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Geheime Verschlusssache

Am Med Campus I der JKU tüfteln Forscher*innen daran, die Verkalkung unserer Gefäße besser zu verstehen. Ein medizinischer Durchbruch könnte Millionen Leben verlängern. Aber die Arterie bleibt eine komplizierte Materie.

Von Lukas Kapeller

Die Schreckgestalt Medusa war in der griechischen Antike für ihre Schlangen haare bekannt und für eine Eigenschaft, die viele Menschen bis heute fürchten. Ihr Anblick sei so grässlich gewesen, heißt es, dass dieser die Menschen zu Stein erstarren ließ. Auch heute schrecken sich viele Menschen davor, dass ihre Gefäße und Herzklappen langsam verkalken, man könnte auch sagen, versteinern. Das Problem: Eine der Ursachen für diese Gefäßverkalkung liegt in der Ernährung, zum Beispiel durch das berüchtigte LDL-Cholesterin. Die „Verkalkungsmonster“ begegnen uns heute also nicht in der bösen Gestalt der Medusa, sondern in Form von Wurst, Weißbrot, Kuchen oder Cola.

Am Linzer JKU Med Campus I versuchen Forscher*innen möglichst genau zu begreifen, was im menschlichen Gefäß passiert, bevor es verengt und verstopft wird. Konkret sind das die Teams der drei Professoren Andreas Zierer, Experte für Herz, Gefäß- und Thoraxchirurgie, Jakob Völkl, Leiter der Abteilung für Physiologie, sowie David Bernhard, Chef des Zentrums für Medizinische Forschung.

Dazu eine kurze Begriffsklärung: Allgemein bekannt ist die Atherosklerose, umgangssprachlich auch Arterienverkalkung genannt. Bei dieser lagern sich Fette (Cholesterin) an den Innenwänden der Blutgefäße ab. Die Fette können mit der Zeit verkalken und die Gefäße verstopfen. Doch auch in anderen Schichten der Arterie, nicht nur in der inneren, kann es zu gefährlichen Verengungen kommen. So kann sich in der mittleren Schicht Kalzium ablagern, man spricht von Mediasklerose oder medialer Gefäßverkalkung. Beschrieben wurde dies vom deutschen Pathologen Johann Georg Mönckeberg bereits vor mehr als hundert Jahren, doch erst seit rund 20 Jahren wird weltweit intensiv dazu geforscht. Hier setzt auch die Forschung an der JKU an. „Verkalkungen der Gefäße passieren auch völlig unabhängig von der Atherosklerose. Genau diese Verkalkungen der mittleren Schicht interessieren uns in Linz“, erzählt Völkl.

Zugespitzt kann man sagen, dass die Wissenschaft über die innere Gefäßverkalkung (Atherosklerose) viel weiß und über die mittlere Gefäßverkalkung (Mediasklerose) noch wenig. Noch dazu werden die beiden Krankheiten von Laien und sogar von manchen Mediziner*innen gelegentlich verwechselt.

Der stille Killer

In Österreich sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen die häufigste Todesursache. 47 Prozent der Frauen und 38 Prozent der Männer sterben an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung, teilte das Gesundheitsministerium für das Jahr 2019 mit. Im selben Jahr dokumentierten Österreichs Krankenhäuser 19.000 Herzinfarkte,18.000 Schlaganfälle und weitere 11.400 stationäre Aufnahmen wegen akuter Herzprobleme (Angina pectoris). Jährlich sterben 40.000 Menschen in Österreich an den Spätfolgen einer Atherosklerose, heißt es in der Publikation des Ministeriums weiter.

Der häufigste Auslöser für tödliche oder zumindest lebensbedrohliche Krankheitsbilder wie Herzinfarkt und Schlaganfall ist damit die Atherosklerose – die schwindende Elastizität und zugleich fortschreitende Einengung der Gefäße, die sich oft langsam und über Jahrzehnte symptomlos entwickelt. Die innere Arterienverkalkung ist, ähnlich wie der Bluthochdruck, ein stiller Killer.

Hinzu kommt, dass rund 300.000 Menschen in Österreich an einer sogenannten peripheren arteriellen Verschlusskrankheit leiden (pAVK) – einer Durchblutungsstörung in den Beinen. Auch bei der pAVK, im Volksmund „Schaufensterkrankheit“, ist das Tückische, dass diese von den Erkrankten oft jahrelang unbemerkt bleibt. Erst in einer fortgeschrittenen Phase der Krankheit spüren die Betroffenen nach einer kurzen Gehstrecke – scheinbar plötzlich – krampfartige Schmerzen.

So viel vorweg, auch wenn man ein angeborenes, genetisch bedingtes Risiko für Gefäß- und Herzkrankheiten haben kann, ist es durchaus möglich, mit der konsequenten Änderung der Lebensgewohnheiten einer Erkrankung gegenzusteuern. Dazu später mehr.

Wenn die Medizin versteht, so die Hoffnung in Linz, was in unseren Adern geschieht und unter welchen Bedingungen diese jung und gesund bleiben, könnte man in den geheimnisvollen Prozess der Verkalkung eingreifen. Und das würde einem signifikanten Teil der Menschheit womöglich zu einem längeren, gesünderen Leben verhelfen. „Der erste und wichtigste Schritt ist zu verstehen, was im Körper jeweils unter gesunden und unter kranken Bedingungen passiert“, sagt Professor Völkl über seine tägliche Arbeit. „Wenn wir entdecken, wo unsere Zellen falsch angeleitet werden, dann können wir versuchen, diese Krankheitsprozesse aufzuhalten.“

Professor Zierer leitet die Universitätsklinik für Herz-, Gefäß- und Thoraxchirurgie und arbeitet auch täglich selbst im Operationssaal. Eingriffe an Herzklappen und an der großen Körperschlagader sind sein Alltag, die Herzchirurgie bezeichnet er als „absolute Hochrisikochirurgie“. Er weiß um die Erfolge und Fortschritte in seiner Disziplin, etwa bei minimal-invasiven Operationsmethoden. Trotzdem sagt er als Forscher: „Der Trend in universitär-chirurgischen Abteilungen und allgemein in der Medizin ist, an der Wurzel anzusetzen und die Entstehung von Krankheiten überhaupt zu vermeiden.“ Dadurch könnte es in einigen Jahren vielleicht gar nicht mehr nötig werden, „eine verkalkte Aortenklappe bestmöglich reparieren zu müssen“. Am Ende der Forschung könnte zum Beispiel „ein ausgeklügeltes Medikament stehen, das bereits im Zellstoffwechsel ansetzt“, sagt Zierer.

Die Forschungsziele von Völkl und Zierer laufen quasi in der Aortenklappe zusammen. Sie ist jene der vier Herzklappen, die den Blutfluss aus dem Herzen in die große Körperschlagader (Aorta) regelt. Zierer vermutet, dass viele Mechanismen, die Völkl in Gefäßen untersucht, so ähnlich auch in der Aortenklappe ablaufen.

Kaltwasserfische als Medizin

Die Forschung in Linz steht dabei auf zwei Säulen. Zum einen werden kleine Gewebestücke von Gefäßen oder Herzklappen entnommen und untersucht. Dies geschieht nur nach Einwilligung der Patient*innen. „Manchmal bleibt bei einer Bypass-Operation ohnehin ein Stück Gefäß übrig“, erzählt Zierer. Zum anderen führen die Forscher*innen auch Tierversuche durch, konkret an Mäusen und Ratten – ein überall heiß diskutiertes Thema. Die JKU hat für sich den „Linzer Weg“ definiert, also ein Nein zu Tierversuchen, das aber begründete Ausnahmen zulässt. Die JKU meidet Tierversuche, wenn es andere adäquate Möglichkeiten gibt oder kein deutlicher Nutzen für die Gesellschaft erkennbar ist. Im Falle der Gefäßforschung erkennen die Mediziner*innen einen solchen Nutzen. „Um die komplexen Vorgänge bei dieser Verkalkung zu untersuchen, gibt es leider noch keine Alternative zu Versuchen im Organismus“, sagt Völkl.

Was passiert nun im Körper bei der medialen Gefäßverkalkung? Ganz genau hat die Wissenschaft das bisher nicht beantworten können. Vereinfacht gesagt, spielen wohl Entzündungen, das Hormonsystem und die Funktion der Nieren und der Leber die entscheidende Rolle, warum sich in der mittleren Schicht unserer Arterien und Herzklappen Kalzium-Phosphat einlagert. Dies passiert schlicht durch das Älterwerden des Menschen, vor allem auch bei Diabetes mellitus und bei chronischer Niereninsuffizienz. „Eigentlich würden ja Kalzium und Phosphat miteinander reagieren und dann würde sich unser gesamter Körper in Stein verwandeln. Aber die Evolution hat unseren Körper so geschaffen, dass das verhindert wird“, sagt Völkl. „Diese Schutzmechanismen werden bei manchen Erkrankungen allerdings geschwächt und dann können sich Kalzium-Phosphat-Partikel ablagern. Das belastet unser Herz-Kreislauf-System.“

Trotz vieler neuer Erkenntnisse, die die Wissenschaft in den vergangenen 20 Jahren über die mittlere Gefäßverkalkung gewonnen hat, weiß man über die Atherosklerose deutlich mehr. Daher auch darüber, was man gegen diese tun kann. Zierer nennt als die drei Hauptursachen für verkalkte Innenwände eine falsche Ernährung, Rauchen und zu wenig Bewegung. Umgekehrt kann man mit einer ausgewogenen Ernährung seinen Gefäßen viel Gutes tun. Ernährungsexpert* innen raten zu viel Gemüse, zu Kaltwasserfischen mit reichlich Omega-3-Fettsäuren wie Makrele und Hering, zu Nüssen, Leinsamen und Chiasamen, zu Olivenöl und Vollkornprodukten.

Mit solchen Essensroutinen plus Sport kann man der Atherosklerose häufig lange Einhalt gebieten. Mit steigendem Alter nehmen aber in der Regel auch die kleinen Entzündungsherde in den inneren Arterienwänden zu, die immer mehr Cholesterinpartikel aufnehmen – und damit die Gefäße verengen. Zwar gibt es heute verschiedene Mittel, die bei fortgeschrittener Atherosklerose verabreicht werden, um Komplikationen vorzubeugen, zum Beispiel die gute alte Acetylsalicylsäure.

Ein neues Medikament, das die Gefäßverkalkung vorbeugend ausschaltet und nicht nur mindert, wenn sie bereits da ist, würde aber wohl viele Millionen Menschenleben rund um den Globus verlängern. Professor Zierer zeigt sich optimistisch, dass dies in naher Zukunft gelingen wird. „Ich glaube, dass wir in den nächsten 50 Jahren noch ziemlich dramatische Steigerungen der Lebenserwartung haben werden“, sagt er mit Blick auf die weltweiten großen Fortschritte in der Medizin. In Linz will man einen Beitrag leisten.

Diese Amazonas- Bewohner*innen haben die gesündesten Gefäße der Welt

Amerikanische Forscher*innen haben herausgefunden, was sich die westliche Gesellschaft von einem kleinen Naturvolk abschauen könnte.

Nirgendwo haben die Menschen so gesunde Herzen wie das Naturvolk der Tsimane im Regenwald in Bolivien. Diese Erkenntnis stammt aus einer Studie von amerikanischen Forscher*innen um den Anthropologen Hillard Kaplan, Professor an der University of New Mexico. Die Blutgefäße eines 80-jährigen Mitglieds des Tsimane-Stamms seien im Durchschnitt so gesund und elastisch wie jene eines Amerikaners mit Mitte fünfzig, verkündeten Kaplan und seine Ko-Autor*innen im Fachjournal „The Lancet“ im Jahr 2017. Neben körperlicher Aktivität verdanken die Tsimane demnach ihre geschmeidigen Gefäße vor allem der Ernährung.

Die US-Forscher*innen untersuchten von Juli 2014 bis September 2015 insgesamt 705 Bewohner*innen von Tsiname-Dörfern. Bei den über 75-Jährigen hatten 65 Prozent völlig gesunde Herzkranzgefäße, unter allen Proband*innen (40 bis 94 Jahre alt) waren es sogar 85 Prozent, bei denen man kein Risiko für Herzkrankheiten feststellte.

Trotz einer hohen Entzündungslast bei vielen Tsimane hatten sie die niedrigste Quote von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die jemals in einer Menschengruppe gemessen worden ist, bilanzierten die Forscher*innen. Aus den Lebensgewohnheiten der Ureinwohner*innen ließ sich ableiten, was sie offenbar richtig machten. Sie aßen äußerst fettarm. Transfette, wie man sie in Milchprodukten und rotem Fleisch findet, kamen in ihrer Ernährung gar nicht vor. 72 Prozent ihrer Energie verdankten sie Kohlenhydraten, vor allem Reis, Mais, die Wurzelknollen der Maniok, Kochbananen und Früchte. Eine „High-Carb-Diät“ scheint für die Gefäße also durchaus gesund. Nur 14 Prozent des Essens machten Proteine aus, wobei die Tsimane mehr Fisch als Fleisch aßen.

Außerdem wies die Untersuchung nach, dass die Tsimane deutlich weniger Zeit als Menschen in westlichen Industriegesellschaften sitzend verbringen. Viel Zeit investieren sie ins Jagen, Fischen und in den Getreideanbau. Das Fazit: Atherosklerose könnte bei den meisten Menschen vermieden werden, wenn ihr LDL-Cholesterinspiegel, der Blutdruck und die Glukosewerte niedrig seien. Normales Gewicht, nicht zu rauchen und sich viel zu bewegen seien die weiteren Schlüsselfaktoren für gesunde Blutgefäße. Es seien sehr wahrscheinlich die Lebensgewohnheiten und nicht die genetischen Faktoren für die Gesundheit der Tsimane entscheidend. Ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Lebensstil des Naturvolks und dessen Fitness konnte zwar nicht zu hundert Prozent bewiesen werden.

 „Im schlimmsten Fall“, schrieb das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ im Jahr 2017, werde „die Zeit den Beweis liefern“. In den vergangenen Jahren seien die Tsimane vermehrt mit der westlichen Zivilisation in Kontakt gekommen. Neue Straßen und motorisierte Boote hätten den Zugang zu den Märkten erleichtert – „und damit auch zu Industriezuckern und industriell produzierten Ölen“, so „Der Spiegel“. Sollten Herz- und Gefäßkrankheiten bei den Tsimane innerhalb weniger Jahre zunehmen, wäre das ein tragischer Beweis für den Einfluss der Lebensgewohnheiten auf unsere Blutgefäße.