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Schleim und Empörung

Angelika Kessler
(c) Angelika Kessler

Es gehört zu den Grundfertigkeiten des postheroischen Politikers, der postheroischen Politikerin in Österreich, möglichst nichts Bemerkenswertes zu sagen, nichts, was in Erinnerung bleiben und später einmal gegen einen verwendet werden könnt e. Also man soll sich nur ja nicht bei einer pointierten Formulierung oder gar bei der Wahrheit ertappen lassen. So lebt’s sich legislaturperiodenlang ruhig und angenehm.

Einen gewaltigen Lapsus in Sachen Wahrheits- und Pointenvermeidung hat sich im Frühjahr dieses Jahres Werner Kogler, Österreichs Vizekanzler, geleistet. In der „Zeit im Bild“ hat Kogler am 7. März am Beginn des Ukraine-Krieges die (vorige) Bundesregierung und die Wirtschaftskammer scharf kritisiert – man habe, so Kogler, Putin einen roten Teppich ausgerollt, einen „roten Teppich mit Schleimspur“.

Mein Gott: Mit dem Kogler ist es durchgegangen! Das ist ja – unverzeihlich – glänzend formuliert, und der Mann hat (noch schlimmer) sogar recht. Über Jahre hat man Putin in Österreich den roten Teppich ausgerollt und auf dem Teppich sind die Schleimspuren noch sichtbar – peinliche Flecken, Spuren der Anbiederung.

Die grausliche Schleimspur ist eine unheimliche Erinnerungsspur. Es braucht keine sonderliche Archivrecherche: Österreichs Politik hat Wladimir Putin über Jahre hofiert, mit und ohne Ohrring-Geschenke, man hat rinks wie lechts den Autokraten über Jahrzehnte gewähren lassen – bei der Abschaffung der Pressefreiheit, bei der Annexion der Krim, bei der Bezeichnung der Ukraine als verfehlten Staat usw. usf. Man hat die Abhängigkeit von russischem Gas und Öl ausgebaut und damit Putin und die Seinen zum Krieg, dem schlimmsten Verbrechen, nachgerade animiert. Der Putinismus, der im Krieg mündete, ist das Ungeheuer, das die österreichische Politik miterzeugt hat.

In einem kleinen, auch heute noch lesenswerten Aufsatz („Über das Unheimliche“) hat Sigmund Freud vor mehr als hundert Jahren auf die eigentümliche Qualität des Unheimlichen hingewiesen. Das Un-Heimliche ist das Gegenteil des Heimeligen und des Heimlichen im Wortsinn: Das, was möglichst heimlich bleiben sollte, kehrt plötzlich wieder, wird un-heimlich. Wird die Aufhebung des Heimlichen öffentlich, erzeugt sie Scham.

Die Reaktion auf die Wiederkehr des Verdrängten? Sie ist eine doppelt empörte: Man ist zunächst empört über den Boten Kogler, der die Sache in Erinnerung gerufen hat und der mit seinem glänzenden Bild vom Teppich und den Spuren darauf gegen den Konsens der Nullrhetorik (siehe oben) verstoßen hat. Die zweite Reaktion ist ebenfalls Empörung, eine ebenso lautstarke wie scheinhafte Empörung, die von Scham und Schuld entlasten soll. Man empört sich nun, da alles zu spät ist, über „den Krieg und seinen Schrecken“, um die Schleimspuren zu verwischen und die Scham zu kompensieren. Bundeskanzler Nehammer reist in einer sinnlosen Desperadoaktion nach Moskau, um sich ein moralisches Fleißzetterl abzuholen, und man hält sich an Künstlerinnen und Sportler. Man fordert in offenen Briefen „vehement“ „öffentliche Stellungnahmen“ ein, stimmen die Aufgeforderten nicht sogleich ein, kritisieren die Haltungslosen deren mangelnde „Haltung“ (und entlassen sie kurzerhand). So verwischt man preisgünstig die Schleimspuren.

Aber eben auch nicht ganz: Dass Kogl er darauf aufmerksam gemacht und das Verdrängte pointiert zu Bewusstsein gebracht hat, ist im politischen Juste Milieu Österreichs ein Skandal. Wir sind ihm dankbar dafür!