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Schularbeit
 

Als Reaktion auf den Lehrer*innenmangel werden auch Lehramtsstudierende in die Klassenzimmer geholt. Für viele ist das eine wertvolle Ergänzung zum Studium, aber nicht für alle. Unter welchen Bedingungen die Erfahrung gelingt, hat der Bildungsforscher Christoph Helm untersucht.

Von Veronika Dolna

Papier
© 2016 The_Pixel/Shutterstock

Manchmal müssen sie als schnelle Lückenfüller herhalten: Als vergangenen März die Infektionszahlen wieder einmal besonders hoch waren und etliche Lehrer*innen und Lehrer wegen Krankheit oder Quarantäne ausfielen, verwies das Ministerium auf einen Pool aus 1.200 Lehramtsstudierenden, die bei Bedarf auch kurzfristig einspringen können.

Immer öfter werden sie auch dauerhaft eingesetzt: In manchen Regionen und in manchen Unterrichtsfächern herrscht nicht nur kurzfristig Lehrer*innenmangel, sondern konstant. Und so stehen in Österreich auch Lehramtsstudierende, die vor kurzem selbst noch Schüler*innen waren, schon vor einer Klasse und müssen unterrichten.

Studierende im Schuldienst sind kein neues Phänomen. Dass sie einen Sondervertrag bekommen und unterrichten, sei schon immer möglich gewesen, heißt es im Bildungsministerium. Doch die Pensionierungswelle und die Pandemie haben das Thema akut werden lassen „Seit 2021 ist das Problem in Österreich stark sichtbar“, sagt Christoph Helm. Der Bildungswissenschafter ist Leiter der School of Education an der JKU Linz und steht dort der Abteilung für Bildungsforschung vor. Er hat nun erstmals untersucht, wie sich die Lehrtätigkeit während des Studiums auf die Studierenden auswirkt. Die Auswertung der 350 Fragebögen ist keine repräsentative Studie. Sie gibt aber erstmals Einblick, wie es Lehramtsstudierenden, die bereits unterrichten, eigentlich geht.

Zwischen Überforderung und Erfüllung
Die Ergebnisse sind vielschichtig: Einerseits fühlen sich Studierende, die unterrichten, in hohem Maße überfordert. Das kann im schlimmsten Fall zum Studienabbruch führen – und damit den Lehrermangel, dem der frühzeitige Unterricht entgegenwirken soll, langfristig noch verstärken. Andererseits empfinden schon Bachelorstudierende das Unterrichten häufig als erfüllende, selbstwirksame Tätigkeit. Das hebt die Motivation und die langfristige Freude am Beruf. Welches Gefühl von beiden überwiegt, liegt nicht zuletzt daran, unter welchen Bedingungen der Schuldienst stattfindet.

Im aktuellen Wintersemester 2022/2023 unterrichten österreichweit 1.466 Studierende mit Sonderverträgen in Schulen. Etwa eineinhalb Prozent der Lehrer*innen und Lehrer in Österreich sind also selbst noch nicht mit dem Studium fertig. Erst nach dem Bachelor-Abschluss soll auch unterrichtet werden, gibt das Bildungsministerium als Ziel vor. Das bleibt aber ein theoretisches. In der Praxis sind Bildungsdirektionen in ganz Österreich nämlich dazu übergegangen, bereits Studierende ab dem dritten oder vierten Semester anzustellen.

Studierende unterrichten oft nicht ihre Fächer
Weder der Studienfortschritt noch das Ausmaß der Unterrichtstätigkeit, die Schulstufe oder die Fächer, in denen sie eingesetzt werden, sind seitens des Bundes geregelt. Das Bildungsministerium macht nur eine Vorgabe: „Die Lehramtsstudierenden sind nicht fachfremd einzusetzen, sondern gemäß ihrer besuchten Studien.“ Doch nicht einmal diese Vorgabe wird eingehalten, wie die Untersuchung von Christoph Helm zeigt: 60 Prozent der Studierenden im Schuldienst werden in Fächern eingesetzt, die sie selbst nie studiert haben.

Das kann dazu führen, dass eine angehende Englischlehrerin eine Klasse in Digitaler Grundbildung unterrichten muss, oder ein Geografielehrer in Ausbildung Sportunterricht abhält. Eine Befragte berichtete davon, dass sie an einer Schule mehrere unterschiedliche Fächer unterrichten sollte. Den Stoff musste sie sich selbst aneignen. Ihren Schülern gegenüber habe sie einen Wissensvorsprung von zwei Wochen, gab sie zu Protokoll. Kein Wunder also, dass besonders viele Befragte angaben: „Ich muss als Lehrkraft Aufgaben bearbeiten, auf die ich viel zu wenig vorbereitet wurde.“ Der fachfremde Unterricht ist für die meisten Studierenden ein großer Stressfaktor. „Die Gefahr ist, dass sie Misserfolge erleben“, sagt Christoph Helm: „Wer sich überfordert fühlt, zieht schnell den Schluss, dass der Beruf eben nichts für ihn oder sie ist.“

Als anspruchsvoll erleben die Junglehrer*innen, die selbst noch in Ausbildung sind, auch den Umgang mit schwierigen Schüler*innen und Schülern. Das hängt nicht selten mit den Schulen zusammen, an denen sie eingesetzt werden: Am häufigsten unterrichten Studierende im Pflichtschulbereich, oft in der Mittelschule. Besonders Schulen, die als schwierig gelten, hätten oft Probleme damit, Personal zu finden, und greifen daher vermehrt auf Lehramtsstudierende zurück, sagt Christoph Helm. „Dabei bräuchten gerade die Schüler*innen  aus sozial schwächeren Familien die besten Lehrer*innen. Wenn dort verstärkt Studierende zum Einsatz kommen, geht die Schere weiter auf.“

Die kurzfristige Lösung könnte das Problem, das sie beheben sollte, langfristig sogar verschärfen. Wenn nämlich die Drop-Out-Quote erhöht wird, weil Anforderungen an die Studierenden gestellt werden, die sie gar nicht erfüllen können. So haben die Lehramtsstudierenden in niedrigeren Semestern etwa die Grundlagen von Leistungsbeurteilung oder Schulrecht noch gar nicht kennengelernt. Sie haben weder gelernt, wie man einen Unterricht plant, noch, wie man Leistungen benotet, Fehler erkennt und adäquat darauf reagiert: „Wenn das fehlt, leidet die Unterrichtsqualität – und alle Beteiligten“, sagt Christoph Helm. „Man kann von Menschen, die vor kurzem selbst erst maturiert haben, nicht erwarten, dass sie das können.“

Gute Begleitung motiviert für die Lehrtätigkeit
Trotzdem entscheiden sich viele Studierende bewusst dafür, schon während des Studiums zu unterrichten. Oft gibt ein Pflichtpraktikum den Ausschlag, nachdem der Direktor oder die Direktorin die Junglehrer*innen zum Bleiben motiviert. Auch die Bildungsdirektionen gehen aktiv auf Studierende zu.

Das Unterrichten bietet ein konstantes Einkommen während des Studiums. Und es kann das Studium sogar verkürzen: Wer unterrichtet, sammelt nämlich ECTS und spart sich unter Umständen die Schulpraxis, die verpflichtend zum Studium gehört – allerdings ohne systematische Begleitung.

Dabei ist es gerade diese, die das Unterrichten zu einem positiven Erlebnis machen kann. „Der Schuldienst kann eine gute Ergänzung zum Studium sein“, sagt Christoph Helm, „aber nur, wenn man nicht alleingelassen wird, sondern unterstützt, angeleitet und von positiven Vorbildern begleitet wird.“ In etlichen Fällen – auch das zeigt die Befragung – funktioniert das sehr gut. So ist das wichtigste Motiv für eine Lehrtätigkeit vor dem Studienabschluss die Freude am Unterrichten. 90 Prozent der unterrichtenden Studierenden würden ihren Job weiterempfehlen.

Das eigene Studium leidet
Die Grundvoraussetzung dafür, dass der Schuldienst als positiv erlebt wird, ist freilich, dass man die fachlichen und überfachlichen Kompetenzen mitbringt. Darüber hinaus kann ein Unterstützungsnetz dabei helfen, in Herausforderungen reinzuwachsen: Erfahrene Lehrer*innen im Kolleg*innenkreis, die beim Vorbereiten helfen oder ein offenes Ohr haben. Unterstützung durch Schulpsycholog*innen, Sozialarbeiter*innen, oder administrative Fachkräfte. Wenn eine Schule derartige Ressourcen bereitstellen kann, erhöht das die Motivation und das Wohlbefinden: „Wenn systematisch unterstützt wird, werden die jungen Lehrer*innen deutlich gestärkt“, sagt Christoph Helm.

 Lösen lässt sich auch eine weitere Schwierigkeit, von der viele Befragte berichten, wenn die Systeme besser miteinander kommunizieren: So berichten viele Lehramtsstudierende, dass mit der Schulpraxis auch der Fokus weg vom Studium und hin in die Klasse wandert. 42 Prozent geben an, dass sie das Studium vernachlässigen. Es ist offiziell kein berufsbegleitendes, nicht selten spießen sich die Stundenpläne an der Uni oder den Pädagogischen Hochschulen mit den Lehrverpflichtungen in der Schule.

„Es braucht eine bessere organisatorische Abstimmung zwischen Schulen und Hochschulen, damit unterrichten und studieren gleichzeitig möglich ist“, sagt Christoph Helm. Dazu zählt die Rücksichtnahme bei der Erstellung des Stundenplans in den Schulen ebenso wie vermehrtes Angebot zum Abend-, Wochenend-  oder Fernstudium an den Hochschulen.

Die große Nachfrage nach Nachwuchspersonal könnte auch einiges an Regulierung gebrauchen, damit sie nachhaltiger ist: Eine einheitliche Regel etwa, wie viel begleitete Schulpraxis durch den Schuldienst ersetzt werden kann. Eine systematische Beratung und Betreuung von jungen Lehrer*innen im Schuldienst. Oder eine Untergrenze über den Studienfortschritt. Die Rektor*innen der Pädagogischen Hochschulen sprechen sich etwa dafür aus, dass Studierende frühestens nach vier Semestern angestellt werden dürfen – und zwar gerade in Zeiten des Lehrer*innenmangels. Denn wenn Lehramtsstudierende zu früh überfordert sind, kommen sie dem Schulsystem am Ende abhanden, bevor sie überhaupt richtig angefangen haben.