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Bis hierher und nicht weiter

Unser Immunsystem wirft alles raus, was uns potenziell schaden kann. Damit das funktioniert, muss es ganz schön viele Stellen koordinieren.

Von Marlene Erhart

Ypsilon

Wenn Susanna Zierler über ihren Forschungsgegenstand spricht, wird es schnell einmal martialisch: Da werden „entartete Zellen getötet“, da wird die „Verteidigung gegen Bakterien aufgefahren“, die sich zu schnell verbreiten, da geht es um „Grabenkämpfe“ und „Fremdkörper zu neutralisieren“. Da wird unser Immunsystem zu einem „aufgerüsteten Bollwerk, das darauf ausgerichtet ist, alles unschädlich zu machen, was uns schaden könnte“. Susanna Zierler ist Zellbiologin, sie leitet den Lehrstuhl für Pharmakologie an der Medizinischen Fakultät der Johannes Kepler Universität Linz und sie erforscht, wie die Immunzellen, die dieses Bollwerk formen, miteinander kommunizieren. Das müssen sie, denn das Immunsystem ist eine ziemlich komplexe Angelegenheit. Ein ganzes Netzwerk aus Zellen und Organen spielt hier zusammen, um Viren, Bakterien und andere Krankheitserreger von uns fernzuhalten.

Der offensichtlichste Verteidigungswall sind dabei die Haut und die Schleimhäute. Das größte Organ des Körpers blockt Eindringlinge wie eine Barriere ab. Schweiß und andere körpereigene Flüssigkeiten waschen Keim e und Schmutz weg, zudem enthalten sie Enzyme, die Bakterien abtöten können. Der Schleim der Schleimhäute wiederum, die Lunge, Blase und Verdauungstrakt auskleiden, fängt und transportiert schädliche Eindringlinge ab. Um Krankheitserreger abzuwehren, braucht es aber auch mobile Einsatzkräfte, die in der Blutbahn und im Gewebe aktiv sind. Eine der Produktionsstätten dieser Abwehrzellen befindet sich in unseren Knochen: Im weichen, fettreichen Knochenmark bildet der Körper einerseits Blutzellen. Andererseits entstehen hier diverse weiß e Blutkörperchen (Leukozyten), die Keimen den Garaus machen können. Allerdings geraten nicht alle Bakterien ins Visier der Immunzellen – und das aus gutem Grund.

Nicht jedes Bakterium ist böse. Im Gegenteil!

Für unseren Körper sind Mikroorganismen keineswegs immer eine Bedrohung. Viele von ihnen besiedeln unsere Haut und den Darm und bilden mikroskopische Gemeinschaften, von denen wir bedeutend profitieren. Besonders das Mikrobiom des Darms beeinflusst wesentlich, wie effektiv unser Immunsystem arbeitet. Auch entstehen in unserem Verdauungstrakt – stimuliert durch die Gemeinschaft der dort lebenden Mikroorganismen – Lymphozyten, darunter auch die sogenannten regulatorischen T-Zellen (SIEHE LEXIKON). Von dort wandern diese in die Peripherie, wie Zierler es nennt, erreichen also jeden Winkel des Körpers. Diese Verbreitung lässt sich durch körperliche Betätigung unterstützen: Bewegung regt den Kreislauf und die Durchblutung an, wodurch sich Immunzellen besser im gesamten Organismus verteilen können.

Der größte Feind des Immunsystems? Stress!

Gute Dienste kann man seinem Immunsystem auch mit einem gesunden Lebensstil leisten. Während Alkohol und Zigaretten der Abwehrkraft abträglich sind, hilft ihr gesunde und abwechslungsreiche Ernährung. Als besonderer Hemmschuh für die Immunabwehr hat sich aber ein Faktor herausgestellt, den viele von uns kennen: Stress. Man könne ihm im Alltag kaum entkommen, hält auch Zierler fest, rät aber: „Langzeitstress sollte man unbedingt vermeiden.“ Hilfreich für Immunsystem und Stressabbau seien Bewegung an der frischen Luft und andere Formen des psychischen Ausgleichs. Dass Stress unserer Gesundheit schaden kann, ist kein Geheimnis. Dass er sich äußerst nachteilig auf das Immunsystem auswirken kann, ist weniger bekannt. „All es, was für den Körper Stress bedeutet, unterdrückt das Immunsystem auf allen Ebenen. Das gilt für alle im Übermaß betriebenen Dinge, etwa auch für Extremsport“, erläutert Zierler. Denn durch das Stresshormon Cortisol werden sowohl das erworbene und auch das angeborene Immunsystem (SIEHE KASTEN) unterdrückt.

Die Konsequenzen daraus kennen einige von uns noch aus der Schulzeit oder von der Uni: Gegen Ende des Semesters steigt der Druck durch Prüfungen, Schularbeiten oder Abgabetermine – der Stress ist enorm. Sobald dann die Ferien beginnen, wird man krank. Das liegt daran, dass uns in solchen Ausnahmesituationen selbst ansonsten harmlose Viren und Bakterien außer Gefecht setzen können. Was passiert nun aber, wenn Krankheitserreger in den Körper gelangen? „Wenn die erste Barriere, bestehend aus Haut und Schleimhäuten, überwunden ist, schaltet sich das angeborene Immunsystem mit Phagozyten, die umgangssprachlich auch Fresszellen genannt werden, ein“, erklärt Zierler. Diese reagieren schnell auf mögliche Bedrohungen, indem sie gefährliche Fremdköper in sich aufnehmen und neutralisieren. Die Phagozyten aktivieren ihrerseits das erworbene Immunsystem. T-Helfer-Zellen und B-Zellen sorgen darau.in für die Bildung von Antikörpern. Sind die Krankheitserreger beseitigt, läuten spezielle T-Zellen das Ende der Immunantwort ein. Das ist wichtig, da eine nicht endende Immun reaktion für den Körper ebenfalls gefährlich werden kann.

Die Abwehrreaktion muss gut abgestimmt werden

Die einwandfreie Verständigung zwischen den einzelnen Abwehrkörpern hat bei all diesen Prozessen also immens hohen Stellenwert. Und: „Das Immunsystem muss in der richtigen Balance gehalten werden“, sagt die Expertin für Immunologie. Wird eine zu starke entzündliche Reaktion ausgelöst, können im äußersten Fall schwer e Erkrankungen auftreten. Werden hingegen zu viele entzündungshemmend e Stoffe gebildet, können sich etwa Krebszellen ungehindert vermehren. Verschiedene Eindringlinge verlangen dem Immunsystem zudem ganz unterschiedlich viel Arbeit ab. So sind körperfremde Bakterien oder Pilze für die körpereigene Abwehr relativ einfach zu erkennen. Wird ein potenziell schädlicher Eindringling erkannt, gehören spezielle Phagozyten, die Neutrophilen Granulozyten, kurz Neutrophile, zu den Ersthelfern. Sie machen 50 bis 65 Prozent und damit den Großteil der weißen Blutkörperchen aus. Neutrophile fangen Bakterien ab und verdauen sie, bevor sie sich ausbreiten können. Schwieriger wird es Zierler zufolge, wenn Viren am Werk sind. „Sie schleusen sich in Körperzellen ein und sind deshalb nicht mehr so leicht als Fremdkörper auszumachen.“ Das macht auch die pharmakologische Bekämpfung dieser winzigen Eindringlinge deutlich komplizierter. Manche Angreifer sind wiederum so groß, dass sie nicht von Abwehrzellen aufgenommen werden können. In solchen Fällen, etwa wenn Parasiten ihren Weg in den Körper gefunden haben, greifen Eosinophile Granulozyten – kurz Eosinophile oder Eos – ein. Dieser Typ der Leukozyten macht ein bis fünf Prozent aller Fresszellen aus. Sie haften sich an die Oberfläche großer Eindringlinge, um sie zu beseitigen.

Ebenfalls zu den weißen Blutkörperchen und zum angeborenen Immunsystem gehören die natürlichen Killerzellen. Sie erkennen abnormale beziehungsweise entartete Zellen, etwa Krebszellen, schädigen diese und töten sie ab. Sie spielen auch eine Schlüsselrolle, wenn wir uns zum ersten Mal mit einem für unseren Körper unbekannten Virus infizieren. Ob er Freund oder Feind vor sich hat, erkennt der Körper anhand sogenannter Antigene. Das Immunsystem kann diese identifizieren und entsprechend handeln. Kommen unsere Abwehrkräfte mit einem neuen, körperfremden Antigen in Berührung, lernen sie, Antikörper zu bilden. Während dieses Vorgangs können wir krank werden. Hat der Körper hingegen einmal passende Antikörper gegen einen Virus entwickelt und ihn abgewehrt, kann dieser Vorgang jederzeit reproduziert werden. Das geschieht dann auch ohne nochmaligen Ausbruch der jeweiligen Krankheit. Dabei helfen die Gedächtniszellen – das sind T-Zellen und B-Zellen, die nach einer erfolgreichen Abwehrreaktion im Körper zurückbleiben. Bei erneuten Angriffen durch den gleichen Erreger sind sie zur Stelle, um die entsprechenden Antikörper – auch Immunglobulin oder schlicht Ig genannt – zu erzeugen. Diese Y-förmigen Moleküle fügen sich wie Puzzlesteine in die Oberfläche von Antigenen ein und bilden mit diesen sogenannte Immunkomplexe. Diese Gebilde werden vom Körper beseitigt beziehungsweise abgebaut und ausgeschieden. Damit die T-Zellen in erster Instanz aktiv werden können, sind sie auf das Zutun anderer Immunzellen angewiesen, etwa der dendritischen Zellen. Diese zerlegen Antigene in ihre Bestandteile, wodurch sie vom Abwehrsystem gelesen und die Gefahr erkannt werden kann. Verständigung ist auch hier Trumpf.

Besorgniserregender Trend bei Autoimmunerkrankungen

Die komplexen Abläufe, die zu einer Immunreaktion, aber auch zu deren Ende führen, stoßen in Linz auf besonderes Interesse. „Wir versuchen zu verstehen, welche Signale die Zellen untereinander austauschen, wie diese wahrgenommen und wie sie weitergeleitet werden“, erklärt Zierler. Darüber hinaus erforschen die Zellbiologin und ihr Team auch, was bei einer überschießenden Immunantwort vor sich geht. Reagiert das Immunsystem über, können Autoimmunerkrankungen entstehen. Dabei attackieren die Abwehrkräfte fälschlicherweise körpereigenes Gewebe, was schwere Erkrankungen wie Multiple Sklerose, rheumatoide Arthritis oder Morbus Crohn zur Folge haben kann.

Ausgerechnet in puncto Autoimmunerkrankung beobachten Fachleute wie Zierler seit einiger Zeit einen besorgniserregenden Trend: Diese Erkrankungen sind im Steigen begriffen, so die Expertin. „Die genauen Ursachen dafür, und auch für ihre Entstehung, sind aber noch nicht restlos geklärt.“ Zwar stehen manche Faktoren – etwa genetische Vorbelastungen – im Verdacht, die überschießende Abwehrreaktion zu begünstigen. Die genauen Abläufe liegen aber noch im Dunkeln. Ein Mitgrund könnte jedoch Schlafmangel sein, der die einwandfreie Funktion des Immunsystems hemmen kann. Wie die Immunologie in den vergangenen Jahren erkannte, spielt der Tag-Nacht-Rhythmus eine überaus zentrale Rolle für unsere Immunabwehr. „Leiden wir über längere Zeiträume hinweg unter Schlafmangel, kann die eigene Abwehrkraft geschwächt und aus dem Gleichgewicht gebracht werden“, erläutert Zierler. Daraus ergebe sich auch ein höheres Risiko für die Entwicklung von Autoimmunerkrankungen. Da also auch Immunzellen zirkadianen Rhythmen unterliegen und das Immunsystem auch im Schlaf unglaubliche Arbeit leistet, sollten wir auf eine erholsame Nachtruhe achten. Und: Schlummernd etwas für unsere Abwehrkräfte zu tun, klingt doch auch nicht schlecht.  

 

Kleines Lexikon der Immunabwehr

Antigen = meist Proteine auf der Oberfläche von Krankheitserregern, an die Immunzellen binden

Antikörper = werden von weißen Blutkörperchen zur Bekämpfung von Krankheitserregern produziert, sie sehen aus wie ein Ypsilon

B-Zellen = können Plasmazellen bilden, die wiederum Antikörper ausschütten

Dendritische Zellen = ermöglichen die Erkennung von Antigenen und stimulieren die Immunantwort

Eosinophile Granulozyten = dienen der Parasitenabwehr, können die Abwehrreaktion verstärken

Leukozyten = weiße Blutkörperchen

Lymphozyten = Untergruppe der Leukozyten, umfassen T-Zellen, B-Zellen und natürliche Killerzellen

Monozyten = Vorläuferzellen eines Teils der dendritischen Zellen

Natürliche Killerzellen = erkennen abnormale Zellen und töten sie ab

Neutrophile Granulozyten = dienen dem Erkennen und Zerstören von Mikroorganismen

Phagozyten = können Krankheitserreger aufnehmen und verdauen

Regulatorische T-Zellen = läuten das Ende der Immunantwort ein, verhindern überschießende Angri®e auf intakte Körperzellen

T-Zellen = zerstören von Viren infizierte Zellen oder Tumorzellen

Ein System, zwei Komponenten

Angeborenes (unspezifisches) Immunsystem

Reagiert innerhalb von Minuten auf Bedrohungen, umfasst auch Haut und Schleimhäute; überwinden Keime diese Barriere, greifen Immunzellen ein, darunter Leukozyten, Phagozyten, Granulozyten, dendritische Zellen, Monozyten und natürliche Killerzellen;

Erworbenes (spezifisches) Immunsystem

Wird im Laufe des Lebens durch Infektionen oder Impfungen erworben, bildet ein immunologisches Gedächtnis, erkennt Antigene und aktiviert gezielte Abwehr, wichtige Elemente sind dendritische Zellen, T- und B-Zellen;