Stellen Sie sich vor, Sie treffen sich bei einem Lokalaugenschein während einer Gerichtsverhandlung nicht mehr auf der grünen Wiese des Bauvorhabens oder am Tatort des Verbrechens, sondern an einem virtuellen Ort. Bei "The Virtual Court", ein Ars Electronica Projekt des LIT Law Labs, werden Lokalaugenschein und Gerichtsverhandlung virtuell. Festival-Besucher*innen werden so selbst zu Teilnehmer*innen der Verhandlung und können aktiv darauf Einfluss nehmen. Unser Urteilsspruch? Ziemlich coole Sache!
Bitte beschreiben Sie kurz Ihr Projekt!
Ricarda Aschauer: In „The Virtual Court. Reality.“ zeigen wir eine Zukunftsvision: Wie sieht das gerichtliche oder behördliche Verfahren der Zukunft aus? Wie nimmt man daran teil? Das Konzept ist einfach: Die Besucher*innen setzen eine VR-Brille auf und befinden sich unmittelbar vor Gericht – nur eben im virtuellen Raum. Das Erlebnis ist umso packender: Die Besucher*innen tauchen selbst in eine virtuelle Gerichtsverhandlung ein, bei der es um die Genehmigung einer sogenannten Betriebsanlage, konkret eines Clubs, geht. Als Parteien wirken sie unmittelbar an dem Verfahren mit. VR-Technologie bietet dabei noch nie dagewesene Vorteile sowohl für die einzelnen Parteien als auch für den Rechtsstaat: Beim virtuellen Lokalaugenschein werden geplante Bauten im Hier und Jetzt bereits als vollständige Gebäude simuliert, ebenso wie deren Konsequenzen.
Woher kamen die Idee bzw. der Anreiz?
Ricarda Aschauer: Die Forschung des LIT Law Lab zeigt vor allem auch eines: Neue Technologien sind nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Chance für das Recht und den Rechtsstaat. Deshalb wollen wir auch Technologien wie die VR-Technologie in einem ganz neuen Licht betrachten. Was vor allem in der Gaming-Szene seinen Ursprung hatte, kann auch für den Rechtsstaat ungeahnte Möglichkeiten eröffnen. Die im Zusammenhang mit Virtual Reality stehenden Mehrwerte beschränken sich nicht nur auf die Ortsunabhängigkeit – deren Bedeutung durch die COVID-19-Pandemie gesteigert wurde –, sondern erstrecken sich aufgrund des interaktiven Charakters auf eine Vielzahl von Bereichen. Eingesetzt von Gerichten und Behörden können Projektpläne völlig neu präsentiert werden und sind mit allen Sinnen erlebbar, Tatorte können dreidimensional sowie aus verschiedenen Blickwinkeln rekonstruiert und immersiv erlebbar gemacht werden und Zeug*innenaussagen könnten durch flankierende Simulationen mit VR u.a. auf ihre Schlüssigkeit und damit Glaubwürdigkeit geprüft werden.
Aus welchen Persönlichkeiten setzt sich Ihr Projektteam zusammen?
Ricarda Aschauer: Michael Mayrhofer ist Universitätsprofessor für Öffentliches Recht und Dekan der rechtswissenschaftlichen Fakultät der JKU. Er hat einen Forschungsschwerpunkt im Technologierecht und forscht in mehreren interdisziplinären Projekten zur digitalen Transformation. Als Leiter des LIT Law Lab und als Projektleiter von The Virtual Court. Reality. ist es ihm ein Anliegen, die Plattform des Ars Electronica Festivals zu nutzen, um die komplexe rechtswissenschaftliche Forschung und deren aktuelle und zukünftige Herausforderungen auch für Nicht-Juristen*innen auf verständliche und spannende Weise zugänglich zu machen.
Als stellvertretende Projektleiterin bin ich die Schnittstelle zwischen Projektleitung, (Vize-)Rektorat, Kooperationspartnern und extern beauftragten Film- und VR-Unternehmen. Beim Projekt sind meine juristische Kenntnisse bei der inhaltlichen Ausarbeitung des Installationsdrehbuchs sowie meine zielorientierte Problemlösungskompetenz im Hinblick auf die Umsetzung eines – für das LIT Law Lab – erstmaligen VR-Projekts von großen Nutzen.
Unser LIT Law Lab Manager Rudolf George Albu ist selbst Absolvent der Johannes Kepler Universität. Nicht zuletzt aufgrund seines sozialwissenschaftlichen Backgrounds fördert er leidenschaftlich die Akzeptanz der universitären Forschung im gesellschaftlichen Diskurs. Rudi bereichert das Projekt The Virtual Court. Reality. nicht nur durch seine organisatorischen Fähigkeiten, sondern auch durch seine kreativen und technischen Inputs.
Was bedeutet „A New Digital Deal“ für ihr Projekt bzw. was wünschen Sie sich für den „New Digital Deal“?
Ricarda Aschauer: „A New Digital Deal“ muss auf einem weiter entwickelten rechtlichen Fundament aufbauen, um die Bürger*innen vor den negativen Auswirkungen der Digitalisierung schützen zu können, um Akzeptanz in neue Technologien und deren Anwendungen zu schaffen. Wir brauchen die technische Expertise einerseits, um die mannigfaltigen Weiterentwicklungspotentiale unserer Gesellschaft identifizieren und begreifen zu können. Andererseits brauchen wir das rechtliche Know-how, Regelwerke zu schaffen und anzuwenden, welche ausreichenden Schutz und gleichzeitig Innovationsunterstützung bieten. Doch letzteres ist seit jeher eine Gratwanderung: Wann ist Vorsicht angemessen und wann werden Schutzmaßnahmen zu einem unnötigen Fortschrittshindernis? „A New Digital Deal“ muss so flexibel sein, diese Abwägungen jederzeit – am besten täglich – neu zuzulassen.
Auf was dürfen sich Besucher*innen am meisten freuen, wenn sie zu Ihrem Projekt kommen?
Ricarda Aschauer: Das Highlight unseres Projekts ist, dass Besucher*innen daran selbst in Virtual Reality teilnehmen. Unsere futuristische Gerichtsverhandlung ist keine 3D-Präsentation, sondern erlaubt es zwei Personen gleichzeitig als Parteien in einem Gerichtsverfahren aktiv aufzutreten. Dadurch können sie den Ablauf des Geschehens beeinflussen. Welche Partei schafft es, seine Rechtsposition im Gerichtssaal am besten zu präsentieren? Wer entdeckt beim virtuellen Lokalaugenschein die meisten faktischen Anhaltspunkte und hat dadurch fundiertere Argumente? Sie tauchen in eine virtuelle Welt ein, um vor Gericht die Genehmigung einer Betriebsanlage zu erörtern und erfahren dabei hautnah, welche Mehrwerte Virtual Reality für den Rechtsstaat bietet. Aktentaschen weg und VR-Brillen auf!
Was war die größte Herausforderung bei der Umsetzung des Projekts? Was die größte Überraschung?
Ricarda Aschauer: Die größte Herausforderung in The Virtual Court. Reality. ist gleichzeitig unser größtes Highlight: Die Verschmelzung von rechtswissenschaftlicher Forschung und VR-Technologie zur Gerichtsbarkeit der Zukunft Die Entwicklung einer Virtual Reality ist auch für das LIT Law Lab eine Premiere. Dennoch haben wir das ambitionierte Ziel, eine Multiplayer-Installation umzusetzen, erreichen können. Dabei war es vor allem aufreibend, eine möglichst verständliche und komprimierte Situation vor Gericht zu schaffen, welche gleichzeitig einem „echten“ Verfahren möglichst nahekommt. Positiv überraschend für uns waren die durchwegs zustimmenden und erwartungsfreudigen Rückmeldungen der Rechtspraktiker*innen zum tatsächlichen Einsatz von VR.
Erfahren Sie hier mehr über die JKU Projekte beim Ars Electronica Festival 2021