Zur JKU Startseite
Kepler Tribune
Was ist das?

Institute, Schools und andere Einrichtungen oder Angebote haben einen Webauftritt mit eigenen Inhalten und Menüs.

Um die Navigation zu erleichtern, ist hier erkennbar, wo man sich gerade befindet.

But how?

Die Situation mag manchmal aussichtslos erscheinen, aber sie ist es nicht. Die Ansätze dazu, wie die Menschheit dieses Zeitalter der multiplen Krisen mit einem blauen Auge überstehen kann, gibt es. Und sie werden mehr.  

Von Nina Horaczek

Die Welt aus dem Gleichgewicht.

Seine Anzugbeine waren knietief im Meereswasser, als Simon Kofe, Außenminister des Inselstaats Tuvalu, im November 2021 anlässlich der Weltklimakonferenz eine eindrucksvolle Botschaft an die Welt schickte: Uns steht das Wasser bald bis zum Kopf. Wenn die globale Politik und Wirtschaft, wenn wir alle nicht binnen kürzester Zeit umdenken und umsteuern, werden wir untergehen. Zumindest diese Botschaft ist angekommen. Zum ersten Mal gibt es einen breiten Konsens auf der Welt, dass wir gegen den viel zu hohen Ressourcenverbrauch, gegen Energiekrise und Klimawandel aktiv werden müssen. Nun, wo man jederzeit damit rechnen muss, dass Russland den Gashahn zudreht, ist der Umstieg auf erneuerbare, klimaschonende Energien kein theoretisches Vorhaben mehr. Sondern etwas, das binnen möglichst kurzer Zeit passieren muss. Viel Zeit bleibt nämlich nicht. Nur wenn es uns gelingt, in den nächsten acht bis zehn Jahren unser Energiesystem grundlegend zu ändern, bleibt die Chance, dass die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden kann.

Welche Lösungen braucht die Welt nun? Was ist technisch möglich und wie sehr muss sich auch die Gesellschaft ändern, um den Planeten zu retten? Da ist zum einen die technische Ebene. Schon früher hat der Mensch es geschafft, dank seiner Innovationskraft mannigfaltige Probleme zu lösen, die er sich zuvor selbst eingebrockt hat. Denken Sie zum Beispiel an das Ozonloch und die Debatte um die Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe (FCKW). Hier gelang es durch global gemeinsames Handeln, die Ausbreitung des Loches in der schützenden Erdatmosphäre zu stoppen. Heute sind FCKW verboten, die Ozonschicht erholt sich. Auch die Corona-Pandemie ist so ein Beispiel. Binnen weniger als einem Jahr gelang es der globalen Wissenschaftscommunity, einen Impfstoff gegen das gefährliche Virus zu entwickeln, der vor einem schweren Krankheitsverlauf schützt.

Kooperation ist der Schlüssel

Die Menschheit ist fähig zu Kooperation – und diese Fähigkeit braucht es im Kampf gegen die Erderwärmung. Denn wenn Österreich und die Welt wirklich das fossile Zeitalter hinter sich lassen wollen, dann werde man als Ersatz unglaubliche Mengen an Strom benötigen. „Wenn etwa Unternehmen im Linzer Großraum wie Voest und Chemiepark Linz auf heimisch produzierten Wasserstoff aus Strom umsteigen, würde sich allein dadurch der Stromverbrauch in Oberösterreich verdoppeln“, sagt Wissenschaftler Johannes Reichl, der sich am Energieinstitut der Johannes Kepler Universität (JKU) mit der Analyse der ökonomischen Auswirkungen und Möglichkeiten neuer Technologien im Energiebereich beschäftigt.

Doppelt so viel Strom – was für eine Herausforderung, alleine für die Industrie. „Deshalb werden wir uns als Österreich auch in Zukunft nicht autark mit Energie versorgen können oder zumindest nicht zu wirtschaftlich vernünftigen Konditionen“, sagt der Experte. Es bleibt nur der Import von erneuerbarer Energie aus Ländern, die topografisch und klimatisch dazu prädestiniert sind, möglichst viel Sonnenlicht in Energie umzuwandeln, etwa in Nordafrika.

Jetzt vermehrt Flüssiggas einzukaufen, könne allerhöchstens eine kurzfristige Notmaßnahme sein. „Denn erstens gibt es nur wenige Staaten, die Liquid Gas überhaupt liefern können – und es besteht deshalb die Gefahr, dass wir uns von einer Abhängigkeit in die nächste begeben“, warnt Expert e Reichl. „Zweitens würde es für das Klima dramatische Auswirkungen haben, wenn man die Energieversorgung darauf aufbaut, dass Erdgas an einem Ende der Welt hinuntergekühlt wird, um dann auf fossil betriebenen Schiffen über den Ozean geschippert und hier in Pipelines gefüllt wird.“ Dies würde den Ausstoß von Kohlendioxid im Vergleich zu Erdgas über direkten Pipelines-Transport verdoppeln.

Flächen definieren, Erneuerbare ausbauen

„Eine Rückorientierung auf fossile Energie muss, wenn überhaupt, höchstens auf den kommenden Winter befristet sein“, fordert auch Umweltjuristin Erika Wagner von der JKU.

Was stattdessen nun zu tun sei, habe die EU-Kommission in einer Vielzahl von Dokumenten vorgelegt, sagt sie. Nun liege es an der österreichischen Regierung, diese Pläne rasch umzusetzen. „Die Regierung hat jetzt einen Entwurf vorgelegt, mit dem die Beschleunigung der Umweltverträglichkeitsprüfungen für klimaschonende Projekte erreicht werden soll.“

Das alleine reiche aber nicht aus, „schließlich wollen wir ja nicht im Kampf gegen die Erderwärmung am Ende mit einer völlig zerstörten Umwelt und Natur dastehen“. Deshalb brauche es eine rasche Ausweitung der sogenannten Go-To-Areas, also jener Regionen, in denen man die Herstellung von erneuerbarer Energie rasch umsetzen kann. Es gäbe genügend Flächen, die für erneuerbare Energie verwendet werden könnten, ohne sofort mit dem Naturschutz in Konflikt zu geraten. „Man könnte etwa entlang der Autobahnen Photovoltaik-Anlagen aufstellen“, sagt Expertin Wagner.

„Es bräuchte eine Offensive, um erneuerbaren Strom in speicherbare Lösungen umzuwandeln“, fordert Energieexperte Reichl. „In Zukunft müssen wir aus Strom Wasserstoff erzeugen, etwa um diesen dann in synthetisches Gas umzuwandeln.“ Diese aus Wasserstoff gewonnenen grünen Gase hätten wir dann – zumindest in Österreich – unter unseren Füßen. Denn Österreich habe den Vorteil, dass hier die unterirdischen Gaslagerstätten so groß sind, dass wir unseren gesamten Jahresverbrauch einspeichern können. Derzeit werden diese Speicher für Erdgas genutzt, in Zukunft könnten auch grüne Gase so nutzbar gemacht werden. Zwar sei das Umwandeln von Strom in Gas noch kostenintensiv. „Allerdings findet europaweit eine beispiellose Anstrengung zum Ausbau der Erneuerbaren statt, die Strom zu Zeiten hoher Produktion, wie etwa im Sommer, mittelfristig günstiger machen wird.“ Gebot der Zeit wäre es daher, die Wasserstoffproduktion massiv hochzufahren.

Für so eine große Infrastruktur bräuchte es aber schon jetzt eine größer gedachte Planung. „Der Staat könnte hier während Phasen extremer Preissteigerungen, wie wir sie gerade erleben, koordinierend eingreifen“, sagt Reichl. „Sonst bleibt die derzeitige Situation, dass die einzelnen Häuslbauer Europas um jedes einzelne Solarpanel am Markt konkurrieren und die Preise weiter nach oben treiben.“ Das Steuergeld wäre sinnvoller eingesetzt, wenn der Staat nicht jede einzelne Photovoltaik- Anlage hoch subventionieren würde, sondern dieses Geld in Großprojekte fließt. Noch sinnvoller wäre, wenn die Europäische Union in Krisenzeiten als Einkäufer auftritt, so wie sie es zum Beispiel bei den Corona-Impfstoff en getan hat. „Beim Gaseinkauf ist das auch geplant, also wieso nicht bei erneuerbarer Energie?“

Über Legislaturperioden hinaus denken

Dafür bräuchte es eine stärkere Einbindung von Expertinnen und Experten. „Wie in der Corona-Pandemie bräuchte es auch bei der Energiewende ein wissenschaftliches Expertinnen- und Expertengremium, das die Politik berät, weiter denkt als eine Legislaturperiode und so mitwirkt, die dringend nötige Energiewende zu beschleunigen“, findet Umweltjuristin Wagner. Denn ein Problem, das Veränderung bremst, ist das Denken in Legislaturperioden, das in der Politik immer noch stark vorherrscht. Wer aber nur bis zur nächsten Wahl plant, wer große Veränderungen nicht wagt, weil diese für die Wählerinnen und Wähler schmerzhaft sein können, wird diese großen Probleme nicht lösen.

Wenn aber so klar ist, wohin die Reise gehen muss, warum passiert so wenig? „Das Problem ist, dass der Klimawandel die komplexeste Herausforderung für kollektives Handeln ist, der sich die Menschheit bislang stellen musste“, sagte der Harvard- Politologe Stephen Walt dazu in einem Interview mit dem deutschen Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Man könne zum einen analog zu den politischen Sanktionen, die etwa gegen Staaten wie Russland oder den Iran verhängt wurden, auch Strafmaßnahmen gegen Regierungen, die aktiv die Umwelt zerstören und damit nicht nur sich selbst, sondern auch anderen Ländern schaden, vornehmen.

Allerdings seien jene Staaten, die für die schlimmsten Umweltschäden verantwortlich sind, auch jene mit der meisten politischen Macht und diese werden sich wohl kaum selbst sanktionieren. Also schlägt der Politologe Walt eine positive Bestärkung vor. Jene Länder, die besonders brutal natürliche Ressourcen zerstören, wie etwa Brasilien mit seinen Brandrodungen am Amazonas-Regenwald, sollten wirtschaftliche Unterstützung erhalten, wenn sie schonungsvoller mit ihren natürlichen Ressourcen umgehen. Vor allem für ärmere Länder könnte dies durchaus ein Anreiz sein.

Neues Denken für die alte Idee von Stadt

Vielleicht müssen wir auch einfach die Perspektive ändern. Friedrich von Borries, Architekt und Professor für Designarchitektur an der Hochschule für bildende Künste Hamburg, forderte bereits im Dezember 2019 in einem Essay für die deutsche Wochenzeitung „Die Zeit“ ein völliges Umdenken in der Frage, wie Politik und Gesellschaft die großen Herausforderungen der Menschheit lösen können. Der nationalstaatliche Ansatz stehe einer Lösung im Weg, argumentiert er. Stattdessen brauche es eine Globalopolis.

„Viele der Probleme, die im globalen Kontext diskutiert werden, lassen sich lokal, auf städtischer Ebene, lösen. Dazu aber müssen die Städte so gedacht, geplant und gebaut werden, dass in ihnen keine, viel weniger beziehungsweise gar keine schädlichen Emissionen entstehen.“

Dabei gehe es aber um viel mehr als eine „Smart City“, wo die Straßenlaternen nur dort leuchten, wo jemand vorbeigeht. Es brauche intelligente Städte, die so vernetzt sind, dass zum Beispiel die verschiedenen Verkehrsträger als Einheit gedacht werden. Also nicht der Fahrradweg als einzelne Spur neben der Autostraße. Sondern, wie es zum Beispiel die holländische Stadt Utrecht vorzeigt, Mobilität als Vernetzung mit intelligent gedachten Schnittstellen. Denn in Utrecht steht schon heute ganz zentral und in Bahnhofsnähe ein Fahrradparkhaus, das bis zu 22.500 Fahrrädern Platz bietet und dazu Fahrradwerkstätten und Cafés umfasst.

Dafür braucht es ein Neudenken von Flächen. Derzeit gehört in den meisten europäischen Städten ein Viertel der Bodenfläche dem Auto. „Die Straßen, die man nicht mehr für Autos braucht, könnten Parks werden, die Dächer grüne Plattformen für Menschen und Tiere und begrünte Fassaden würden zu einem besseren Stadtklima beitragen. Die Stadt würde nicht mehr aus Gebäuden und Straßen bestehen, in denen Grünräume vereinzelte, voneinander abgeschnittene Inseln sind, sondern würde zusätzlich, wie durch eine zweite Haut, von einem dreidimensionalen Netz grüner Räume umspannt.“ So lautet die Vision des Architekten.

Das Weltparlament der Bürgermeister

Die Idee, zur Lösung globaler Probleme nicht auf die Nationalstaaten, sondern auf eine Ebene darunter zu vertrauen, hatte auch der 2017 verstorbene amerikanische Politologe Benjamin Barber, als er eine Art Weltparlament der Bürgermeister entwarf. Die Idee dahinter: Weil die Bürgermeister die Ersten sind, die mit Problemen in der Bevölkerung konfrontiert sind, weil etwa neunzig Prozent der Städte am Meer, an einem See oder einem Fluss liegen und sie somit als Erstes mit den Folgen des Klimawandels konfrontiert sind, plädierte er für dieses Modell eines urbanen Weltparlaments. So könnten die Städte schneller voneinander lernen und sich koordinieren.

„Urbane Systeme stehen für die pragmatische Lösung von Problemen, sie sind nicht belastet von Ideologien: Busse müssen einfach fahren, der Müll muss eingesammelt werden, wir brauchen Schulen und eine Kanalisation. In Großstädten gibt es enorm viel institutionelle, soziale und technologische Kompetenz. Ich plädiere für eine Multiplikation dieser Kompetenz“, sagte Barber dem deutschen Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“.

„In der parlamentarischen Demokratie besitzen wir genau die Instrumente, die wir benötigen, um Krisen auf politischer Ebene zu lösen“, sagt der Soziologe Ulrich Meyer von der JKU. Ein gut funktionierendes Parlament ist hervorragend geeignet verschiedene Ideen und Lösungen zu diskutieren, Konsequenzen abzuwägen und Kompromisse zu finden. Allerdings habe unsere Demokratie ein Imageproblem. Dies sei aber weniger ein Problem des politischen Systems, als durch manche deren Vertreterinnen und Vertreter verursacht.

„Politische Entscheidungen müssen transparent und nachvollziehbar getroffen werden“, sagt Meyer. Bei so weitreichenden politischen Veränderungen wie den neuen gesetzlichen Grundlagen für klimaschützende Energieversorgung ist es nötig, dass sich Politik erklärt, dass die Menschen wieder mehr mitgenommen werden. „Bei so weitreichenden Problemstellungen, wie etwa der Erderwärmung, kann es nicht darum gehen, welche Partei sich durchsetzt. Sondern in einer parlamentarischen Demokratie muss Politik wieder inhaltliche Auseinandersetzung bedeuten, an deren Ende ein Kompromiss steht, der darum bemüht ist, die Lebenssituation möglichst vieler zur berücksichtigen.“

Nicht nur die Natur ist überbelastet – auch der Mensch

Nicht nur die Politik müsse neu gedacht werden, auch die Frage, wie die Gesellschaft ihren Staat organisiert haben will, fi ndet Soziologin Brigitte Aulenbacher von der JKU. Wenn wir schon die Welt neu bauen müssen, um die großen ökologischen Krisen bewältigen zu können, könnte man auch die Frage, welche Arbeit unserer Gesellschaft wie viel wert ist, neu diskutieren. „Der Sozialstaat wurde unter den Vorzeichen des Neoliberalismus zunehmend vermarktlicht. Diese Ökonomisierung verbunden mit extremem Wettbewerbsdruck führt e dazu, dass die dort Beschäftigten immer mehr Aufgaben übernehmen müssen und unter immer schlechteren Bedingungen.“ Es sei deshalb nötig, den sozialen Sektor, also Bereiche wie etwa Bildung, Pflege oder Gesundheit, aus der Wettbewerbsorientierung herauszunehmen. Was es brauche, seien höhere Personalschlüssel und eine deutliche Arbeitszeitverkürzung. Allerdings sei derzeit genau das Gegenteil zu beobachten. Wie beim Klimaschutz, wo viel zu lange viel zu wenig passierte, obwohl die Wissenschaft seit mehr als zwei Jahrzehnten warnt, steigen auch im Sozialbereich die Belastungen, obwohl spätestens die Corona-Pandemie uns klar vor Augen geführt hat, dass der Gesundheits- und Pfl egebereich längst am Anschlag ist.

Um da herauszukommen, brauche es nicht weniger als die „Überwindung der strukturellen Sorglosigkeit von Kapitalismus und Moderne. Denn Kapitalismus und Moderne gehen nicht davon aus, dass Menschen Fürsorge bedürfen. Sondern dass jedes Individuum in der Lage ist, für sich selbst zu sorgen.“ Es brauche aber eine Gesellschaft, die sagt, wir machen diesen sozialen Sektor in seiner Wichtigkeit zu einer staatlichen Aufgabe und nehmen ihn aus dem Wettbewerb heraus.

Das kostet natürlich. Genauso wie die Energiewende erst einmal massive Kosten verursachen wird. Die Soziologin Aulenbacher schlägt vor, zur Rettung unseres Sozialstaates an einem der größten Tabus in der gesellschaftlichen Diskussion zu rütteln: Dem Komplex Vermögenssteuern. „Wenn eine Gesellschaft sich zu einem funktionierenden Sozialstaat bekennt, der immer größere Aufgaben bewältigen muss, dann muss man über Vermögenssteuern nachdenken, um diesen auch nachhaltig finanzieren zu können.“ Dies bedeute natürlich eine Umverteilung von oben nach unten. „Aber ohne diese wird es nicht gehen.“ Das gilt wohl nicht nur für den Sozialstaat. Sondern auch für eine Energiewende.