschwörungstheorien „Nichts ist, wie es scheint“ (Suhrkamp, 2018) fest: „Die entscheidende strukturelle Parallele besteht darin, dass sowohl der Populismus als auch die Verschwörungstheorien das politische Feld radikal vereinfachen, indem sie die Zahl der Akteure reduzieren.“ Wir gegen sie. So funktioniert das.

Tradition in der Politik

Heinz-Christian Strache war lange Zeit erfolgreicher Parteichef der Freiheitlichen, am Ende ist er als Vizekanzler über das Ibiza-Korruptionsvideo gestolpert. Strache hat darin seine Seele offengelegt, wollte das aber im Nachhinein als „besoffene Geschichte“ abtun. Selbstverständlich sind die Macher des Videos für Strache Teil einer Verschwörungstheorie. Sie haben ja tatsächlich ein Komplott geschmiedet – wie man heute weiß aber vor allem, weil sie damit Geld zu machen hoff ten. Strache hat gleich einmal das Ausland und finstere Geheimdienste ins Spiel gebracht. Seit er wieder in die Wiener Kommunalpolitik drängt und von vielen Medien die Bühne für Auftritte bekommt, dreht sich bei Strache alles um das Video selbst, obwohl er wegen der Dinge zurücktreten musste, die er in dem Video gesagt hat.

Auch die Ereignisse im Mai 2019, als das Video von „Süddeutscher Zeitung“ und „Spiegel“ auszugsweise veröffentlicht worden ist, sind von Verschwörungsgerüchten umrankt (so nennt Michael Butter Szenarien, wo Verdächtigungen verbreitet werden und – anders als bei Verschwörungstheorien üblich – nicht einmal versucht wird, einen Beweis dafür zu konstruieren). Die FPÖ wollte mit dem Rücktritt von Strache und Klubobmann Johann Gudenus die Koalition mit der ÖVP retten, doch Sebastian Kurz verlangte auch den Rücktritt von Herbert Kickl als Innenminister. Als die FPÖ nicht mitspielte, ließ Kurz die Koalition platzen.

Es hat nicht lange gedauert, bis das ein Verschwörungsthema war: Die ÖVP habe das Innenministerium zurückhaben wollen, weil in dem seit Jahrzehnten ÖVP-geführten Ressort zu viele Leichen im Keller lägen und Kickl als Aufdecker von Missständen zu gefährlich geworden sei. Das wurde von freiheitlicher Seite verbreitet. Es ist die Fortsetzung der Erzählung, die mit der beispiellosen Hausdurchsuchung im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung und der folgenden BVT-Affäre begonnen hat.

Verschwörungsgeschichten haben in der FPÖ Tradition, legendär etwa Norbert Hofer als Kandidat bei der Bundespräsidenten-Wahl 2016, als er noch am Abend der ersten Stichwahl – das Ergebnis war ohne Briefwahlstimmen zu knapp und noch nicht klar – den Wahlausgang in Frage stellte. „Bei den Wahlkarten wird immer ein bisserl eigenartig ausgezählt“, sagte Hofer damals vor seinen Anhänger*innen. Heute äußert US-Präsident Donald Trump ähnliche Bedenken: Weil die Zahl der Briefwähler*innen wegen der Pandemie zunehmen wird und diese Stimmen eher seinem demokratischen Herausforderer Joe Biden nützen dürften, hat Trump die Briefwahl als fehlerhaft und betrügerisch abgetan und in den Raum gestellt, ob man die US-Wahl nicht doch besser verschieben sollte.

Dass Trump als Präsident da gar nichts zu entscheiden hat, weil nur der Kongress die in der Verfassung verankerte fixe Wahl-Prozedur adaptieren könnte, ficht ihn nicht an. Und auch seine Anhänger*innen nicht. Widersprüche spielen keine Rolle, wenn es um das Thema Verschwörung geht. Nicole Kronberger: „Verschwörungstheoretiker hängen generalisierten politischen Einstellungen an, und alles ist ungeheuer komplex, läuft im Geheimen ab, nichts ist kontrollierbar oder falsifizierbar.“ Dadurch entstehe eine Mentalität, die immun gegen Kritik mache. „Kritiker, die auf Widersprüche aufmerksam machen, werden vielmehr als Teil des verschworenen Systems gesehen“, so die Sozialpsychologin von der Kepler-Uni.

Donald Trump ist wenige Monate vor der US-Wahl in der Defensive, seine Umfragewerte sind miserabel, Biden ist auch in Schlüsselstaaten klar vorne. Der Populismus-Forscher Walter Ötsch, der gemeinsam mit der Journalistin Nina Horaczek das Buch „Populismus für Anfänger“ geschrieben hat, erklärt das Drama Trumps in diesem Corona-Wahljahr so: Der Amtsinhaber habe mithilfe seiner enormen Twitter-Reichweite und befreundeter Medien wie „Fox News“ eine „Pseudo-Umwelt“ kreiert, wie sie vor schon fast hundert Jahren vom Amerikaner Walter Lippmann beschrieben worden ist.

„Die öffentliche Meinung“ – so der Titel von Lippmanns wichtigstem Buch (im Westend-Verlag 2018 von Walter Ötsch und Silja Graupe neu herausgegeben) – werde durch Bilder und Stereotype gesteuert, auch durch Angstmache. „Trumps Pech ist, dass das in Bezug auf Ängste und Leidenswirklichkeit im Lichte der Infizierten-Zahlen der Corona-Zeit nicht geht. Im Hintergrund ist jetzt keine Pseudo-Umwelt, sondern die reale Handlungswelt“, sagt Walter Ötsch. Ein klarer Beleg für die These ist, dass Twitter sogar den Account der Trump-Kampagne zeitweilig gesperrt hat, weil dort gefährliche Inhalte – konkret Corona-Fake-News – gepostet wurden.

Das Virus zeigt den Mächtigen (Populisten) Grenzen auf. Israels Premier Benjamin Netanjahu (der wegen Korruption vor Gericht steht, wo er sich als Opfer eines „Tiefen Staates“ darstellt, als Opfer einer Verschwörung der Linken und ihrer Handlanger) sieht sich mit einer neuen Infektionswelle konfrontiert und hat vorsorglich Verantwortung auf einen Corona-Beauftragten abgeschoben. Der österreichische Bundeskanzler pflegt mit Netanjahu das beste Einvernehmen, er hat sich Corona-Rat von ihm geholt. Auch die Erzählung von Sebastian Kurz, dass Österreich zu den „smarten Ländern“ gehöre, die das Virus fest im Griff hätten, ist ins Stottern gekommen. Spätestens mit dem Corona-Cluster im Tourismus-Juwel am Wolfgangsee trat dann auch Kurz ein wenig leiser.

Walter Ötsch sieht im ÖVP-Chef nicht direkt einen Rechtspopulisten, aber: „Er ist ein Machttechnokrat, der die Art, wie rechtspopulistische Politik abläuft, sehr klar analysiert und sehr wirkungsvoll inszeniert.“ Verschwörungstheoretische Elemente inklusive. Jüngstes Beispiel sei die Einigung auf den Finanzrahmen und die Wiederaufbauhilfen der EU, wo Kurz das „Wir gegen die EU“ zelebriert habe, so Ötsch – im Rahmen der Gruppe, die sich „Frugal Four“ nennt. Die sparsamen Vier. Dabei stelle der Beschluss eine substanzielle Änderung der bisherigen europäischen Politik dar, betont Ötsch – durch die erstmalige Vergemeinschaftung von Schulden. Mit dem Bild „Wir gegen die EU“ werde dieses Faktum propagandistisch verhüllt.

Der letzte Rückzugsort

Verschwörungstheorien sind – abgesehen von jenen krassen Fällen, wo sie die Grundlage für Gewalttaten und Anschläge bilden – für viele Menschen eine Möglichkeit, Abstiegs- und Verlustängste zu artikulieren. Wenn man es positiv sehen will: Diese Menschen seien neugierig, sie wollen verstehen und teilhaben, sagt Nicole Kronberger. Und vom Ansatz her sei das ja nicht falsch, Macht brauche Kontrolle. Wer anfällig für Verschwörungstheorien ist und wer nicht, lasse sich schwer abgrenzen. Kronberger: „Bildung und sozialer Status spielen eine Rolle, aber nicht nur. Da muss auch noch mehr geforscht werden. Es geht grundsätzlich um Menschen, die sich in einer Verlierer-Rolle sehen, die sich ausgeschlossen fühlen.“ Und wie die Pandemie zeige, kommen zu den persönlichen Aspekten auch situative, wo dann breitere Kreise erfasst würden.

Verschwörungstheorien seien jedenfalls dann am gefährlichsten, wenn sie sich gegen Eliten richten, schreibt Michael Butter: „Sie haben das Potenzial, die Krisen der demokratischen Systeme, die wir derzeit in Europa und Nordamerika beobachten, zu verschärfen. Denn wer überzeugt ist, dass die politischen Parteien letztendlich alle unter einer Decke stecken und es daher völlig egal ist, wen man wählt, geht mit großer Wahrscheinlichkeit irgendwann gar nicht mehr wählen.“ Oder schließe sich antipluralistischen und letztendlich antidemokratischen Bewegungen an.

Die Rechercheplattform „Addendum“, die mit Ende August vom Financier Dietrich Mateschitz eingestellt wird, hat als eines der letzten Projekte eine umfassende Analyse des Messengerdienstes Telegram veröffentlicht – welche Netzwerke dort etabliert sind. Telegram ist eine extreme Echokammer, es gibt keine Meldemöglichkeiten und man kann Kanäle einrichten wie in einem Sozialen Netzwerk. Die meisten Abonnent*innen im deutschsprachigen Raum haben – Verschwörungstheoretiker* innen.

Allen voran die frühere Journalistin Eva Herman, die mit der Flüchtlingskrise 2015 ins Verschwörungsgeschäft eingestiegen ist, gefolgt von Oliver Janich und Heiko Schrang. Beide sind Verbreiter der QAnon-Verschwörungstheorie, die besagt, dass Politiker und Prominente Kinder töten, um das vermeintliche Verjüngungsmittel Adrenochrom zu gewinnen. Knapp hinter den Verschwörungsideolog*innen kommt dann schon Martin Sellner, der Chef der rechtsextremen Identitären in Österreich.

Wie „Addendum“ aufzeigt, sind die Netzwerke der Rechten und der Verschwörer sehr eng miteinander verknüpft. Es gibt einen regen Austausch, Sellner ist 2019 auch auf dem YouTube-Kanal SchrangTV interviewt worden. Da ging es um seine temporäre Sperre auf der Videoplattform von Google. Seit Juli ist der Identitäre von allen großen Plattformen bis hin zu TikTok verbannt, Telegram ist sein „letzter Rückzugsort“, wie „Addendum“ es formuliert. In konspirativer Gesellschaft.

Wem wird geglaubt?

Etwas Konspiratives hat auch die „Bewegung“ von Sebastian Kurz, die mit einem Massen-Event in der Wiener Stadthalle aus der Taufe gehoben wurde. Jünger in türkisen Shirts haben Kurz gehuldigt, der zu einem späteren Zeitpunkt in derselben Halle sogar von einem Prediger öff entlich gesegnet worden ist. „Die ÖVP macht personengebundene Politik und keine regelgebundene – und in dieser Weise werden dann Inszenierungen gemacht, die letztlich auf der Regel-Ebene eine funktionierende Demokratie aushöhlen, nicht institutionell, aber operativ“, sagt Walter Ötsch. Ein Blick auf den nach dem Sommer weiterlaufenden Ibiza-Untersuchungsausschuss zeigt, was damit gemeint ist. Finanzminister Gernot Blümel, der schon einmal in türkisfarbenen Socken im Plenarsaal des Parlaments zu sehen war, was ihm den Vorwurf der Respektlosigkeit eintrug, war als Auskunftsperson im Untersuchungsausschuss geladen. Gezählte 86 Mal hat Blümel gesagt, er könne sich an etwas nicht erinnern – unter anderem nicht, ob er einen Laptop besessen habe. Der Kanzler selbst hat seinen Auftritt ebenfalls von der lockeren Seite genommen und nicht viel zur Aufklärung beigetragen.

Die Strategie der ÖVP dabei ist klar: Der Ausschuss, der mit unangenehmen Enthüllungen aus Chat-Protokollen daherkommt, die schonungslose Einblicke ins schwarz-blaue Koalitionsleben bis Ibiza geben, soll mitsamt seiner Arbeit diskreditiert werden. Das Vorspiel dazu hat schon im Frühjahr stattgefunden, als Sebastian Kurz in einem Hintergrundgespräch mit Journalisten über die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hergezogen ist. Die WKStA sei von der SPÖ unterwandert und würde parteilich agieren, so der Kanzler im vermeintlich konspirativen Kreis. Das Ganze wurde ungeplant öffentlich.

Gemeint hatte Kurz natürlich: Die Staatsanwaltschaft agiere gegen die ÖVP, die in der Casinos-Postenaffäre zusammen mit der FPÖ im Fokus steht. Stichwort „Rote Netzwerke“: Es wurde ein 23 Jahre altes Papier von einem Treff en von SPÖ-Juristen an die Medien gespielt, welches das belegen sollte. Im Papier ist nur allgemein davon die Rede, dass SPÖ-Parteigänger ermutigt werden sollen, in den Richterdienst einzutreten. Und die ÖVP hatte zuletzt über viele Jahre im Justizressort das Sagen. Verschwörerische Botschaften kommen trotzdem an.

Der Medienexperte Peter Plaikner hat noch einen wichtigen Punkt: das Medienvertrauen und wie es zerstört wird, um dann erst wieder den Sozialen Netzwerken mit ihren Echokammern das Feld zu überlassen. Donald Trump macht das in den USA seit Jahren vor. In Österreich hat der jüngste „Digital News Report“ erhoben, dass rund 30 Prozent Regierung, Politikern und Parteien zutrauen, Falschmeldungen zu verbreiten – aber nur zehn Prozent glauben, dass Journalisten das tun.

Durch die speziell bei der ÖVP-Regierungsfraktion übliche Praxis der Antwortverweigerung in Interviews werde dieses Medienvertrauen erschüttert, schrieb Plaikner in einem Kommentar in der „Kleinen Zeitung“: „Wie der Kanzler setzen immer mehr Minister auf das Rezept, Befragungsgrundlage, Recherchequalität und Glaubwürdigkeit von Interviewern in Frage zu stellen – statt zu antworten.“ Wer Medienmisstrauen säe, der werde Demokratiegefährdung ernten, warnt Plaikner.

Als Sebastian Kurz in der ÖVP die Macht übernommen hat, folgte das alles einem gut vorbereiteten Plan. Entsprechende Papiere aus 2016 sind der Wochenzeitung „Falter“ zugespielt worden und können im Netz nachgelesen werden. Es war nichts anderes als eine erfolgreiche Verschwörung gegen die alte Parteiführung und deren damalige Koalition mit der SPÖ. Bis heute bekennt sich die Kurz-ÖVP nicht zum „Projekt Ballhausplatz“.

Es gebe „immer wieder Papiere, die von außen als Vorschläge an uns herangetragen werden“, hat der heutige Medienbeauftragte des Kanzlers damals gesagt. Und man habe „erhebliche Zweifel an der Echtheit dieser Papiere“. Eine richtige Verschwörung, die durch eine Verschwörungstheorie zum Verschwinden gebracht werden soll. Da kann sogar die CIA noch etwas lernen.