Die JKU Sozialwissenschaftlerin Mag.a Dr.in Ursula Rami ist seit Anfang Oktober Senatsvorsitzende der JKU. Im Interview mit der Universitätskommunikation stellt sie sich und ihre Pläne vor.
Sie sind die erste weibliche Senatsvorsitzende der JKU. Was bedeutet das für die Frauen an der JKU?
Es ist schön, ein Teil der Geschichte der JKU zu sein und selbst Geschichte zu schreiben: als erste Frau in dieser Funktion. Ich hoffe, dass es ein Zeichen dafür ist, dass in Zukunft weitere Frauen diese Funktion und auch andere Führungspositionen an der JKU einnehmen werden.
Sie sprechen es an: Leider gibt es immer noch zu wenig Frauen in Führungspositionen und Frauen in der Wissenschaft. Wie kann das aus Ihrer Sicht langfristig geändert werden?
Dieses Thema ist sehr komplex und vielschichtig. Es gilt, viele Facetten zu beachten: Zum Beispiel vorherrschende Geschlechterstereotype und die Sozialisation, durch die Frauen unter anderem nicht mit Führungsstärke assoziiert werden, die Herausforderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, aber auch die mangelnde Sichtbarkeit von weiblichen Vorbildern. Ich habe mich zwar lange dagegen gewehrt, aber mittlerweile bin ich der Meinung, dass eine verpflichtende Frauenquote durchaus sinnvoll ist. Denn ohne eine Quote gibt es keine oder nur wenig Veränderung in Führungspositionen, das lehrt uns die Forschung schon länger. Zusätzlich brauchen wir Bewusstseinsbildung und müssen gemeinsam traditionelle Geschlechterrollen aufbrechen. Ich bin selbst in einer Werkstatt aufgewachsen und habe von klein auf meinen Dreiradler zerlegt – das war normal für mich. Das sollte es für alle Mädchen sein, die Spaß daran haben. Da müssen wir hinkommen, aber das ist ein langfristiger Prozess.
Der Senat ist neben dem Rektorat und dem Universitätsrat oberstes Leitungsorgan der Universität. Die Mitglieder setzen sich aus allen Gruppen der Universitätsangehörigen zusammen. Wie möchten Sie Ihren Vorsitz gestalten? Was ist Ihnen wichtig?
Einerseits aufzuzeigen, dass gewisse Rollen und Funktionen nicht nur Männer einnehmen müssen, sondern eine Frau es genauso gut kann. Andererseits ist es mir wichtig, die Bedeutsamkeit des Senats zu stärken. Es sollte allen Universitätsangehörigen klar sein, dass der Senat gemeinsam mit Unirat und Rektorat ein wichtiges Führungsgremium ist. In der Zusammenarbeit sehe ich immer das Gemeinsame, dabei muss man nicht zwangsläufig der gleichen Meinung sein. Mir ist auch wichtig, dass es viel Raum für Diskussionen gibt – schließlich geht es um die Zukunft der JKU. Ich möchte eine offene und kritisch-reflektive Kommunikationskultur fördern. Mir geht es nicht nur darum Dinge abzuarbeiten, sondern auch um einen konstruktiven Diskurs zum Wohle unserer Universität.
Sie sind Sozialwissenschaftlerin. Wie ist Ihr Blick auf unsere von Transformationen und Veränderungen geprägte Zeit?
Wandel hat es immer schon gegeben. Aber jetzt ist das komplexer, rasanter und insgesamt dynamischer geworden. Das bringt natürlich Unsicherheit mit sich. Die Frage ist also: Wie gehen wir mit Komplexität und Unsicherheit um, die durch Transformation entstehen? Dabei ist aus meiner Sicht ganz wichtig, dass man interdisziplinär arbeitet. Einfach gesagt geht es nicht nur darum, was man programmieren kann, sondern auch darum, wie etwas von einer Gesellschaft angenommen wird. Neue Technologien und Innovationen sollten daher aus der technischen und aus der sozialwissenschaftlichen Perspektive gesehen werden.
An der JKU gibt es dafür viele Möglichkeiten, oder?
Ja, auf jeden Fall, dank unserer vier Fakultäten, den Schools und dem breiten Studienangebot. Aber natürlich ist interdisziplinär arbeiten nicht immer einfach. Jede Disziplin hat eine eigene Kultur. Und diese Wissenschaftskulturen miteinander arbeiten zu lassen, bringt auch Herausforderungen. Aber an der JKU und insgesamt wird das immer wichtiger.
Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung unter anderem mit Fehlerkultur. Wie kann ein positiver Umgang mit Fehlern – auch in Organisationen – gelingen?
Das ist eine komplexe Frage. Für alle, die sich näher damit beschäftigen wollen, empfehle ich mein Buch „Vom Fehler zum Fortschritt“. Generell hat auch das wieder viel mit unserer Sozialisation zu tun. Das beginnt bereits als Kind, wenn im Schulheft Fehler rot markiert werden. Es braucht aber unbedingt einen positiven Umgang mit Fehlern. Wir müssen versuchen, Fehler als Ressourcen zu sehen, aus denen wir lernen können, nicht als Scheitern, vor dem wir uns fürchten sollten. Vielmehr müssen wir schauen, wie wir mit einem Fehler umgehen, damit er nicht mehr passiert. Aber es geht nicht darum, Fehler zu romantisieren. Denn Fehler sind immer noch etwas, das wir vermeiden wollen. Aber wir können sie annehmen und von einer Null-Fehler-Kultur wegkommen. Fehler passieren, wo Menschen arbeiten. In Unternehmen, an der Universität und auch gesamtgesellschaftlich braucht es eine gesunde Fehler- und Feedbackkultur. Also reden wir offen darüber!
Sie haben im zweiten Bildungsweg Sozialwirtschaft studiert. Warum?
Ich bin quasi in einer Werkstatt aufgewachsen. Meine Eltern hatten ein Autohaus. Das wollte ich eigentlich übernehmen, aber mein Bruder war dafür vorgesehen. Der wiederum wollte nicht und ist Lehrer geworden. Es ist aber niemand auf die Idee gekommen, dass eine Frau ein Autohaus übernehmen kann. Mein Vater hat es dann verkauft. Daher habe ich zunächst im Büromanagement im Schuh- und Textilbereich zu arbeiten begonnen. Dann wollte ich BWL und Controlling studieren. Ich habe mit 27 an der JKU mit BWL begonnen, aber dann schnell gemerkt, dass das doch nicht das Richtige für mich ist. Sozialwirtschaft war damals – mehr als jetzt – ein Studium für Generalist*innen, was mir zugute gekommen ist. Ich habe mich sehr für Inhalte aus der Soziologie interessiert. Und dadurch bin ich dann letztlich Soziologin geworden.
Sie haben Studienaufenthalte in Südafrika und Uganda absolviert. Wie war diese Zeit? Lohnt sich ein Auslandsaufenthalt während des Studiums?
Unbedingt! Alle Studierenden sollten aus meiner Sicht den Schritt ins Ausland wagen. Ich war bereits 31 und bin dann weg von daheim, weg von allem, was ich kannte, raus aus meiner Blase. Bitte liebe Studierende, geht’s raus! Man kann das nie wieder so machen, wie während dem Studium. Es bringt aus meiner Sicht sehr viel für die persönliche Entwicklung, vor allem für das interkulturelle Verstehen. Je weiter man sich von der eigenen Bubble entfernt, desto größer kann die Lernerfahrung sein, aber dafür muss man sich auch öffnen, d.h. sich selbst, die eigene Sozialisation und die eigenen Werte reflektieren. Ich war zum Beispiel immer pünktlich bei Meetings in Uganda, aber die Uhr tickt anders dort, andere Werte sind wichtiger als Pünktlichkeit. Das musste ich dann erst lernen. Das waren unglaublich spannende Erlebnisse, die ich nicht missen möchte. Es gibt auch Studien, die zeigen, dass Studierende mit Auslandserfahrung später mehr Chancen im Berufsleben haben. Und ich bin dankbar, dass die Universität so etwas ermöglicht.
Warum sollen junge Menschen an der JKU studieren?
Nicht nur junge Menschen sollen an der JKU studieren, sondern alle Menschen, auch Ältere – zum Beispiel im zweiten Bildungsweg. Bei uns sind alle willkommen! Wir haben klassische Studienfächer, aber wir haben aber auch aktuelle, innovative Studienrichtungen, wie z.B. „Artificial Intelligence“, „Digital Society“ oder jetzt ganz neu „Art x Science“. Wir entwickeln an der JKU stetig neue Ideen in Forschung und Lehre, die den gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung tragen. Und wir haben einen schönen, grünen und kompakten Campus, und die Studierenden sind bei uns keine Nummer, denn in manchen Studiengängen ist es fast familiär.
Sie sind nun bis Ende September 2025 Senatsvorsitzende der JKU. Wie muss die JKU am Ende Ihrer Funktionsperiode aussehen, damit Sie sagen: Ja, das hat sich gelohnt?
Ich würde mich freuen, wenn der Senat langfristige Überlegungen anstellt – auch über die eigene Funktionsperiode hinaus. Denn neben der alltäglichen Arbeit wie Berufungsverfahren und Curriculaentwicklung beschäftigen wir uns auch mit aktuellen Themen wie Digitalisierung, insbesondere mit KI und ihren Herausforderungen für Forschung und Lehre, sowie Nachhaltigkeit, um als Universität ebenfalls einen Beitrag zu Klima- und Umweltschutz zu leisten. Meine Herzensthemen sind Chancengleichheit und sichere, attraktive Karrierewege, da brauchen wir langfristige und nachhaltige Lösungen zum Wohl aller Universitätsangehörigen.
Egal ob ein Lieblingsort oder ein kulinarischer Tipp – was ist Ihr JKU Highlight?
An der JKU gibt es viele Highlights. Wir haben einen sehr schönen modernen Campus. Neben den vielen attraktiven Neubauten gefallen mir immer noch der Schlosspark und der Uniteich besonders gut.