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Eine Frage der richtigen Fragen

Ein Quantencomputer kann nicht nur null und eins unterscheiden, sondern arbeitet auch mit beliebigen Kombinationen davon. Um diese Fähigkeit effizient zu nutzen, muss man das Ergebnis aber auch rasch und zuverlässig auslesen können – und das ist bis heute ein großes Problem. Richard Küng von der JKU gelang nun ein wissenschaftlicher Durchbruch: Er fand heraus, dass diese Messung am besten funktioniert, wenn man dabei ausgeklügelte Fragen stellt.

Von Florian Aigner

Manchmal braucht man am Anfang ein Gedankenexperiment, und das hier ist so ein Fall. Stellen Sie sich also vor, Sie stehen an einer Weggabelung. Ein Weg führt ins Verderben, der andere zum Ziel. Zwei Zwillingsbrüder wissen, welcher Weg der richtige ist. Doch der eine lügt immer, der andere sagt immer die Wahrheit. Man weiß nicht, mit welchem man sich unterhält. Wie können wir so nach dem Weg fragen, dass wir danach garantiert die korrekte Antwort wissen?

Eine Möglichkeit ist: „Welchen Weg würde dein Bruder empfehlen?“ Wenn der linke Weg der richtige ist, dann weiß der Lügenbruder, dass der andere korrekterweise den linken Weg empfehlen würde. Er lügt aber und sagt: „Den rechten.“ Der wahrheitsliebende Bruder hingegen weiß, dass der andere den falschen Weg empfehlen würde, und sagt daher ebenfalls: „Den rechten.“ Egal, an welchen Bruder wir geraten sind, wir können getrost den linken Weg nehmen.

Es kann manchmal schwierig sein, die richtigen Fragen zu stellen. Ganz besonders gilt das in der Quantentheorie. Wenn man der Natur eine Frage stellt, indem man einen bestimmten Quantenzustand misst, dann wird dieser Quantenzustand unweigerlich zerstört. Man muss also sehr sorgfältig überlegen, welche Fragen man einem Quantensystem stellt, um zuverlässig an Information zu kommen.

Genau damit beschäftigt sich Richard Küng an der JKU Linz. Gemeinsam mit Kolleg*innen aus den USA gelang ihm nun ein wichtiger Durchbruch: Das Team konnte zeigen, dass man mit ausgeklügelten Fragestrategien bestimmte Probleme mit Quantencomputern unvergleichlich viel schneller lösen kann, als das mit klassischen Methoden jemals möglich wäre.

Links, rechts oder beides zugleich

„Eine der großen Herausforderungen beim Quantencomputer ist: Man muss das Rechenergebnis aus einem Quantensystem in unsere makroskopische Welt übertragen – und das ist ein schwieriger Flaschenhals“, sagt Rich ard Küng. Wenn ein Quantenobjekt verschiedene Zustände annehmen kann, dann ist nach den Gesetzen der Quantentheorie auch eine beliebige Kombination dieser Zustände erlaubt. Wenn sich ein Atom rechtsherum oder linksherum drehen kann, dann kann es sich auch ein bisschen linksherum und gleichzeitig ein bisschen rechtsherum drehen. Man spricht dann von einem „Überlagerungszustand“.

Klassische Objekte, wie wir sie aus dem Alltag kennen, können das nicht: Ein Kreisel dreht sich rechts- oder linksherum, aber nie beides. In unserer makroskopischen Welt sind Überlagerungen verboten. Das Problem am Messen von Quantenobjekten ist: Die Messung bringt zwangsläufig die Welt des Kleinen, in der die Gesetze der Quantentheorie gelten, in Kontakt mit der Welt des Großen, in der unsere makroskopischen Regeln gelten. Das Messgerät gehört zur makroskopischen Welt, daher muss es eine eindeutige Antwort liefern: Entweder dies oder jenes, aber nicht beides – auch wenn sich das Quantenobjekt vorher in einem Überlagerungszustand befunden hat.

Eine Ja-Nein-Frage liefert genau ein Bit an Information – null oder eins. Ein Quantensystem speichert aber Überlagerungen – Quantenbits, auch „Qubits“ genannt. Das bedeutet, dass man einen Quantenzustand durch eine einzige Ja-Nein-Frage nicht vollständig bestimmen kann. Wenn etwa der Drehzustand des Atoms eine Mischung aus links und rechts ist, dann wird man bei der Messung manchmal dieses, manchmal jenes Ergebnis erhalten. Um das Mischungsverhältnis aus „rechtsdrehend“ und „linksdrehend“ zu ermitteln, muss man eine große Zahl solcher Atome messen und die Ergebnisse dann statistisch auswerten.

Genau das muss auch ein Quantencomputer machen. „Man kann das Ergebnis auslesen, indem man die Rechenoperation wieder und wieder durchführt, jedes Mal den Endzustand misst, die Ergebnisse aufschreibt und dann statistisch auswertet“, sagt Richard Küng. „Aber das ist extrem aufwendig: Die Zahl der Messungen, die man durchführen muss, steigt exponentiell mit der Zahl der verwendeten Qubits.“

Wissenschaftlicher Durchbruch in der Messung

Es gibt aber einen Ausweg – und das ist der entscheidende Durchbruch, den Küng mit seinen Kolleg*innen im Juni 2022 im Fachjournal „Science“ publizierte: Die Qubits, in denen das Ergebnis der Quantencomputer- Berechnung steckt, muss man nämlich nicht sofort messen. Man kann sie zunächst einfach speichern. Und das liefert völlig neue Möglichkeiten: Wenn man nämlich mehrere Versionen eines Quantenzustandes hat, dann kann man diese Versionen miteinander verschränken und sie dann auf ausgeklügelte Art gleichzeitig messen. Man stellt der Natur eine Frage, die sich nicht bloß auf einen Quantenzustand, sondern auf zwei verschränkte Quantenzustände bezieht – und wenn man das auf schlaue Weise macht, erhält man die gesuchte Information.

Das erinnert an die Geschichte von den beiden Brüdern: Die Frage „Welchen Weg würde dein Bruder empfehlen?“ ist deswegen effizient, weil sie Information über beide Brüder gleichzeitig liefert. Man befragt nicht beide Brüder hintereinander, sondern man extrahiert in einem einzigen Schritt Information über das kombinierte System „Lügenbruder plus Wahrheitsbruder“. Verschränkte Quantensysteme gehorchen zwar etwas anderen Gesetzen, aber das Prinzip, eine Frage so zu formulieren, dass man damit auf subtile Weise zwei Zustände gleichzeitig abfragt, ist dasselbe.

„Entscheidend ist, dass wir die Information, die der Quantencomputer errechnet, nicht sofort in die makroskopische Welt übertragen“, sagt Richard Küng. „Wir belassen den ermittelten Zustand zunächst in der Quantenwelt. Erst an der Kombination von Zuständen findet eine Messung statt, die Information auf eine makroskopische Ebene überträgt.“

Bei drei verschiedenen Rechenaufgaben konnten Küng und seine Kolleg* innen mathematisch beweisen, dass diese Taktik des Abfragens verschränkter Antwort-Kombinationen allen bisherigen Methoden drastisch überlegen ist. Und am Sycamore-Supercomputer von Google konnte experimentell nachgewiesen werden, dass sich die Theorie auch praktisch umsetzen lässt: Die Zahl der nötigen Messungen steigt nicht mehr exponentiell, sie ließ sich um einen Faktor 10.000 reduzieren.

Es ist ein international aufsehenerregender Erfolg in einer noch jungen Karriere: Als Richard Küng 2020 Assistenzprofessor für Quantum Computing an der JKU Linz wurde, war er gerade mal zweiunddreißig Jahre alt, doch die Liste seiner wissenschaftlichen Erfolge ist bereits lang. Küng wuchs im Bezirk Freistadt im Mühlviertel auf, entschloss sich aber zu einem Studium an der renommierten ETH in Zürich, wo er sich früh auf Quantentheorie spezialisierte. Seine Doktorarbeit schrieb er dann an der Universität Köln, als Postdoc forschte er außerdem in Berlin und am Caltech in den USA.

„Man hätte in diesem Forschungsbereich natürlich auch die Möglichkeit, für eine der großen Firmen zu arbeiten, die derzeit stark auf dieses Thema setzen“, meint Richard Küng. „Solche Angebote sind reizvoll, aber mir ist doch die akademische Forschung lieber, wo Forschungsergebnisse kein Betriebsgeheimnis sind, sondern offen publiziert werden können.“ Und so kehrte er in seine oberösterreichische Heimat zurück und nahm eine Tenure- Track-Stelle an der JKU Linz an.

Quantencomputer: Nützlich, aber nicht überall

Die Zukunft der Quantencomputer sieht Richard Küng optimistisch, aber differenziert. „Mir wird immer klarer, wie großartig auch unsere klassischen Computer sind“, sagt er. „Niemand wird in Zukunft seine Textdokumente mit Quantencomputern erstellen, das wäre sinnlos. Aber es gibt bestimmte Klassen von Aufgaben, in denen Quanten computer exponentiell besser sind, und das sollten wir nutzen.“

Gerade die Quantenphysik selbst liefert viele Problemstellungen, die mit Quantencomputern besonders gut zu lösen sind: Wenn man etwa auf Quanten-Ebene neue Materialien entwickeln oder chemische Reaktionen wie Photosynthese verstehen möchte, stoßen klassische Computer längst an ihre Grenzen. In diesen Bereichen könnten Quantencomputer ihre Fähigkeiten voll ausspielen.

Bei anderen Rechenaufgaben kann es sein, dass ein Quantencomputer zwar die elegantere Variante wäre, sich der Aufwand aber einfach nicht lohnt. Oft wird es auch in Zukunft praktikabler sein, ganz klassisch eine Serie von Ja-Nein-Fragen zu stellen und nicht auf komplizierte Quantenverschränkungsprotokolle zurückzugreifen.

Das zeigt eine andere berühmte Antwort auf die Rätselfrage mit der Weggabelung und den beiden Brüdern, die Kaspar Hauser zugeschrieben wird: „Ich würde einfach fragen: Bist du ein Laubfrosch? So wüsste ich gleich, ob er lügt oder die Wahrheit spricht!“ Und danach kann man getrost nach dem richtigen Weg fragen. Am Ende zählt das richtige Ergebnis. Es muss nicht immer die eleganteste Lösung sein.