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Kapitale Digital-Irrtümer

Digitalisierung verändert die Produktion, die Logistik, die Arbeit. Aber welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf die Führung von Unternehmen? Und welche hat sie nicht? Eine Spurensuche mit vier Management-Professoren der JKU, die mit ihrer Lehre und Forschung der Universität neue Impulse geben wollen.

Von DIETMAR MASCHER

Robert Breitenecker, Matthias Fink, Elke Schüßler und Wolfgang Güttel stehend
Robert Breitenecker, Matthias Fink, Elke Schüssler und Wolfgang Güttel. Foto: Alexander Schwarzl

0101010101010101010. Die Eins und die Null symbolisieren den größten Umbruch unserer Gesellschaft und Wirtschaft seit der industriellen Revolution: die Digitalisierung. Darüber wird viel geredet – auf Symposien, in Unternehmen und Bildungseinrichtungen. Wie werden möglichst viele Daten generiert, analysiert und vor allem gewinnbringend genützt? Allen ist klar, dass die Möglichkeit, Unmengen von Daten zu verarbeiten und zu vernetzen, radikale Veränderungen nach sich zieht: in der Arbeitswelt, beim Einkaufen, in der Freizeit. Aber welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf das Management von Unternehmen? Und welchen Irrtümern drohen wir zu unterlegen?

Irrtum 1: Die Digitalisierung bricht unaufhaltsam über uns herein

Die gesellschaftlichen Auswirkungen der Digitalisierung werden quasi als unverrückbar angesehen. Das hält Matthias Fink, Professor für Innovationsmanagement an der JKU, für überzogen. Auch die Angst, dass all jene von der Digitalisierung überrollt werden, die nicht rechtzeitig auf den Zug aufspringen, und dass der europäische Wirtschaftsraum mit seinen demokratischen Gesellschaften in der Bedeutungslosigkeit versinken werde, weil in Asien Staaten autoritär eine radikale Digitalisierung verordnen und damit die Entwicklung der Demokratie generell ins Stocken gerät, bezeichnet Fink als übertrieben.

Er verweist auf den Schweizer Philosophen Peter Ulrich: „In seiner integrativen Wirtschaftsethik hat er klargestellt, dass wirtschaftliche Entscheidungen niemals alternativlos sind. Kein Entscheidungsträger kann sich darauf ausreden, dass es nicht anders ginge, weil politische, wirtschaftliche und gesellschaftlichen Entscheidungen keinen Naturgesetzen folgen. Nicht alles, was technisch und möglich oder wirtschaftlich profitabel ist, muss auch gemacht werden. Der angeblich über uns hereinbrechende Sturm der Digitalisierung ist also in Wirklichkeit ein Ergebnis menschlicher Entscheidungen“, sagt Fink.

Tatsächlich stelle sich bei genauerer Betrachtung heraus, „dass nicht die Digitalisierung uns vorantreibt, sondern vielmehr wir mit unseren Entscheidungen und unserem Verhalten die Digitalisierung vorantreiben.“ Der Professor, der nicht nur in Linz lehrt, sondern auch Gastprofessor in Cambridge ist, war davor in Lüneburg und der WU Wien. Er beschäftigt sich seit Jahren mit technologischer Transformation und kritisiert, dass der öffentliche Diskurs „der Logik einer Nachbesprechung von Einzelfällen wie Hackerangriffen oder Todesfälle mit autonomem Fahren folgt“. Es fehle die kritische Auseinandersetzung mit den Prinzipien und Mechanismen der Digitalisierung.“ Darin sehe er auch die größte Gefahr der Digitalisierung: die Gedankenlosigkeit auch etwa im Umgang mit Postings und Suchmaschinen.

Irrtum 2: Digitalisierung heißt bloß, bestehende Geschäftsmodelle in digitale zu übersetzen.

Die Musikindustrie und die Reisebranche haben schon gezeigt, wie Digitalisierung einen ganzen Wirtschaftszweig radikal verändern kann. Der Übergang von der analogen Langspielplatte zur CD dauerte zwar nur wenige Jahre, verlief aber im Zeitlupentempo im Vergleich mit der disruptiven Veränderung, die durch Download und vor allem Streaming hervorgerufen wurde. Musiker, Komponisten, Radiostationen, vor allem aber riesige Musikfirmen mussten sich plötzlich selbst in Frage stellen. Reisebüros sahen sich mit Buchungsplattformen konfrontiert, die in kürzester Zeit eine Marktmacht erlangten, der sich Hotels und Anbieter von Ferienhäusern nur schwer entziehen konnten.

Das ist freilich nur ein Vorgeschmack auf andere Veränderungen. „Digitalisierung und Big Data Analytics werden alle Lebensbereiche beeinflussen. Und das Management eines Unternehmens muss entscheiden, welche Veränderung umgesetzt werden sollen“, sagt Robert Breitenecker, Professor für Global Business Studies, Leiter des Instituts für Innovationsmanagement und wissenschaftlicher Leiter der LIMAK Business School. Der Mathematiker und Statistiker und habilitierte BWL-Professor lehrt seit dem Vorjahr an der JKU.

Durch die so genannte Konnektivität, also die kommunikationstechnische Verbindung von Mensch und Maschinen, werden neue Daten gewonnen, analysiert und können für Neues genützt werden. „Es wird neue Angebote geben, die stärker von der Interaktion mit dem Kunden beeinflusst sind“, sagt Breitenecker. Dabei würden durch die kreative Zerstörung im Sinne Schumpeters alte Geschäftsmodelle obsolet und durch neue ersetzt. „Es gibt Geschäftsmodelle, die jetzt noch gut funktionieren. Aber es muss schon jetzt danach getrachtet werden, Modelle technologisch weiterzuentwickeln oder völlig neu aufzusetzen“, sagt Breitenecker. Die Grundanforderung eines Geschäftsmodells – Wert für Kunden und Umsatz für das Unternehmen zu generieren – bleibe gleich, aber die Modelle selbst müssen neu geschaffen werden. Das ist auch die große Chance der Startups, die unbelastet von alten Kulturen und Gewohnheiten etwas Neues entwickeln können.

Wie aber verläuft der Transformationsprozess in traditionellen Unternehmen? „Bisherige Studien zeigen, dass vielfach nach dem Motto „Trial and Error“ vorgegangen wird, vielfach mit einem ausgeprägten Feedback durch die Kunden“, sagt Breitenecker. Dabei würde vor allem der „Lean-Ansatz“ gewählt. Das heißt, bestimmte Technologien, die weniger gefragt sind, werden reduziert, um sich auf die stärker nachfragten Technologien zu konzentrieren. Wichtig sei, dass in Unternehmen Freiraum geschaffen wird, um experimentieren zu können, und dass rechtzeitig damit begonnen wird, sagt Breitenecker.

Irrtum 3: Digitalisierung macht Arbeit und Organisation überflüssig

Eine der großen Ängste im Zusammenhang mit der Digitalisierung ist der Verlust Abertausender von Jobs und der Ersatz von Menschen durch Roboter. Damit setzt sich Elke Schüßler auseinander. Die Deutsche ist seit Mai 2016 Universitätsprofessorin für BWL und Vorständin des Instituts für Organisation und kam über die London School of Economics und die Freie Universität Berlin nach Linz.

Elke Schüßler redet die Entwicklung nicht schön. „In manchen Bereichen ist die Sorge sicherlich berechtigt. Aber ich halte es mit dem Industriesoziologen Hartmut Hirsch-Kreinsen, wonach menschenleere Fabriken eine Illusion sind. Vielmehr entstehen neue Jobs, die IT-lastig sind. Menschen werden mit Robotern zusammenarbeiten“, sagt sie.

Die Arbeit werde sich allerdings grundlegend verändern. Die Vorteile der Digitalisierung, wonach man unabhängig von Raum und Uhrzeit flexibler arbeiten kann, hätten auch eine andere Seite. Die Digitalisierung ermöglicht eine Flexibilisierung und Entgrenzung, die das klassische unbefristete Angestelltenverhältnis in Frage stellt. Auf digitalen Plattformen wie Amazons Mechanical Turk oder Jovoto würden Formen der „Gig Economy“ entstehen. Setzt sich das durch, wäre dies das Ende regulierter Arbeitsmärkte und betrieblicher Organisation.

Was die betriebliche Organisation betrifft, haben Elke Schüßler und ihr Kollege, der Hamburger Soziologe Stefan Kirchner, freilich in einer aktuellen Studie nachgewiesen, dass ausgerechnet Unternehmen mit hochgradiger Digitalisierung wie Uber oder Airbnb hochgradig organisiert sind. „Diese Unternehmen nutzen digitale Infrastruktur und Algorithmen, um wesentliche Organisationsinstrumente wie Mitgliederentscheidun- gen, Kontrolle und Sanktionen sowie eine soziale Ordnung zu installieren. Allerdings seien Organisationen von Plattformunternehmen darauf ausgerichtet, den Profit zu maximieren und die Mitbestimmung der Beschäftigten zu minimieren.

Letztlich laufe es darauf hinaus, dass auch in diesen Organisationsformen Menschen Entscheidungen über Organisation und Management treffen. „Digitalisierung ist also nicht nur etwas für die IT-Abteilung, sondern betrifft alle Beschäftigten und das Management“, sagt Schüßler.

Irrtum 4: Digitalisierung braucht keine Änderung der Unternehmenskultur

Digitalisierung oder Industrie 4.0 sind Modethemen geworden. In vielen Firmen überwiegt die Auffassung, dass zustimmende Worte zu diesem Thema ausreichen würden, Wettbewerbsfähigkeit und Offenheit zu signalisieren. Damit hat es sich aber auch schon wieder.

Wer sich grundlegend mit dem Thema auseinandersetzt, weiß, dass man in Unternehmen auch die Abläufe, die Einstellungen und die Kultur ändern muss, um tatsächliche Veränderungen zu erreichen. Der Zugang zu diesen Veränderungen ist aber durchaus umstritten.

Besondere Vorsicht sei geboten, wenn sich in etablierten Unternehmen die Überzeugung durchsetze, es müsse sich nun eine neue kollektive Startup-Kultur im Betrieb entwickeln, um die Digitalisierung zu leben, sagt Wolfgang Güttel, Vorstand des Instituts für Human Resource and Change Management an der JKU, der von 2011 bis 2015 auch wissenschaftlicher Leiter der LIMAK war. „Eine Startup-Kultur lebt von Spontaneität und Improvisation. Das ist notwendig, um neue Geschäftsmodelle in dynamischen Märkten zu etablieren. Aber stellen Sie sich vor, in einem größeren Betrieb mit 500 oder gar 5000 Leuten beginnen alle, ihre Spontaneität auszuleben oder in der Buchhaltung zu improvisieren. Dann fehlt nicht mehr viel, um vom Markt zu verschwinden“, sagt Güttel.

Umgekehrt reagieren alle, die so weitermachen wie bisher, das Schicksal mit jenen zu teilen, die nicht in der Lage waren und sind, mit Unsicherheit, Veränderungen und Neuerungen umzugehen. Als Beispiel nennt Güttel Firmen wie die Handy-Sparte von Nokia oder Kodak.

Güttel bemüht den Begriff der „Ambidexterity“, also der Beidhändigkeit. Etablierte Unternehmen müssten demnach gleichzeitig bestehende Kernkompetenzen nutzen und verfeinern und substanziell neu entwickelt werden. Wie diese Entwicklung zur Eier legenden Wollmilchsau vor sich gehen kann, würden auch österreichische Unternehmen bemerkenswert vorleben. „voestalpine, Doka oder Parlfinger haben über Spin-Offs, Projekte und Allianzen begonnen, den Raum für eine neue Unternehmenskultur im digitalen Zeitalter zu schaffen“, sagt Güttel. Am besten in einem eigenen Bereich des Unternehmens mit einem eigenen Team. Dieses separierte Team könne sich dann durchaus als Startup gebärden und die Flexibilität des Unwägbaren nützen.

Wie ein solcher Prozess funktionieren kann, habe Mercedes eindrucksvoll vorgemacht. Als die deutschen Luxusautobauer intern eine Konzeptstudie für einen geschrumpften Mercedes entwickelten, wurde diese rasch wieder verworfen. Das Auto sah tatsächlich unverkäuflich aus. Anschließend tat sich Mercedes mit dem Uhrenhersteller Swatch zusammen. Das neue Unternehmen entwickelte mit großer Freiheit ein revolutionär neues Fahrzeug mit ebensolchen Produktionsmethoden. „Die Entwicklung des Smart wäre in der alten Kultur so nicht möglich gewesen“, sagt Güttel.