Österreichweite, repräsentative Elternumfrage zur Situation „Schule im 3. Lockdown“

Zentrale Erkenntnisse zur Situation von Eltern und Schüler*innen während des 3. Lockdowns im Jänner und Februar 2021 liefert eine Studie der Johannes Kepler Universität Linz in Zusammenarbeit mit dem Landeselternverband Niederösterreich. Die für Österreich repräsentative Elternbefragung zeigt, mit welchen Herausforderungen die Betroffenen in der Zeit des Fernunterrichts konfrontiert waren.

Professor Christoph Helm
Professor Christoph Helm

Dass bei vielen Eltern und Schüler*innen während des Lockdowns angesichts Homeschooling, Doppelbelastung und permanenter Planungsunsicherheit die Nerven blank lagen, ist hinlänglich bekannt. Nun legt die Abteilung für Bildungsforschung der School of Education der JKU Linz erstmals eine detaillierte Analyse aus Sicht der Betroffenen vor. 

In der repräsentativen österreichweiten Elternumfrage wurden deren Einschätzungen zu den Themen Betreuungssituation, Belastung, (Lern-)Aktivitäten der Kinder, Lernerfolg und -motivation, Selbstständigkeit der Kinder im Fernunterricht, Qualitätsaspekte des Fernunterrichts, Herausforderungen aus Sicht der Eltern und Zufriedenheit mit der Corona-Bildungspolitik (u.a. Einstellung zur Leistungsbeurteilung und zu Fördermaßnahmen) erhoben. Befragt wurden Eltern (n= 3.450) von schulpflichtigen Kindern im Alter von sechs bis zwanzig Jahren.
„Hierbei war uns wichtig, dass wir ein Bild der Gesamtsituation der betroffenen Familien erhalten und wie sich diese im Vergleich zum 1. Lockdown verändert hat“, betont Christoph Helm, Leiter der Abteilung für Bildungsforschung der JKU. „Neben Fragen zum Fernunterricht und zum Lernerfolg der Schüler*innen wurden auch die psychosozialen Auswirkungen und die Einschätzung der Bildungspolitik erhoben.“  

Überforderung und geringerer Lernerfolg
Rund die Hälfte der Eltern gab an mit ihren Kräften am Limit zu sein, kaum noch Zeit für sich selbst zu haben und die erneuten Schulschließungen als große psychische Belastung wahrzunehmen. Rund 4 von 10 Eltern stritten häufiger als sonst mit ihren Kindern. Ein Drittel der Kinder war während der Schulschließungen insgesamt überfordert.

Die Stunden, die Kinder täglich für den Schulbesuch und das Lernen für die Schule aufwenden, reduzierte sich laut Elternangaben von rund acht Stunden vor dem Lockdown auf zirka sechs Stunden während des 3. Lockdowns. Dieser Rückgang von rund zwei Stunden ist erfreulicherweise deutlich geringer als jener in der Vergleichsstudie aus Deutschland zum ersten Lockdown (rund vier Stunden Rückgang). Grund ist einerseits ein deutlich höheres Ausmaß an investierter Lernzeit zuhause und andererseits die Betreuungsmöglichkeiten an den Schulen. So berichten 3 von 10 Eltern, dass ihre Kinder während der Schulschließung mehr als 3 Stunden täglich in der Schule waren. Zudem nutzte ein Viertel der Eltern im 3. Lockdown eine Kinderbetreuung außerhalb des eigenen Haushalts. Dennoch, 6 von 10 Eltern stimmen der Aussage zu, dass ihr Kind während der Schulschließung im Jänner 2021 deutlich weniger dazugelernt hat, als im normalen Unterricht vor der Pandemie.

Selbstständiges Lernen als Herausforderung
Ein Viertel der Eltern schätzt die Qualität des Fernunterrichts während der Schulschließung im Jänner hoch ein; fast jeder dritte Elternteil niedrig.
Zwei Drittel der Eltern berichten vom Einsatz digitaler Lernplattformen zur Übermittlung von Lernmaterialien. Damit sind Lernplattformen das am häufigsten eingesetzte Tool und haben traditionelle Übermittlungswege, wie das E-Mail abgelöst, wovon nur 4 von 10 Eltern berichten.
Für 4% der Eltern ist die Qualität des Lernumfeldes (technische Ausstattung) ungenügend. Zudem berichten knapp 4 von 10 Eltern, dass im Zuge der Online-Lehre unterschiedlichste Probleme aller Art bei ihren Kindern aufgetreten sind.
Für 8 von 10 Kindern war der fehlende soziale Kontakt eine große Herausforderung im Lockdown. Für die Hälfte der Kinder war vor allem das selbstständige Lernen sehr schwierig. Die Lernbegleitung ihrer Kinder bzw. die fehlende Zeit dafür empfand die Hälfte der Eltern als große Herausforderung.

Die berichteten Anteile sind nahezu durchgängig stärker zum Nachteil von Eltern leistungsschwacher Kinder ausgeprägt. Die Einschätzungen der Eltern ohne und mit akademischem Bildungsabschluss unterscheiden sich hingegen meist nicht wesentlich.

Schulnote „Genügend“ für die (Bildungs)politik
Während rund ein Drittel der Eltern die Schulschließung als richtige Maßnahme im Kampf gegen die Pandemie einschätzen, lehnt die Hälfte der Eltern diese ab.
Rund 8 von 10 Eltern befürworten zusätzlichen Förderunterricht sowie zusätzliche Förderstunden in den Schularbeitsfächern, um das Versäumte aufzuholen. Gut die Hälfte der Eltern würde dieses Angebot wahrnehmen. Lernbetreuung in den Ferien würden hingegen rund jeder dritte Elternteil in Anspruch nehmen, das wären über 250.000 Schüler*innen. 7 von 10 Eltern schätzen zwei Stunden Förderunterricht pro Woche als ausreichend ein, 3 von 10 ist das zu wenig.
4 von 10 Eltern sprechen sich für eine Verkürzung der Sommerferien aus. Die Hälfte dieser Befürworter*innen ist für eine Reduktion der Ferien um 2 oder 3 Wochen.
Rund 8 von 10 Eltern sind dafür, dass Schüler*innen, deren Familien sich die technische Ausstattung nicht leisten können, Gratis-Laptops bekommen.

Grundsätzlich bewerten Eltern die (Bildungs-)Politik im Zusammenhang mit den Schulschließungen meist mit der Schulnote „Genügend“.

„Die Ergebnisse zeigen, dass sich Schulschließung auf nahezu alle Lebensbereiche der Eltern und Schüler*innen ausgewirkt hat. Bildungspolitik und die Schule von morgen müssen Eltern und Schüler*innen bedeutend stärker auf Situationen wie jene Schulschließungen, die sie nun bereits mehrmals durchstehen musste, vorbereiten. Dazu braucht es eine Öffnung des Unterrichts hin zu Lehr-Lern-Format, die die Förderung der Selbstständigkeit und die Selbstorganisation der Schüler*innen in den Mittelpunkt stellt, und es braucht Maßnahmen zur Intensivierung der Schule-Eltern-Beziehung, die eine Schulung der Eltern in der Unterstützung ihrer Kinder beim Lernen zuhause fokussiert. Hier hat die Bildungsforschung bereits Konzepte vorgelegt. Schließlich zeigt die Corona-Krise deutlich auf, dass endlich Maßnahmen zur Reduktion von Bildungsungleichheit nötig sind, wie zum Beispiel den Ausbau der Kindergartenbetreuung und des Unterstützungspersonals an Schulen wie auch die Rückverlegung von Bildungswegentscheidungen und Desegregationsmaßnahmen“, sagt JKU Univ.-Prof. Helm.   

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